Borussia Mönchengladbach: Granit Xhaka: Der Frühreife
Borussia Mönchengladbach muss am Mittwochabend im Rückspiel der Play-offs zur Champions League bei Dynamo Kiew ein 1:3 aufholen. Granit Xhaka glaubt noch an das Weiterkommen, obwohl bei dem Schweizer genauso wie bei seiner neuen Mannschaft noch längst nicht alles perfekt läuft.
Granit Xhaka muss nicht viel machen, um seinen Missmut auszudrücken. Einfach gucken und schweigen. So ist das auch nach seinem ersten Spiel in der Bundesliga. Der Schweizer schaut haarscharf am Fragesteller vorbei, und das reicht schon, damit man merkt, dass ihm die Frage nach der Umstellung auf die neue Liga nicht besonders gefallen hat. „Die Umstellung war nicht so groß“, antwortet der Neuzugang von Borussia Mönchengladbach nach kurzem Nachdenken. „In der Schweiz, in England, in Deutschland, überall ist der Ball rund.“ Xhaka ist 19, bei anderen Menschen seines Alters würde man ein solches Auftreten vielleicht als Ausdruck einer gewissen Unsicherheit deuten. Xhaka ist anders.
„Im Kopf bin ich älter“, hat er vor zwei Wochen in einem Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt. Schon als Kind wurde von Xhaka erwartet, dass er Verantwortung übernimmt. Er musste seinen Bruder von der Schule abholen; er war es, der mit fünf von seinen Eltern den Haustürschlüssel um den Hals gehängt bekam. Sein Bruder ist anderthalb Jahre älter.
Auch auf dem Fußballplatz ist der gebürtige Kosovo-Albaner als besonders frühreif aufgefallen. Mit 17 debütierte er bei den Profis des FC Basel, mit 18 in der Schweizer Nationalmannschaft. Und wenn Xhaka an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/live im ZDF) mit den Gladbachern bei Dynamo Kiew um den Einzug in die Champions League spielt, ist er der jüngste Spieler seiner Mannschaft – und doch der mit der meisten Champions-League-Erfahrung.
Immerhin 8,5 Millionen Euro haben die Gladbacher in diesem Sommer für den Mittelfeldspieler aus der Schweiz investiert. Xhaka war damit hinter dem holländischen Stürmer Luuk de Jong (12 Millionen) zwar nur der zweitteuerste Transfer, in den Planungen des Klubs aber nimmt er eine Schlüsselrolle ein. „Er ist der Stratege, sehr präsent, kann mit jedem Ball etwas anfangen“, hat Sportdirektor Max Eberl gesagt. „Das ist Fußball, wie man ihn sich vorstellt.“ Xhaka soll Roman Neustädter, der ablösefrei zum FC Schalke 04 gewechselt ist, nicht nur ersetzen; er soll dem Spiel der Gladbacher aus dem zentralen defensiven Mittelfeld heraus einen Mehrwert verschaffen.
Neustädter war ein Funktionsspieler, einer, der es nicht darauf anlegt, selbst zu glänzen, sondern seine Mannschaft mit seiner Art besser aussehen lässt. Zudem besaß er ein extremes Gespür für Gefahr und war damit gerade für Borussias defensive Stabilität von enormer Bedeutung. Seine Beteiligung am Offensivspiel blieb hingegen überschaubar. In 59 Bundesligaspielen für Mönchengladbach schoss Neustädter nur ein Tor, ganze zwei bereitete er vor. Mit Xhaka soll nun aus dem Mittelfeld deutlich mehr Torgefahr ausgehen – gerade nach dem Weggang von Marco Reus.
Doch Borussias Neuer ist noch auf der Suche nach der Balance zwischen defensiver Vernunft und offensivem Wagemut. Was Neustädter zu viel an Gespür für Gefahr besaß, das hat Xhaka nach den ersten Eindrücken zu wenig. Im Hinspiel gegen Kiew (1:3) leitete er mit einem vogelwilden Pass im Mittelfeld das 1:2 ein, und auch bei seinem Bundesligadebüt am Samstag gegen Hoffenheim (2:1) leistete er sich einige riskante Dribblings und gefährliche Ballverluste. „Auch mir passieren Fehler“, sagte Xhaka. „Wenn ich perfekt wäre, wäre ich schon in Barcelona.“
Lucien Favre ist kein Freund übermäßigen Risikos, aber er weiß, dass er Xhaka im Moment noch das Privileg der Jugend zum Leichtsinn gewähren muss: Er ist doch erst 19. „Oh, là, là“, sagte Borussias Trainer, als er auf die Fehler seines Landsmanns angesprochen wurde, und schüttelte den Kopf. „Er ist gut, spielintelligent, aber technisch gibt es noch viel zu tun.“ Xhaka steht damit im Grunde symbolisch für die ganze Mannschaft. Die Gladbacher befinden sich noch im Findungsprozess, nachdem ihnen mit Reus, Neustädter und Innenverteidiger Dante die zentrale Achse abhanden gekommen ist. „Da haben wir viel zu tun“, sagt Favre. Ihm fehlt es im Spiel seiner Mannschaft noch an der richtigen Bewegung, offensiv wie defensiv, an richtigen Entscheidungen und am Umschaltspiel nach Balleroberung. Zudem ist der Schweizer Trainer noch auf der Suche nach einem System, in dem die Neuen ihre Qualitäten am besten zur Geltung bringen können.
Vermutlich wird das alles weit mehr Zeit in Anspruch nehmen, als viele denken. Vor dem Rückspiel in Kiew glauben die Gladbacher zwar pflichtschuldig an ihre Chance auf ein Weiterkommen; angesichts der Anpassungsprobleme der neu formierten Mannschaft käme dies allerdings einem mittleren Wunder gleich. Granit Xhaka sieht das naturgemäß ein bisschen anders. „Wir fahren nicht nach Kiew, um Ferien zu machen“, sagt er. „Wenn die bei uns drei Tore schießen, können wir das auch bei denen.“