Hertha BSC vor dem Spiel bei Borussia Dortmund: Haraguchi: „Das aggressive Spiel musste ich lernen“
Gelobt von Trainer und Mitspielern, geliebt von Fans in der Heimat: Genki Haraguchi über sein erstes Jahr bei Hertha BSC, Unterschiede zu Japan und Hilfe der Kollegen.
Herr Haraguchi, Ihre erste Bundesliga-Saison neigt sich dem Ende zu. Wie haben Sie sich eingelebt in Deutschland?
Als ich hier angekommen bin, hatte ich ein positives Gefühl, und das hat sich dann auch bestätigt. Ich habe mich schnell an die Mannschaft gewöhnt, bin freundlich aufgenommen worden. Die Sprache ist natürlich noch ein bisschen schwierig, aber sonst ist Berlin eine Stadt, in der man gut leben kann.
Was war die größte kulturelle Umstellung?
Ich habe die Bundesliga schon vor meinem Wechsel verfolgt, und mir haben einige Leute erzählt, dass die Unterschiede zwischen Japan und Deutschland gar nicht so groß sind. Das kommt mir jetzt, nach einem Jahr, auch so vor: Reglements, Disziplin, Pünktlichkeit, darauf legt man in beiden Ländern großen Wert, alles ist klar strukturiert.
Und das Essen?
Am Anfang dachte ich, dass ich da vielleicht Probleme haben könnte, aber das ist nicht so. Es gibt eigentlich nichts, was mich stört.
Welche Rolle spielt für Sie Hajime Hosogai, der andere Japaner bei Hertha? Auf dem Trainingsplatz sieht man sie ständig zusammen, ein unzertrennliches Paar.
In Japan sagt gibt es einen Begriff für die Rolle, die Hajime hier für mich hat: Senpai. Das bezeichnet ältere, erfahrene Menschen, die schon länger bei einer Firma oder, in unserem Fall, bei einem Verein sind. Er hilft mir in vielen Situationen, schaut mir über die Schulter, ob ich alles richtig mache. Gewissermaßen wacht er über mich. Und ich versuche, mit den Augen viel von ihm zu stehlen: Wie verhält er sich auf dem Platz, wie daneben, was kann ich mir von ihm abgucken? Ohne Hajime wäre es zwar nicht undenkbar gewesen, in die Bundesliga zu gehen. Aber es macht mir vieles leichter.
Und außerhalb des Fußballplatzes?
Auch da verbringen wir viel Zeit miteinander. Hajimes Frau kocht gern und sehr gut, ich bin oft bei ihnen zu Gast.
Mittlerweile gibt es zwölf Japaner in der Bundesliga, nur die Schweiz, Österreich und Brasilien stellen noch mehr Legionäre. Wie erklären Sie sich diese Quote?
Die Senpai haben in Japan ein gutes Image von der Bundesliga hinterlassen. Es gibt keine großen Umstellungsprobleme, man findet sich relativ einfach zu Recht und bekommt die Möglichkeit, sich sportlich zu entwickeln. Ich glaube, die Zahl japanischer Spieler in Deutschland wird in den nächsten Jahren weiter steigen, wenn sie ein paar grundlegende Dinge beachten.
Das heißt?
In Japan wird Fußball sehr japanisch gespielt, mit viel weniger Kontakt, weil wir ja vom Typ her kleiner und nicht so physisch sind. Dieses aggressivere Spiel, wie ich im Zweikampf dem Gegner standhalte, das musste ich in Deutschland erst lernen. In diesem Bereich kann der japanische Fußball noch viel lernen.
Sie haben diese Erfahrung sehr früh gemacht: Gleich am ersten Spieltag gegen Bremen standen Sie in der Anfangsformation, später mussten sie mit einer Schulterverletzung ausgewechselt werden.
Die Zeit nach der Verletzung war nicht einfach für mich. Meine Motivation war in den ersten Wochen in Deutschland extrem hoch, ich habe jeden Tag auf dem Trainingsplatz genossen, weil das Niveau viel höher war als alles, was ich vorher kannte. Ich wollte ich mich beweisen und habe das auch geschafft, die Vorbereitung lief gut. Dann kam die Verletzung dazwischen, und darunter hat nicht nur meine körperliche, sondern auch meine mentale Verfassung gelitten.
Wie sind Sie da wieder herausgekommen?
Ganz einfach: Ich habe mich herausgearbeitet und im physischen Bereich noch mehr gemacht, um für solche Zweikämpfe vorbereitet zu sein. Es hat dann trotzdem ziemlich lang gedauert, bis ich wieder Einsatzzeiten bekommen habe.
Bei den Urawa Red Diamonds waren Sie Stammspieler, in Berlin saßen Sie lange auf der Bank. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe das so zum ersten Mal erlebt, und es war schon seltsam. Aber selbst bei negativen Erfahrungen muss man versuchen, daraus etwas Positives mitzunehmen.
Dieses Bild haben Sie offensichtlich auch bei Ihren Teamkollegen vermittelt. Trainer und Mitspieler loben ausdrücklich Ihren Fleiß und ihren Arbeitsethos.
Das freut mich. Und es stimmt auch: Selbst wenn ich nicht gespielt habe, habe ich immer an mir gearbeitet, habe gut trainiert – und die Bestätigung dafür bekommen. Durch die Verletzung ist es mir nicht leicht gefallen, direkt Fuß zu fassen. Aber jetzt bin ich zum Glück wieder in einer Position, in der ich regelmäßiger spiele und mich einbringen kann.
Im März haben Sie gegen Schalke Ihr erstes Bundesliga-Tor erzielt. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung behalten?
Es war Wahnsinn, wie viele japanische Fans und Freunde sich bei mir per E-Mail, Telefon oder über die sozialen Netzwerke gemeldet haben. Die Bundesliga ist sehr populär in Japan und wird genau verfolgt. Was macht Kagawa in Dortmund? Was macht Okazaki in Mainz und Hosogai in Berlin? Dafür interessieren sich die Leute. Deshalb habe ich mir schon Gedanken gemacht.
Wie meinen Sie das?
Weil ich lange nicht spielen und keine guten Leistungen zeigen konnte, hatte ich die Befürchtung, dass sich meine Freunde Sorgen um mich machen. Mit dem Tor habe ich endlich ein positives Bild nach Japan zurückgeschickt und ihnen die Last genommen: Ja, es geht mir gut hier, und sportlich wird es auch immer besser.
Sie haben eingangs selbst gesagt, dass die Sprache noch ein Problem darstellt. Trotzdem gibt es seit einigen Wochen keinen Dolmetscher mehr für Sie bei Hertha BSC, das hat Trainer Pal Dardai so entschieden.
Das stimmt so nicht ganz, der Trainer hat es nicht im Alleingang entschieden. Pal Dardai ist zu mir gekommen und hat aus seiner Zeit als Profi erzählt. Er sagte, dass man Deutsch am besten lernt, wenn man im täglichen Training mit den Mitspielern interagiert. Dann hat er mich gefragt, ob ich den Dolmetscher tatsächlich brauche, und das habe ich verneint. Ich bin also eher dem Rat des Trainers gefolgt, als dass er mir etwas vorgeschrieben hat. Jetzt kommt ein, zwei Mal pro Woche ein Lehrer zu mir, um mich zu unterrichten.