zum Hauptinhalt
Martin Stocklasa hat im Dezember vergangenen Jahres Liechtensteins Nationalmannschaft übernommen. Seitdem hat er in fünf Spielen fünf Niederlagen kassiert.
© imago images/Pius Koller

Liechtensteins Nationaltrainer im Interview: „Hauptsächlich sind es Studenten“

Liechtensteins Nationaltrainer Martin Stocklasa über das Duell mit Hansi Flick, sein Ziele gegen Deutschland und die Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Martin Stocklasa, 42, trifft an diesem Donnerstag mit Liechtenstein in der WM-Qualifikation auf die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Seit Dezember vergangenen Jahres trainiert er das Nationalteam seines Heimatlandes. In der besten Zeit des liechtensteinischen Fußballs war Stocklasa selbst Nationalspieler. Im Juni 2000 erzielte er in einem Testspiel sogar ein Tor gegen die deutsche Mannschaft.

Herr Stocklasa, sind Sie ein bisschen sauer?

Warum sollte ich sauer sein?

Sie spielen am Donnerstag mit Liechtensteins Nationalmannschaft gegen Deutschland, und alles dreht sich um Hansi Flick. Für Liechtenstein interessiert sich niemand.

(Lacht) Das wäre so oder nicht der Fall gewesen. Dafür sind wir in dem Business ein zu kleiner Faktor. Wir sind stolz und froh, dass wir uns mit Fußballgroßmächten wie Deutschland messen zu dürfen. Aber unsere sportlichen Zielsetzungen beziehen sich auf andere Mannschaften, auf Gegner, die eher in unserer Reichweite sind. Trotzdem ist es für uns natürlich speziell, das erste Spiel gegen den neuen Bundestrainer bestreiten zu dürfen. Das macht das Ganze noch interessanter.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Ist es für Sie eher gut, dass die Deutschen mit einem neuen Trainer kommen? Ist es schlecht? Oder ist es eigentlich komplett egal?

Im Grunde ist es komplett egal, da bin ich ehrlich. Aber wahrscheinlich ist es für uns sogar eher noch ein bisschen schlechter, weil die deutschen Spieler unter ihrem neuen Trainer versuchen werden, noch mal einen ganz anderen Drive in ihr Spiel bringen – vor allem nach der ersten Qualirunde im März, als es mit der Punkteausbeute nicht optimal gelaufen ist.

Hansi Flick hat zuvor die Bayern trainiert. Hilft Ihnen das, um ungefähr abzuschätzen, wie die deutsche Mannschaft spielen wird?

Ich denke schon, dass der eine oder andere Rückschluss möglich ist. Wobei Hansi Flick bei den Bayern Spieler zur Verfügung hatte, die er in der Nationalmannschaft nicht hat. Namentlich Robert Lewandowski als Mittelstürmer, den es im deutschen Team so nicht gibt. Aber es wäre in meiner Position vermessen zu sagen, dass wir auf irgendwelche Maßnahmen der Deutschen adäquat reagieren könnten. Wir wissen, dass im internationalen Fußball zu Deutschland der größtmögliche Unterschied besteht. Wir probieren einfach, den Gegner vor Probleme zu stellen, aber wenn eine Fußballgroßmacht wie Deutschland ernst macht, dann haben wir wenig bis nichts dagegenzusetzen.

Gehen Sie mit einem konkreten Ziel in ein solches Spiel, von dem Sie eigentlich wissen, dass Sie es verlieren werden?

Konkretes Ziel nicht. Die Deutschen werden den Takt vorgeben, sie werden ihr Spiel durchziehen. Für uns wird eher das Thema sein: Was können wir mitnehmen? Wir haben auch unsere Inhalte, die auch mal gegen einen Gegner auf Top-Top-Niveau probiert werden sollten. Wenn wir es in einzelnen Phasen schaffen, dagegenzuhalten, vielleicht sogar in eine Umschaltphase kommen – das wären positive Momente für uns.

In Ihrer aktiven Zeit als Spieler war Liechtenstein noch die Nummer 118 der Welt, inzwischen ist die Mannschaft auf Rang 189 zurückgefallen. Wie ist das zu erklären?

