Klubführung schreibt offenen Brief: Hannover 96 in der Stimmungskrise
Hannover 96 steckt vor dem heutigen Heimspiel gegen Tabellenführer Bayern München in einer tiefen Stimmungskrise. Die Kluft zwischen Vereinsführung und Gruppierungen der Ultra-Szene wird immer größer. Ein offener Brief des Klubs hilft da wenig.
Eigentlich müssten sie den großen FC Bayern München wieder ausladen. Fußball-Bundesliga, Spieltag 24, ganz ehrlich: Hannover 96 ist in diesen Tagen nicht in der richtigen Stimmung, um sich sinnvoll mit dem Tabellenführer zu beschäftigen. Der Verein hat einfach zu viel mit sich selbst zu tun. Es ist nicht untertrieben zu behaupten, dass in der Stadt selten zuvor so wenig Vorfreude auf Manuel Neuer, Arjen Robben und Co. zu spüren war. Schlechte Leistungen, miese Stimmung, stadioninterner Streit: Die Gemengelage in Hannover ist so verworren, dass sie zumindest als kuriose Taktik gegen die übermächtigen Münchner gut sein könnte. Nichts gegen Fünfer-Abwehrketten oder mutiges Gegenpressing, all das hat die Konkurrenz schon erfolglos getestet. Als Spaßbremse in eigener Sache ist aber noch keiner gegen den Deutschen Meister angetreten.
Was gut gemeint war, hat den Ernst der Lage weiter verschärft. Weil sich Hannover 96 mit seinen Ultras überworfen hat und diese seitdem die Profispiele entweder boykottieren oder durch Zwischenrufe stören, will im Stadion am Maschsee keine Freude mehr aufkommen. „Wir als Klub hätten uns eher zu Wort melden müssen“, lautet eine von vielen merkwürdigen Passagen, die die Vereinsführung in einem offenen Brief an alle 96-Fans wählt. Das Schriftstück, kurz vor dem Heimspiel gegen die Bayern platziert, gleicht einem indirekten Versuch, sich endgültig von den Ultras zu distanzieren und die normale Kundschaft zu mobilisieren.
Martin Kind ist ein Sturkopf, der die Geduld verloren hat
In den sozialen Netzwerken und Internetforen wird genau das als ein Akt der Hilflosigkeit eingestuft. Der Verein hat gewaltbereiten Fans, für deren Vergehen und deren Lust an Pyrotechnik er regelmäßig Geldstrafen zahlen muss, die kalte Schulter gezeigt. Das war konsequent, dient dem Schutz „normaler“ Zuschauer und verdient Respekt. Dass Hannover 96 die überaus frostige und feindselige Stimmung, die aus dem Bruch mit den Ultras entstanden ist, irgendwann bereuen könnte, mag keiner der Offiziellen offen zugeben.
Den Appell, die eigene Mannschaft doch bitte möglichst lautstark und positiv zu unterstützen, hatte es auch schon vor dem Heimspiel am vergangenen Samstag gegen den VfB Stuttgart (1:1) gegeben. Das Ergebnis: Gerade einmal fünf Minuten nach dem Anpfiff waren aus der Nordkurve wieder die „Kind muss weg“-Rufe zu hören. Präsident Martin Kind hat den Verein innerhalb von 15 Jahren vor der Insolvenz bewahrt, zurück in die Bundesliga gebracht und dort etabliert. Aber der 70-Jährige ist auch ein Sturkopf, der die Geduld verloren hat.
Ist Trainer Tayfun Korkut noch der richtige?
Er hat mittlerweile lieber eine mäßige Stimmung ohne Ultras im Stadion als gute Stimmung mit gesetzeswidrigen Randerscheinungen. Bei dem Bemühen, neue Choreographien und Fangruppierungen entstehen zu lassen, versagen Kind ausgerechnet seine wichtigsten Helfer den Dienst. Die Profis von Hannover 96 sind in diesem Jahr noch ohne Pflichtspielsieg, taumeln dem unteren Tabellendrittel entgegen und bringen mit leblosen Auftritten auch noch den Rest der Kundschaft in Rage. Der Wandel einer Mannschaft, die vor zwei Jahren noch in der Europa League bejubelt wurde, verschärft die Imagekrise des Vereins.
Zu der Debatte, ob sich ein Stadionbesuch bei Hannover 96 noch lohnt, gesellt sich die unangenehme Frage, ob der aktuelle Trainer noch der richtige ist. Tayfun Korkut ist Ende 2013 mit viel Vorschusslorbeer zum Nachfolger des entlassenen Mirko Slomka erklärt worden. Unter ihm spielt die Mannschaft strukturierter, aber auch harmloser und unansehnlicher. Vielleicht steht der 41-Jährige bei Klubchef Kind auch deshalb so hoch im Kurs, weil er von seinem eingeschlagenen Kurs nicht abweicht. „Druck ist mein ständiger Begleiter, um den ich mich kümmere“, sagt Korkut, der beim harten Kern der Fans jeglichen Kredit verspielt hat. Ihm und Sportdirektor Dirk Dufner steht an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) nicht das schönste Spiel des Jahres, sondern eher das unbequemste bevor.
„So geht es nicht weiter“, heißt es in dem offenen Brief, der Zuschauer und Verein zusammenrücken lassen soll. Doch selbst das geschriebene Wort bei Hannover 96 ist in diesen Tagen von einer Sturheit geprägt, die für die nähere Zukunft wenig Gutes erahnen lässt.