Handball-WM in Frankreich: Henning Fritz: „Heinevetter kann ein Schlüssel sein“
Handball-Weltmeister Henning Fritz über Unterschiede zur Erfolgsmannschaft von 2007, Gastgeber Frankreich und die deutschen Torhüter.
Herr Fritz, als Deutschland 2007 Handball-Weltmeister wurde, standen Sie im Tor. Am Freitag startet die deutsche Mannschaft nun in die WM 2017 – halten Sie einen Turniersieg zehn Jahre nach dem letzten Erfolg für möglich?
Absolut. Das letzte Jahr mit dem EM-Titel und Olympia-Bronze hat gezeigt, wozu das Team imstande ist. Das war sicherlich keine Eintagsfliege, wir sind wieder in der Weltspitze angelangt. Die Struktur der jungen Mannschaft lässt mich grundsätzlich optimistisch nach vorn schauen. Auch in den letzten beiden Testspielen hat sie gezeigt, wie dominant sie sein kann. Deutschland zählt zum engsten Favoritenkreis, das steht außer Frage. Alles, was man in einem Vortrag über eine erfolgreiche Handball-Mannschaft sagen würde, vereint dieses Team: Altersstruktur, Athletik, handballerische Klasse – und den Hunger auf Erfolge.
Auffällig ist, dass zum Stamm von Bundestrainer Dagur Sigurdsson mehr als 20 Spieler gehören, die sich in etwa auf einem Niveau bewegen. Können Sie sich an eine in der Breite vergleichbar starke deutsche Mannschaft erinnern?
Ich glaube, das gab es in dieser Form noch nicht, es ist eine Entwicklung der letzten Jahre. Früher hatte man immer die Hierarchie mit einer klar formulierten ersten Sieben, danach gab es schon Abstufungen bei den Einsatzzeiten und der individuellen Klasse. Das ist heute ganz anders: Im deutschen Kader gibt es viele qualitativ hochwertige Spieler, die nahtlos an die Leistung ihres Vorgängers anknüpfen können, wenn sie aufs Feld kommen. An dieser Qualität sieht man auch, dass die Nachwuchs-Konzepte jetzt greifen, die vor einigen Jahren auf den Weg gebracht worden sind.
Mit Blick zurück auf die WM 2007 – wie groß ist der Heimvorteil für den Gastgeber bei einer Handball-WM aus eigener Erfahrung?
Uns hat es damals stark gehemmt, gerade zu Beginn des Turniers. Wir standen ja kurz vor dem Aus in der Hauptrunde. Irgendwann haben wir uns das Heimrecht dann zum Vorteil gemacht, sind ein bisschen lockerer geworden, haben das Publikum mitgenommen und die Emotionen geweckt. Im konkreten Fall Frankreich glaube ich, dass die Mannschaft so erfahren ist, dass es den Spielern fast egal ist, ob sie nun daheim oder im Ausland antreten. Auf jeden Fall wird es die Spieler beflügeln. Einige von ihnen, zum Beispiel Torhüter-Legende Thierry Omeyer, haben ja die historische Chance, nach 2001 zum zweiten Mal im eigenen Land Weltmeister zu werden.
Bei der WM in Katar war Frankreich das einzige Team, das den damaligen Gastgeber schlagen konnte – mit einer grandiosen Leistung im Endspiel. Haben die Franzosen noch das Niveau von 2015?
Damals war es eine besondere Konstellation, weil die halbe Handball-Welt das katarische Konzept und die – vorsichtig formuliert – zweifelhaften Schiedsrichterleistungen sehr kritisch gesehen und den Franzosen die Daumen gedrückt hat. Das hat auch noch einmal für einen zusätzlichen Schub gesorgt. Generell ist der Großteil der französischen Mannschaft sehr lange dabei, sie sind ehrgeizig und schlachterprobt, manche Spieler haben ihr Denkmal bereits geschaffen. Aber sie wissen natürlich auch, dass ihre Zeit begrenzt ist, und werden versuchen, weiter jeden möglichen Titel abzugreifen.
Lassen Sie uns einen genauen Blick auf die deutsche Mannschaft werfen. Sie sind der Fachmann: Gibt es bei der WM ein besseres Torhüter-Gespann als Andreas Wolff und Silvio Heinevetter?
In der Konstellation nicht. Wichtig ist, dass die beiden als Gespann harmonieren und sich respektieren und unterstützen. Den Eindruck habe ich bisher. Generell sind die Torhüter immer ein wichtiger Faktor bei großen Turnieren, und zwei solche Leute zu haben, ist ein großer Vorteil. Außerdem profitieren sie von der enormen Körperlichkeit ihrer Vorderleute. Im Abwehrzentrum gibt es ja keinen Spieler, der nicht mindestens zwei Meter groß und trotzdem beweglich ist. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl als Torhüter, weil es extrem schwer ist, über diesen Block zu werfen. Vor allem entlastet es den Angriff, weil man so nicht unter Druck gerät, ständig selbst treffen zu müssen.
Heinevetters Nicht-Nominierung für die EM 2016 war vor einem Jahr ein großes Thema, seit Olympia ist er nun wieder dabei und stärker als je zuvor – überrascht?
Ich hatte vor der WM 2007 auch ein Formtief, weil ich überspielt und schlichtweg überbelastet war. So eine Phase durchläuft jeder Torhüter mal. Was bei Silvio Heinevetter konkret dazu geführt hat, kann ich aus der Entfernung nicht beurteilen. Mein Eindruck ist aber, dass ein Reifeprozess bei ihm eingesetzt hat, eine Art Sinneswandel. Er wirkt jetzt deutlich fokussierter auf mich als in den Jahren zuvor. Er kann ein Schlüssel für den Erfolg der deutschen Mannschaft sein.
Glauben Sie, dass der nahende Abschied von Bundestrainer Dagur Sigurdsson Einfluss auf den Turnierverlauf nehmen wird?
Aus seiner Sicht ist das sicher eine Riesenmotivation. Andererseits muss er nach 2016 nichts mehr beweisen. Ich glaube, dass das eher ein mediales Thema ist, das die Mannschaft wenig bis gar nicht beschäftigt – und sie ist auch gut beraten, sich auf sportliche Punkte zu fokussieren. Ich mache mir da keine Gedanken. Selbst wenn man möchte: Es gibt im Moment weder Kritikpunkte noch berechtigte Zweifel an dieser deutschen Mannschaft.
Das Gespräch führte Christoph Dach.