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Ab durch die Mitte. Grischa Prömel, 23, holte mit Deutschland Silber bei den Olympischen Spielen in Rio und hat sich bei Union in dieser Saison zum Stammspieler entwickelt.
© Friso Gentsch/dpa

1. FC Union: Grischa Prömel: "Vielleicht müssen wir uns mehr zutrauen"

Unions Mittelfeldspieler spricht über die Ambitionen des 1. FC Union, die besonderen Fähigkeiten von Julian Nagelsmann – und das Auto seiner Oma.

Von David Joram

Herr Prömel, Julian Nagelsmann hat mal gesagt: „Grischa ist ein bodenständiger Arbeiter.“ Was meinte er damit genau?

Mit bodenständig meint er wahrscheinlich, dass ich nicht sonderlich auffallen muss. Ich mache mir nicht viel aus großen Autos, Tattoos oder Ähnlichem. Hat vermutlich auch was mit meiner Erziehung zu tun und den Werten, die mir meine Eltern vermittelt haben. Die schauen schon auf mich und wollen nicht, dass ich mir etwas darauf einbilde, Fußballprofi geworden zu sein.

Aber ein bisschen stolz dürfen Sie schon sein, oder?

Klar, ich habe ja hart dafür gearbeitet, das zu schaffen, habe auf vieles verzichtet, um soweit zu kommen. Aber mir ist auch wichtig, was die Leute über mich denken. Schließlich will ich nicht als abgehoben wahrgenommen werden und als 18-jähriger Profi mit einem dicken Auto vorgefahren kommen. Das bin einfach nicht ich.

Mittlerweile sind Sie 23 Jahre alt. Stimmt die Geschichte, dass Sie immer noch das Auto Ihrer Oma fahren?

Ja, die stimmt.

Und das hat es aus Ihrer Heimat Baden-Württemberg noch nach Berlin geschafft?

Das ging noch, nur zurück würde ich damit wahrscheinlich nicht mehr kommen.

TÜV ist nochmal drin?

Der steht demnächst an. Eigentlich müsste ich damit noch durchkommen.

Sie sind auch nicht den klassischen Karriereweg eines deutschen Fußballprofis gegangen, weil Sie erst im letzten Jahr A-Jugend in ein Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) wechselten. Warum so spät?

Meine Eltern haben gesagt: Erst kommt die Schule, dann der Fußball. Wenn ich Abi hab’, könne ich immer noch schauen, was geht. So kam es auch: Ich hatte eine gute U-19-Saison 2012/2013 bei den Stuttgarter Kickers, danach – für meine letzte U-19-Saison – kam die Anfrage von Hoffenheim und Nagelsmann.

Direkt von ihm?

Nach einem Spiel meiner Kickers in Hoffenheim rief er an und meinte: „Hey Grischa, gutes Spiel heute. Hat mir gefallen.“ Ob ich mal nach Hoffenheim kommen wolle, mir das alles anschauen. Also fuhr ich mit Papa nach Hoffenheim, schaute mir das NLZ an und dachte nur: Wow, wo bin ich denn hier? In der Zukunft, oder wie? Zwischen der TSG und den Kickers lagen Welten. Wenn man in der Hoffenheimer Jugend spielt, weiß man plötzlich: Okay, du bist jetzt in dem Kreis angekommen. Es liegt an dir, ob du bereit bist, mehr zu machen als die anderen. Ob du bereit bist, mehr zu arbeiten.

Hatten Sie Nachteile, weil Sie erst in Ihrem letzten A-Jugend-Jahr im NLZ spielten?

Das kann man so und so auslegen. Als ich bei den Kickers spielte, brauchte ich mit der Bahn eine Stunde ins Training. In der Bahn habe ich fürs Abi gelernt, um die Schule auf die Reihe zu kriegen. Da lernt man Zeitmanagement. Die Kickers waren insgesamt bodenständiger.

Was ja zu Ihnen passt.

Die hatten nicht dieselben Möglichkeiten wie der andere Verein in der Stadt, der VfB Stuttgart. Trotzdem ging’s um Fußball. In Hoffenheim habe ich nochmal einen Riesenschritt gemacht, gerade im athletischen Bereich. Dort arbeitete ich mit Kai Kraft, der nun bei RB Leipzig angestellt ist, zusammen. Der erklärte mir, wie Trainingssteuerung funktioniert, es gab genaue Analysen: Welches Training zu welcher Zeit braucht ein angehender Profifußballer? Hoffenheim ist ein anderes Level. Teilweise hatten wir mit der U 19 in der Halbzeitpause eines Ligaspiels Videoanalysen im Nebenzimmer. Das bringt dich dann auch taktisch voran. So ein NLZ ist schon cool.

Aber?

Im Internat wohnte ich mit einem 14-Jährigen aus Israel zusammen. Der verlässt sein Land mit der Botschaft „du musst jetzt Profi werden, sonst hast du deine Jugend vergeudet.“ Meine Kumpels, die ich heute noch habe und aus der Schule kenne, sind gern um die Häuser gezogen. Das ist im NLZ nicht machbar.

Die Partys haben Sie also noch mitgenommen?

