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Schweigen und schlürfen. Espresso-Liebhaber Löw braucht acht Wochen für die Analyse.
© Federico Gambarini/dpa

WM-Analyse des Bundestrainers: Herr Löw, wir hören nichts!

Macht er Urlaub? Schaut er sich die WM wenigstens im Fernsehen an? Keiner weiß, wo der Bundestrainer ist. Dabei warten alle auf seine Analyse. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Michael Rosentritt

Wo ist Joachim Löw? Und, was macht er eigentlich gerade? Verfolgt der geschlagene Bundestrainer die Fußball-Weltmeisterschaft wenigstens am Fernseher zu Ende? Für ihn und seine Mannschaft war ja schon nach der Vorrunde Schluss. Als Gruppenletzter hinter Schweden, Mexiko und Südkorea. Geschlagen als Weltmeister, gescheitert als Titelverteidiger. Schlimmer geht es nicht. Hallo, Herr Löw!

Man kennt das ja von Menschen, die vor aller Öffentlichkeit etwas an Peinlichkeit kaum noch zu Überbietendes geleistet haben. Diese würden sich am liebsten unsichtbar machen, im Boden versinken, möchten nichts mehr davon mitkriegen, was ihnen die Laune so verhagelt hat. Man könnte das sogar verstehen. Doch Löw muss da anders sein. Sonst hätte ihn vermutlich schon sein schlechtes Gewissen zum Aufhören getrieben.

Gut zwei Wochen ist das historische Scheitern jetzt her. Zwei Wochen, in denen sich Löw nicht zu Wort gemeldet hat. Löw schweigt. Vielleicht hat er sich in den Schwarzwald zurückgezogen oder relaxt gerade auf Sardinien, wohin es ihn gern in den Sommer verschlägt. Das deutsche Fußballvolk ist in Aufruhr. Wie geht es weiter mit der wichtigsten Mannschaft des Landes, wie soll es weitergehen?

Löw ist doch egal, wer unter ihm gerade DFB-Präsident ist

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der seinem gescheiterten Trainer schon zwei Tage nach dem Debakel das Vertrauen aussprach, wirkt genauso nervös und hilflos. Das Haus brennt, doch der Hausherr geht erst mal – angeln. Das ist das eigentliche Problem. Löw ist mindestens so mächtig wie der eigentliche Präsident Reinhard Grindel. Oder wie es hinter vorgehaltener Hand im Verband so schön heißt: Löw ist doch egal, wer unter ihm gerade DFB-Präsident ist.

Nach dem Verständnis des DFB ist Löw der Mann für einen Neuanfang. Der Neuanfang muss zugleich ein Umbruch des Alten und ein Aufbruch in etwas Neues sein. Ist Löw dafür überhaupt der Richtige? Eben noch, bei der WM, als es drauf ankam, war es der 58-Jährige nicht.

Löw hat eigentlich nie in den Wettkampfmodus gefunden. Erst ließ er keine Diskussion um das unglückliche Foto seiner beiden türkischstämmigen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem Autokraten Erdogan zu, dann setzte er im WM-Trainingslager das Leistungsprinzip außer Kraft, indem er angeschlagenen Weltmeistern wie Neuer, Boateng und Özil den jungen, aufstrebenden Confed-Cup-Siegern wie ter Stegen, Süle und Brandt vorzog. Schließlich ließ er sich von einem mexikanischen No-Name-Coach überrumpeln, sein Team wackelte gegen Schweden gewaltig, und er hatte letztlich auch gegen Südkorea keinen Plan. Ja, davon kann man sich schon erholen müssen.

Spöttisch könnte man meinen, Löw mache jetzt den Özil. Zwei Monate sind seit dem Fototermin mit Erdogan vergangen, bis heute hat Özil sich dazu nicht verhalten. Und zwei Monate werden nach dem deutschen WM-Aus vergangen sein, ehe Löw Ende August sein Schweigen zu brechen und seine Analyse vorzulegen gedenkt.

Radikalität war nie Löws Stärke – ist jetzt aber nötig

Das Fußballvolk hat sich längst eine Analyse gemacht. Jetzt müssen Köpfe rollen, stand in einigen Zeitungen. Doch Radikalität in personellen Angelegenheiten hat noch nie zu den Stärken Löws gehört. Nun wird Löw genau die an den Tag legen müssen. Er wird nicht umhin kommen, einigen seiner Weltmeister jene Konsequenz anzutun, die er für sich ausgeschlossen hat. Dabei spielt es weniger eine Rolle, ob er den jeweiligen Spielern einen freiwilligen Rückzug ans Herz legt oder sie einfach nicht mehr einlädt zu Spielen, womit die Nationalmannschaftskarriere auch beendet wäre.

Das Dumme für Löw ist, dass er jetzt etwas Sichtbares vorweisen muss. Weil er bleibt, müssen andere gehen. Eigentlich kann das nicht gut gehen. Löw kann gar nicht all die Wünsche des Fußballvolkes erfüllen. Reichte es, sich vom Mannschafts-Orthopäden Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu trennen, der bei der nächsten WM in Katar 80 Jahre alt wäre?

Herr Löw, wir würden gern etwas von Ihnen hören und erfahren, wie es weitergehen soll. Doch solange Joachim Löw schweigt, wird es keinen neuen Sachstand geben. Und ohne diesen gibt es keine sachliche Diskussion. Die wenigen, die sich aus der Deckung wagten wie Teammanager Bierhoff oder Grindel, mussten ja fast schon versagen. Vielleicht hat Löw das mitgekriegt – und lässt sich treiben.

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