Proteste: "Hauptsache, der Westteil Berlins ist entlastet"
Wannsee und Müggelsee gleich behandeln – das fordern Bürger im Südosten der Stadt. Rund 120 Flugzeuge sollen über die Müggelsee-Region fliegen. Auch anderswo gibt es weiter Widerstand.
Friedrichshagen sollte es sein, am Rande Berlins, direkt am Müggelsee. „So ein idyllischer Mikrokosmos, perfekt, um die Kinder großzuziehen“, sagt Anwohnerin Andrea Neumann*. Also zog sie mit ihrer Familie dorthin. Die Freude über den neuen Wohnort ist vorbei, seit die Deutsche Flugsicherung (DFS) am Dienstag bekannt gab, dass die Flugrouten vom künftigen „Willy Brandt“-Flughafen in Schönefeld auch über den Müggelsee führen. Rund 120 Mal am Tag, mindestens in 1,06 Kilometer Höhe. „Hätten wir das gewusst, wären wir nicht hergezogen“, sagt Neumann verärgert. Freunde und Bekannte fordert sie nun zum Protest auf. Auch in Kleinmachnow ist die Stimmung seit der Bekanntgabe angespannt. Beide Gemeinden wurden überrascht.
Die Friedrichshagener Bürgerinitiative FBI informiert am Dienstagmorgen auf dem Marktplatz. Wegen des Medieninteresses gibt es später zusammen mit der örtlichen Werbegemeinschaft im Seebad spontan einen Pressetermin. „Die Müggelseeregion ist das zentrale Naherholungsgebiet Berlins und steht unter Naturschutz“, sagt Benjamin Saborowski, 28, von der FBI. Statt 120 Fliegern rechnet er je nach Windverhältnissen mit über 250 pro Tag. „Die Politiker verschaukeln uns. Wannsee und Müggelsee müssen gleich behandelt werden“, fordert Saborowski. Zusammen mit den Initiativen des Bündnisses Südost wolle man den Widerstand stärken.
Regina Menzel, 36, von der Werbegemeinschaft Friedrichshagen sieht sogar den Handel im Ort gefährdet. „Wenn die Flugrouten so kommen, werden nicht mehr genügend Besucher kommen, die die Bölschestraße mit ihren 180 Geschäften braucht“, sagt sie. Sie befürchtet, dass auch Investoren für Müggelturm, Rübezahl und Strandbad abspringen.. Für eine Änderung der Flugrouten will sie bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Schließlich sei im Planfeststellungsverfahren für den Flughafen kein Überflug der Müggelseeregion vorgesehen.
Wie sie haben die meisten Friedrichshagener kein Verständnis für die geplanten Flugrouten. „Die Grundstücke verlieren an Wert“, sagt Cornelia Freitag, 29. „Hauptsache, der Westteil Berlins ist entlastet, dafür hat sich Wowereit ja eingesetzt“, ärgert sich Wernfried Hübel, 62. „So kann das nicht bleiben.“ Er befürchtet, dass der Flughafen, einmal fertig, weiter ausgebaut wird und dann noch mehr Flugzeuge über die Köpfe der Friedrichshagener donnern. Andrea Hackbeil, 50, ist vor drei Wochen aus Frankfurt nach Friedrichshagen gezogen und wohnt dort zur Miete. „Zum Glück haben wir nicht gekauft. Aber erstmal abwarten, wie laut es dann wird“, sagt sie. Irgendwo müssten die Flugzeuge ja fliegen, sagen andere. Nur bitte nicht unbedingt über Friedrichshagen. Verkäuferin Halina Hallier, 61, aus Köpenick versteht den Protest nicht. „Alle wollen einen nahen Flughafen, aber keiner will ihn vor seiner Tür“, sagt sie. An der Strandbar „Gestrandet“ sieht man den Plänen ebenfalls gelassen entgegen, sie störten die Gäste nicht. Beatrice Wöhler aus Kleinmachnow dagegen ist eine Wutbürgerin. Das will sie aber richtig verstanden wissen: „Wutbürger, das sind Menschen, die sich ihrer Rechte bewusst sind“, sagt die Juristin, die vor einigen Jahren aus Niederbayern nach Kleinmachnow gezogen ist. Über die vorgesehenen Routen sei sie schockiert. Eine große Veränderung zu den im vergangenen Herbst bekannt gewordenen Plänen der DFS erkenne sie nicht.
Die Flugsicherung dagegen verweist darauf, dass die Route jetzt weiter südlich verlaufe und damit auch weiter von Kleinmachnow entfernt sei. Zudem werde nur ein Dutzend Flugzeuge am Tag diesen Bereich überqueren. Dies seien Maschinen, die die vorgeschriebene Höhe für das Verlassen der Routen, 5000 Fuß, bereits vor Ludwigsfelde erreichten und deshalb früher abdrehen dürfen – wenn der Lotse zustimme. Die Proteste in Kleinmachnow und Stahnsdorf verstehe man nicht, heißt es bei der Flugsicherung.
Und selbst wenn jetzt eine verbesserte Routenführung versprochen werde, glaubt Wöhler noch nicht daran, dass dies nach den Wahlen in Berlin in diesem Herbst auch tatsächlich gehalten wird. Sie und ihr Mann überlegten nun, aus Kleinmachnow wegzuziehen, vielleicht in den Norden von Berlin. Für Lydia Hurtienne, die in einem kleinen Laden an der Förster-Funke gerade frisches Obst und Gemüse einkauft, ist die Sache weniger eindeutig. „Wir leben hier nicht in Sibirien, eine lebendige Stadt wie Berlin quasi vor der Haustür zu haben, hat viele Vorteile, beinhaltet aber eben auch, Dinge wie einen Flughafen in Kauf zu nehmen.“
Der aus Stahnsdorf stammende Manfred Klinke kann die aufgeregten Proteste vieler Kleinmachnower nicht so ganz verstehen. Es sei verständlich, dass eher die dichtbesiedelten Gebiete verschont würden, dagegen könne man als Bürger nicht viel machen.
„Für uns beginnt jetzt erst der Kampf. Wir geben nicht auf.“ Nach einem Termin beim Verkehrsstaatssekretär des Bundes, Klaus-Dieter Scheurle, zeigte Werders Bürgermeister Werner Große (CDU) am Dienstag Entschlossenheit. Mit seiner Amtskollegin aus Schwielowsee, Kerstin Hoppe (CDU) ist er sich einig: Die von der Deutschen Flugsicherung vorgestellten Anflugrouten für den künftigen Großflughafen Schönefeld wären für die Region Havelseen ein „Horrorszenario“. Sie fordern, auch die Anflugrouten, die jetzt aus dem Norden westlich an Potsdam vorbei führen sollen, außerhalb des westlichen Autobahnrings zu führen.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hält das umstrittene Konzept der Flugsicherung für genehmigungsfähig. (mit PNN)
* Name von der Redaktion geändert.
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