Testspiel gegen Füchse Berlin: Handball auf Japanisch
Dagur Sigurdsson will die Nationalmannschaft Japans weiterentwickeln. Die Aufbauarbeit in Fernost findet gerade in Potsdam statt - auch gegen die Füchse Berlin.
Dagur Sigurdsson ist in Deutschland noch genau so beliebt wie früher. Als er zuletzt mit der japanischen Handball-Nationalmannschaft in Potsdam spielte, kamen Zuschauer und Fans in Scharen zum Trainer. Bei der Saisoneröffnung der Füchse Berlin und des 1. VfL Potsdam war der Isländer die gefragteste Person. Die japanischen Spieler konnten einem schon fast leidtun, denn für sie interessierte sich kaum einer. Sigurdsson nahm es lächelnd hin und erfüllte jeden Autogrammwunsch.
Diese Aufregung um seine Person ist der Isländer, der 2017 überraschend als Bundestrainer in Deutschland aufhörte, gar nicht mehr gewöhnt. In Japan begegnen ihm die Menschen anders, Handball ist dort eine Randsportart. Meistens schlendert Dagur Sigurdsson in den Straßen der Metropole Tokio entlang. In Ruhe. Island, Deutschland, Japan – "das sind eigentlich drei Welten für mich", sagt Sigurdsson. "In Island kennen mich alle und keiner will was von mir. In Deutschland kennen mich alle und wollen mit mir sprechen." Kein Wunder: In Deutschland trainierte er die Füchse und holte sensationell den Titel mit der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2016 in Polen. Seither rennen die Deutschen diesem Erfolg hinterher. Und Sigurdsson?
Dass er in Japan sein Glück versucht, kommt für viele immer noch etwas befremdlich daher. Aber der 45-jährige Isländer sagt: "Ich bin zufrieden und glücklich mit meiner Entscheidung." Sigurdsson ist gewissermaßen der Entwicklungshelfer des japanischen Handballs. Sportlich sei er um "zwei bis drei Stufen runtergegangen". Doch das störe ihn nicht. Neben der Herausforderung, etwas Neues zu wagen, gab es aber noch einen anderen, traurigen Grund für seinen Abschied aus Deutschland. "Ich wollte wieder mehr Zeit mit meiner Familie in Island verbringen – vor allem mit meinen Eltern", sagt Sigurdsson und wird ungewohnt privat: "Mein Vater hat Alzheimer." Sigurdsson pendelt zwischen Island und Tokio hin und her und ist ein Drittel des Jahres in Japan. Die japanische Nationalmannschaft will er weiterentwickeln, um bei der Weltmeisterschaft 2019 in Deutschland und Dänemark erfolgreich zu sein. Die Japaner haben für das Turnier eine Wildcard.
Wichtige Erfahrung in Sachen internationale Härte
Jetzt trimmt er seine Mannschaft für zwei Wochen am Potsdamer Luftschiffhafen. Bei dem Blitzturnier am Freitagabend in Potsdam holten sich die Japaner wichtige Erfahrung in Sachen internationale Härte – besonders gegen die Füchse Berlin. "Wir wissen, dass sie derzeit noch eine Nummer zu groß für uns sind", sagte der Trainer zur Stärke seines ehemaligen Vereins. Die Japaner gewannen immerhin gegen den Drittligisten aus Potsdam.
Das Interessante daran: Bereits nach einem Jahr im neuen Land spricht Sigurdsson Japanisch mit seinen Spielern. Seine Auszeit-Ansprachen scheinen genauso impulsiv und strukturiert zu sein wie zu seinen Zeiten als Bundestrainer. Sprachkenntnisse sammelte Sigurdsson bereits zu seinen Zeiten als Spieler von Wakunaga Hiroshima, wo er von 2000 bis 2003 aktiv war. Alle Japaner verstehen ihn. Mit dabei war auch diesmal die blaue Taktiktafel, die in Deutschland zu Sigurdssons Markenzeichen wurde. Das japanische Team trug die Handschrift des Trainers – und machte die körperlichen Nachteile mit Tempogegenstößen und variablem Passspiel wett.
Die Entwicklung im japanischen Handball schreitet voran – wenn auch langsam. "Es ist nicht das Problem, dass es wenige Spieler gibt. Es gibt Tausende. Die meisten spielen in Universitäten" , erklärt Sigurdsson. Genau bei diesen Spielern sieht der Trainer das große Potenzial. Er hat bereits gute Erfahrungen mit ihnen gemacht: "Ich habe schon mehrere Spieler direkt aus der Uni in die Nationalmannschaft aufgenommen. Wir brauchen ein System, was diese Spieler mehr fördert."
Füchse-Manager Bob Hanning bezeichnet die Aufbauarbeit seines Freundes in Fernost als "Herkules-Aufgabe". Das größte Problem seiner jungen Mannschaft, sei die fehlende Erfahrung und "die 20 bis 30 Zentimeter, die gegenüber Europäern" an Körpergröße fehlen, sagt Sigurdsson. Von dem Niveau in Europa sei der japanische Handball weit weg. Sigurdssons Ziel ist es, die Mannschaft langsam aufzubauen und dann nach den Olympischen Spielen 2020 in Tokio an die besten 20 Teams in der Welt heranzukommen. (mit dpa)
Sven Noack