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Hohe Dunkelziffer. Waren der olympische Marathon 2004 in Athen sauber? Nach den jüngsten Enthüllungen sind Zweifel angebracht.
© picture-alliance/ dpa/Estevez

Doping im Spitzensport: Hausgemachtes Dilemma in der Leichtathletik

Nach den Dopingverdächtigungen in der Leichtathletik muss das internationale Kontrollsystem hinterfragt werden.

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Der Sachverhalt ist doch ganz einfach. Der Sport, in diesem Fall die Leichtathletik, wird mal wieder verleumdet. Davon ist jedenfalls Lamine Diack überzeugt. Der Senegalese ist ein gestählter Sportpolitiker. Seit 1982 gehört er als Mitglied dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) an, seit 1999 führt der 82-Jährige als Präsident den Leichtathletikweltverband IAAF. Gerät die Leichtathletik in ein schlechtes Licht, beißt Diack zurück. So ist es ihm in seiner Sportfunktionärslaufbahn vorgelebt worden, so hat er sich in diesem System behauptet. Es verwundert daher nicht, dass er von den Enthüllungen der ARD und der „Sunday Times“ nicht viel hält.

Diese waren an eine Liste mit 12 000 Bluttests von rund 5000 Läufern gelangt. 800 von ihnen sollen von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften mit dopingverdächtigen Blutwerten gestartet sein.

„Ich glaube, es besteht die Absicht, Hunderte von Medaillen neu zu verteilen“, ließ Diack nun verlauten. Die Aussage ähnelte einem offiziellen Statement des kenianischen Leichtathletik-Verbandes. „Der Verband begrüßt alle Informationen, die im Kampf gegen Doping helfen. Aber wir müssen herausstellen, dass die Dokumentation ein Versuch ist, unsere Läufer mit unbewiesenen Anschuldigungen zu beschmutzen.“ Auch Kenia schlägt zurück. In dem Land mit dem scheinbar unerschöpflichen Reservoir an Wunderläufern soll es laut den Recherchen von ARD und der „Sunday Times“ Anzeichen für weitverbreitetes Doping geben.

Der Sachverhalt ist also einfach – wenn man Teil des Sportsystems ist. Dumm ist nur, das wird in diesen Tagen einmal mehr deutlich, wenn die Dopingbekämpfung diesem System angehört. Die Weltantidopingagentur Wada und die meisten nationalen Subagenturen werden zum Großteil durch die Sportverbände getragen. Und im Fokus des Sportsystems sind Selbstreinigungsprozesse den wirtschaftlichen Interessen klar untergeordnet. „Die Verbände stecken in einem Dilemma: Sie wollen einen sauberen Sport und gleichzeitig auch viele Erfolge und Rekorde“, sagt Eberhard Gienger, der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

Der Sport selbst bekommt das Problem wohl nicht in den Griff

Dass der Sport die Sache selbst in den Griff bekommt, daran zweifelt auch der Dopingexperte Fritz Sörgel: „Von den Verbänden braucht man nichts zu erwarten.“ Der Pharmakologe aus Nürnberg hat die Liste der vermeintlichen Dopingsünder vorliegen. Zwei Deutsche seien auch darunter, sagte er dem Tagesspiegel. Sörgel sagt aber auch, dass bei der Liste, die ihm vorliegt, das Entscheidende fehlt: konkrete Daten, Aufschlüsselungen über Hämatokritwerte und dergleichen. „Es wird in dem Bericht von extremen Werten gesprochen, doch sind diese nicht mit Zahlen belegt.“ Sörgel, aber auch sein Kollege Wilhelm Schänzer sind deswegen vorsichtig mit einer Interpretation der Enthüllungen. Was Sörgel anhand der Liste aber sagen kann, ist, wo die Athleten mit auffälligen Blutwerten herkommen. Der 64-Jährige formuliert es folgendermaßen: „Bis auf wenige Ausnahmen kommen sie, sagen wir mal, aus den Nichttopindustriestaaten.“

Offenbar sind zum Beispiel keine US-Amerikaner unter den Verdächtigen. Das könnte auch an der Arbeit der amerikanischen Antidopingagentur liegen. Die Usada gilt als Vorreiter im Kampf für einen sauberen Sport. „Wir müssen über Unabhängigkeit sprechen. In Deutschland kontrollieren Sportverbände ihre Athleten teilweise immer noch selbst. Das ist kein effektiver Weg und wäre in den USA nicht möglich“, hat Usada-Chef Travis Tygart einmal gesagt. Kern seiner Arbeit, das betonte Tygart mehrfach, sei die Zusammenarbeit mit Sportlern. Im Fall des überführten Radprofis Lance Armstrong vernahm Tygart an die hundert Sportler und Zeugen aus deren Umfeld.

Welche Nachwehen auch immer die jüngsten Enthüllungen haben werden, Lamine Diack wird es egal sein. Er muss nicht mehr weiterkämpfen. Am 19. August, kurz vor der WM in Peking, wählt die IAAF einen Nachfolger des skandalumtosten Präsidenten.

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