In unserer besten Zeit hatten wir 13, 14 Spieler, die professionell Fußball gespielt haben. Das fehlt uns im Moment. Aktuell besteht unser Kader zu mehr als 90 Prozent aus Amateurspielern. Darum sind wir jetzt noch ein bisschen weiter weg als damals. Es kann wieder besser werden. Aber dafür müssten die jungen Spieler den nächsten Schritt machen Richtung Halbprofi- oder Profitum. Davon bin ich als Nationaltrainer extrem abhängig.

Von 2006 bis 2008 stand Stocklasa bei Dynamo Dresden unter Vertrag und traf dabei unter anderem auf Eduard Geyer. Für den damaligen Regionalligisten bestritt Stocklasa insgesamt 62 Pflichtspiele.
Von 2006 bis 2008 stand Stocklasa bei Dynamo Dresden unter Vertrag und traf dabei unter anderem auf Eduard Geyer. Für den damaligen Regionalligisten bestritt Stocklasa insgesamt 62 Pflichtspiele.
© imago sportfotodienst

Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie?

Die Infrastruktur ist top. Aber die Spieler, die sich auf Amateurniveau bewegen, konnten in den vergangenen anderthalb Jahren nur individuell trainieren. Erst seit Juni trainieren sie wieder normal mit ihren Mannschaften. Die fünf Länderspiele in diesem Jahr waren für meine Spieler die einzigen Pflichtspiele in den vergangen 16 Monaten. Das birgt natürlich einige Gefahren, und man weiß, dass das nicht gut gehen kann. Selbst als wir im Juni gegen die Färöer gespielt haben, war das zu sehen.

Sie haben 1:5 verloren.

Ja, dabei sind die Färöer jetzt auch nicht unbedingt eine Großmacht. Aber sie haben eine eigene Liga, und vor allem haben sie gespielt. Der Unterschied war frappant. Für ein Land wie uns, das keinen Vollprofibetrieb hat, geht die Schere wieder weiter auseinander. Die ersten 20 Minuten gegen die Färöer waren top, danach war es teilweise gut. Aber nach 50 Minuten ist uns die Luft ausgegangen.

Haben Sie den Leuten in Liechtenstein erklären können, wie es zu einer solchen Pleite kommen konnte?

Erklären kann ich es auf jeden Fall. Aber der Enthusiasmus für den Sport und die Fankultur sind bei uns jetzt auch nicht so ausgeprägt. Es wird wahrgenommen, teilweise auch belächelt. Wir sind ein wirtschaftlich gesundes, wohlhabendes Land, haben aber was Leistungen im Spitzensport angeht, wenig Erfahrung. Deswegen war die Niederlage im Land nicht so ein großes Problem. Anders als für mich als Trainer.

Wie viele Profis haben Sie in Ihrem Kader?

Eine Handvoll, und davon ist einer – Dennis Salanovic, der in Finnland in der höchsten Liga spielt – leider verletzt. Alle anderen sind Halbprofis. Wobei: Halbprofi ist eigentlich auch schon zu viel gesagt.

Was machen Ihre Spieler beruflich?

Hauptsächlich sind es Studenten. Aber es gibt auch welche, die klassisch bei einer Bank oder einer Versicherung arbeiten und einen normalen Büroalltag haben. Das ist auch ein Faktor: Jemand, der bei uns einen normalen Job hat, verdient gutes Geld. Da wird es schon schwierig, als Halbprofi an diese Gehaltsstufe heranzukommen. Selbst als Profi.

Haben Sie wenigstens den Vorteil, dass Sie abseits der offiziellen Abstellungsphasen mit Ihrem Kader trainieren können?

Bisher war es nicht so. Aber jetzt gehe ich genau diesen Weg. Ich habe probiert, einmal wöchentlich ein Training anzubieten. Das ist auch angenommen worden, auch wenn der eine oder andere aus beruflichen Gründen mal nicht konnte. Aber zwischen Januar und April habe ich etwa 40 Einheiten mit den Jungs abgehalten, weil wir mit der Nationalmannschaft keine pandemiebedingten Beschränkungen hatten. Wir konnten so viele Trainings machen wie in den letzten zehn Jahren nicht. Und trotzdem kannst du nicht den Widerstand simulieren, den du brauchst, um dich gegen die ganzen Sanés, Süles oder wen auch immer behaupten zu können.