Ich war noch nie der große Partygänger, aber die Möglichkeiten waren halt da.

Mit Nagelsmann wurden Sie Deutscher A-Jugend-Meister, erstmals in der TSG-Geschichte. Tickte er damals schon so emotional?

Das U-19-Jahr war riesig. Nagelsmann hat immer engagierte Ansprachen gehalten und brannte auf den Sieg. Vor jedem Spiel gab’s so emotionale Ansagen, dass man das Gefühl bekam, sich für den Trainer zerreißen zu müssen.

Stumpft man irgendwann nicht ab?

Er fand immer die richtigen Worte und wusste, wie die Spieler zu packen waren, auch die, die mal zwei Spiele nicht zum Einsatz kamen. Dazu kommt sein brutales Fußballverständnis und seine Menschlichkeit. Das macht ihn einfach stark.

Träumen Sie manchmal davon, nochmal unter Nagelsmann spielen zu dürfen?

Definitiv, klar. Schon in Hoffenheim hat man gesehen, dass es hoch hinausgehen kann. Seine Entwicklung freut mich.

Besteht noch Kontakt?

Ja, Kontakt haben wir noch, aber jetzt zählt für mich Union.

Wenn alles gut läuft, spielen Sie nächstes Jahr in der Ersten Liga gegen Nagelsmann. Ihr Torwart, Rafal Gikiewicz, will in dieser Saison sogar Erster werden. Muss das der Anspruch An der Alten Försterei sein?

Ich kann nur für mich sprechen und sagen, dass man als Sportler natürlich immer etwas Großes erreichen will. Da macht es wenig Sinn, wenn man sich nach hinten orientiert. Wir gehen ja nicht ins Spiel und sagen, wir wollen Unentschieden spielen.

Ist das so auch zu spüren?

Definitiv. Jeder hat Hunger auf Erfolg und will dem Team helfen. Das muss auch so sein. Keiner kann sagen: Ach, heute geb’ ich mal nur 80 Prozent.

Was allein wegen der großen Konkurrenz schwerlich funktioniert. Nur sehr wenige – wie Sie – kamen in allen zwölf Ligaspielen zum Einsatz. Was macht Sie unersetzlich?

Das ist eine Frage für den Trainer und ob das so ist, wird sich gegen Fürth zeigen. Da brauchen wir auf jeden Fall drei Punkte.

Sie fehlen wegen einer Gelb-Rot-Sperre aus dem Regensburg-Spiel. Die erste Gelbe gab es, weil Sie den Ball auf den Boden gedonnert haben.

Schlimmer ist, dass ich jetzt fehle – und dass ich die Mannschaftskasse führe…

… weil Sie so zuverlässig sind?

Oder weil ich aus dem Schwabenländle komme.

Nagelsmann sagte auch, Sie hätten eine extreme Präsenz auf dem Platz, Seien als „Sechser“ aber zu viel unterwegs. Was davon stimmt noch?

Ich habe in Hoffenheim die alleinige Sechs gespielt mit zwei Achtern davor. In so einem System ist es halt schon wichtig, dass du als defensive Sechs die Position hältst, um abzusichern. Das war immer das Anliegen von Nagelsmann: Dass wir nicht in Konter laufen, dass du noch einen Mann vor der Abwehr hast.

Und das hat nicht immer geklappt?

Ich habe einen gewissen Offensivdrang, der kam für Nagelsmann vielleicht zu viel durch. Er hat gesagt, dass mir das für meine zukünftige Karriere nicht schaden würde. Aber wenn ich die alleinige Sechs spiele, dann wollte er halt, dass ich ein bisschen defensiver eingestellt bin.

Würden Sie sich auch bei Union gerne etwas offensiver sehen?

Ich denke, ich habe weiter vorn auch Qualitäten, eben durch meine Präsenz. In dieser Saison passt es ganz gut: Defensiv spiele ich die klare Sechs mit Manu Schmiedebach. Wenn wir im Angriff sind, kann ich auf die Acht schieben.

Drei Tore bestätigen das. So erfolgreich waren Sie in der Zweiten Liga noch nie.

Das ist irgendwo logisch. Wenn ich offensiver eingesetzt werde, fällt eben mal ein Ball runter und ich komme zu mehr Abschlüssen. Da muss man natürlich auch immer ein bisschen Glück haben.

Die beiden Union-Themen lauten derzeit: Zu viele Remis, zu wenig Tore. Trotz Ihres Offensivgeistes. Woran liegt das?

Ich glaube, es liegt daran, dass wir defensiv extrem gut gegen den Ball arbeiten. Nicht nur die letzte Reihe macht eine brutale Arbeit, sondern das ganze Team zieht geschlossen mit. Wenn wir dann wieder in Ballbesitz sind, nachdem du davor hart gegen den Ball gearbeitet hast, dann hast du erstmal einen hohen Puls, die Konzentration ist vielleicht nicht so da.

Was empfehlen Sie?

Vielleicht fehlt der Mut, mehr Risiko zu gehen. Vielleicht müssen wir uns mehr zutrauen, offensiv das Eins-gegen-Eins suchen, mehr probieren.

Das Gespräch führte David Joram.

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