Auslaufen mit Lüdecke: Hertha BSC: Alte Männer sprinten nicht
Mit Salomon Kalou und Vedad Ibisevic stellt Hertha BSC wohl die langsamste Sturmreihe der Bundesliga. Unseren Kolumnisten Frank Lüdecke stört das überhaupt nicht – solange sie weiter Tore schießen.
Der durchschnittliche Berliner Fußballfan neigt zum Extrem. Wenn es schlecht läuft für seine Mannschaft, ist er im Weltuntergangsmodus, läuft es mal gut, wird er schnell großkotzig. Ich bin da natürlich anders, ganz anders, freue mich aber jetzt schon, wenn Hertha am nächsten Spieltag auf Schalke trifft, also die Champions-League-Kandidaten quasi unter sich sind. Bei einem Sieg müssten wir dann noch mal gucken. Soooooo weit weg sind die Bayern ja gar nicht.
Sie merken schon, meine Stimmungslage hat sich etwas geändert. Als ich das Spiel gegen Hamburg sah, kamen mir gewisse Zweifel. Die mit den blau-weiß-gestreiften Trikots, dachte ich, das sind doch dieselben, die letzte Saison in mehreren Spielen hintereinander keinen einzigen Torschuss abgaben. Die teilweise den Ball nicht stoppen konnten und denen ich am liebsten zugerufen hätte: „Augen auf, bei der Berufswahl!“ Aber das ist ja gerade das Schöne am Leben, dass es immer wieder Überraschungen gibt. Die einen haben VW-Aktien im Portfolio, die anderen verpflichten Ibisevic. Als es vor ein paar Wochen hieß, Hertha suche einen wendigen, schnellen Stürmer und man präsentierte dann den Bosnier, da kam bei mir ein Gefühl auf. Ein ganz besonderes. Ein vergleichbares hatte ich zuvor zweimal. Einmal als es hieß, Otto Rehhagel solle Hertha vor dem Abstieg retten. Das andere Mal, als verkündet wurde, Hartmut Mehdorn wird neuer Flughafenchef.
Der Fall Ibisevic hat eine weitere Pointe
Ich kann es mit Zahlen nicht belegen, aber ich vermute mal, wir haben jetzt mit Kalou und Ibisevic den langsamsten Sturm der Bundesliga. Ich habe mich sogar schon bei dem Gedanken ertappt, ob ich mit dem Ivorer im Sprint mithalten könnte. Und was sagt uns das? Nichts. Denn die „alten Männer“ (Per Skjelbred) müssen gar nicht schnell laufen können. Es reicht völlig aus, was sie mit dem Ball veranstalten und welche Coolness sie vor dem Tor haben.
Der Fall Ibisevic hat aber noch eine weitere Pointe. Weil sich sein früherer Arbeitgeber nicht mehr erinnern konnte, wann der Stürmer das letzte Mal ins Tor getroffen hatte, waren sie bereit, ihm die Hälfte seines Gehaltes weiter zu zahlen, wenn er nur den Verein verlässt. Nun muss man wissen, der VfB Stuttgart ist derzeit Tabellenletzter. Zwar arbeitet kaum eine Mannschaft so viele Chancen heraus, aber sie treffen das Tor nicht. Selbst aus den kürzesten Entfernungen gelingt es ihnen, den Ball neben das Gehäuse zu setzen. Und nun gucken die Schwaben zu, wie ein Bosnier für Berlin ein Tor nach dem anderen schießt und müssen dafür auch noch Geld überweisen. Ich glaube, wäre ich Stuttgarter, würde ich mich jetzt ärgern.
Aber ich bin Berliner, und so sehe ich die Sache entsprechend ganz entspannt. Wir sollten jetzt den Moment genießen, bescheiden bleiben und einfach mal schauen, ob wir nächstes Jahr mit Chelsea und Juventus in eine Gruppe kommen.
Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier jeden Montag über die Bundesliga.
Frank Lüdecke