Gibt es jemanden, auf den Sie sich bei der deutschen Nationalmannschaft ganz besonders freuen?

Ich persönlich sympathisiere seit meiner Jugend mit dem FC Bayern. Thomas Müller und Manuel Neuer sind jetzt leider nicht dabei, aber wenn man Niklas Süle oder Leroy Sané sozusagen mal live erleben kann, ist das schon speziell. Das ist einfach pure Vorfreude. Es wird extrem schwierig, und wir werden auch leiden müssen. Aber diese Erfahrung würden Millionen von Fußballern gerne machen. Wir haben jetzt die Möglichkeit.

In ihrer besten Zeit schaffte es Liechtensteins Nationalmannschaft bis auf Platz 118 der Fifa-Weltrangliste. Stocklasa war fester Bestandteil des Teams, bestritt 113 Länderspiele und war auch 2009 in Leipzig beim bisher letzten Duell mit Deutschland dabei (hier im Zweikampf mit Lukas Podolski).
In ihrer besten Zeit schaffte es Liechtensteins Nationalmannschaft bis auf Platz 118 der Fifa-Weltrangliste. Stocklasa war fester Bestandteil des Teams, bestritt 113 Länderspiele und war auch 2009 in Leipzig beim bisher letzten Duell mit Deutschland dabei (hier im Zweikampf mit Lukas Podolski).
© imago sportfotodienst

Als beide Teams 2009 in Leipzig zuletzt aufeinandergetroffen sind, standen Sie noch als Spieler auf dem Platz. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Spiel?

Natürlich hatte Deutschland mehr Ballbesitz, natürlich hatte Deutschland mehr Chancen. Aber das Spiel ging 4:0 aus, und wenn man sich die Größenverhältnisse anschaut – 38.000 Einwohner gegen 83 Millionen –, muss man sagen: ein Riesenresultat aus unserer Sicht.

Dabei ging es alles andere als gut los.

Das stimmt. Nach nicht mal zehn Minuten lagen wir 0:2 zurück. Eigentlich sagt man immer: Je länger das Spiel geht, desto besser kommt man rein. Aber wir haben uns wirklich gut reingekämpft, hatten auch Spielglück. Ich habe auch mal in Freiburg gegen Deutschland gespielt.

Das war im Jahr 2000, unmittelbar vor der Europameisterschaft.

Da hat Oliver Bierhoff schon nach zehn Sekunden das 1:0 geschossen. Nach 50 Minuten ist uns der Ausgleich zum 2:2 gelungen – und trotzdem hieß es am Schluss 8:2. Das geht dann schnell. Wenn eine Fußballnation wie Deutschland im fünften Gang spielt oder heutzutage im siebten Gang, dann wird’s bitter. Dafür ist jedes Erfolgserlebnis für uns doppelt und dreifach schön. Nerv den Gegner, und ich bin mir sicher, dass in Zeiten wie diesen auch Top-Mannschaften sagen: Okay, wir wollen zwar nachlegen, aber wir wollen uns nicht unbedingt weh tun. Fußball ist ein Spiel, in dem es darum geht, sich auch auf Männerniveau zu messen. Meine Spieler haben die Chance. Sie werden es machen. Wie lange es reicht, das wird man dann sehen.

Wie ausgelassen haben Sie denn 2009 das 0:4 gegen die Deutschen gefeiert?

(Lacht) Es war nicht so, dass wir völlig von der Rolle waren. Aber gefühlt war das für uns, wenn man das so sagen kann, tatsächlich ein Erfolg. Wir konnten das gut einschätzen. Aber man muss sich immer anschauen, wie ein solches Ergebnis zustande kommt.

Wie meinen Sie das?

Unser erstes Spiel in der WM-Qualifikation war im März gegen Armenien. Da verlieren wir 0:1, durch ein Eigentor in der 85. Minute. Jeder sagt: Top. Aber ich sage: Es war nicht gut.

Warum nicht?

Weil die Torschussbilanz 0:20 war. Gegen Armenien. Aber wenn es am Donnerstag gegen die Deutschen ein 0:4 wird wie 2009, dann müsste man es eigentlich sofort unterschreiben.

Zur Startseite