Hooligans in Italien: Fußball als Vorwand
In Italien ist das Gewaltproblem mit Hooligans deutlich größer als in Deutschland. Rechtsradikal geprägte Gruppen terrorisieren Italien seit langem – und die harten Maßnahmen der Politik haben das Problem sogar noch verschärft.
Gegen Salafisten haben italienische Hooligans bisher noch nicht mobil gemacht. Aber das ist wahrscheinlich der einzige Agendapunkt fußballnaher Gewalt, der in Italien noch nicht ausprobiert wurde. Traditionell ist das Gewaltproblem im Umfeld des calcio größer als in Deutschland, vor allem, seit vor knapp drei Dekaden rechtsradikale Gruppen zumindest temporär die Meinungsführerschaft in manchen Kurven errungen haben. Seither ist der italienische Fußball fest im Griff der Gewalttäter, die teils drakonischen Maßnahmen haben das Problem nur noch schlimmer gemacht.
Die Masse der gewaltbereiten Fußballsympathisanten ist wie in Deutschland schwer einzuschätzen. Große Teile sortieren sich in die „Ultra“-Bewegung ein. Rund 40 000 Ultras sind in Italien unterwegs, die Bandbreite reicht dabei vom normalen Stadiongänger bis zum rechtsradikalen Hooligan. Das gewaltbereite Potenzial unter den Ultras liegt Schätzungen zufolge bei etwa zehn Prozent. Diese Minderheit verbreitet jedoch seit Jahren Angst und Schrecken – seit die Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien rigider geworden sind, vor allen Dingen außerhalb der Arenen, auf Autobahnraststätten oder in Außenbezirken.
Auch an diesem Wochenende hält Fußballitalien mal wieder den Atem an. Denn am Samstag treffen in Neapel der heimische SSC und der AS Rom aufeinander. Die Anspannung rührt von den Todesschüssen her, die den italienischen Fußball im Juli erschütterten. Der bekennende rechtsradikale Roma-Hooligan Daniele De Santis hatte sie am Rande des Pokalfinales zwischen Neapel und dem AC Florenz auf den neapolitanischen Fan Ciro Esposito abgefeuert. Esposito erlag später seinen Verletzungen.
Antonella Leandri, die Mutter Espositos, forderte die Fans der verschiedenen Lager im Angedenken ihres Sohnes mehrfach zum Verzicht auf Gewalt aus. „Der Hass zwischen den Fangruppen muss aufhören“, meint sie. Als Zeichen einer möglichen Versöhnung erzählt sie von einer Begebenheit im römischen Krankenhaus Gemelli, als ihr Sohn noch mit dem Tod rang. „Neben den hunderten Neapelfans, die vor dem Krankenhaus lagerten und uns beistanden, war auch ein Roma-Fan. Er übergab mir seinen Fanschal mit den Worten: ,Ich vermute zwar, dass Ciro diesen Schal sofort wegwerfen wird. Ich möchte ihn aber trotzdem geben als Zeichen dafür, dass auch Roma-Fans bedauern, was mit Ciro geschehen ist.‘“ Der Roma-Schal befindet sich nun im Zimmer des Verstorbenen unter den zahlreichen Gaben anderer Fans von italienischen, aber auch deutschen und englischen Vereinen sowie einem Trikot Maradonas, das Neapels Volksheld seinem Anhänger überreichen ließ.
Der Tod und das Begräbnis Espositos hinterließen selbst bei hartgesottenen Ultras Eindruck. 40.000 Personen versammelten sich auf dem Platz von Scampia, dem spätestens seit dem Buch „Gomorrha“ von Roberto Saviano übel beleumdeten Außenbezirk Neapels. „Es war wie ein Staatsbegräbnis“, erinnerte sich eine Nachbarin. Fanabordnungen der meisten Serie-A-Klubs waren anwesend. Giancarlo Capelli, langjähriger Sprecher der Milan-Ultras, war ebenfalls dabei.
Die zwei Hauptursachen der Gewaltspirale in Italien
Für ihn stellt dieses Erlebnis ein Warnsignal dar. „Zum Ultra-Dasein gehört zwar der Kampf“, sagt Capelli. „Aber man muss auch wissen, wann man aufhört. Niemals darf es zu Toten kommen. Das wünscht sich doch keiner.“ Er sieht zwei Ursachen der Gewaltspirale der letzten Jahre: Einerseits jüngere Fans, die sich nicht mehr an die Regeln der Alten halten und eine Eskalation suchen. Andererseits den Staat, der immer neue Sanktionsmaßnahmen entwickelt. Das habe zu einer weiteren Radikalisierung geführt und auch den Zorn moderaterer Fans ausgelöst.
Der inzwischen obligatorische Fanausweis etwa führte dazu, dass viele moderate Fans auf Jahresabonnements verzichten und an Auswärtsfahrten nicht mehr teilnehmen. Im Oktober brachte Italiens Premier Matteo Renzi ein Gesetzespaket durchs Parlament, das ein Stadionverbot auch bei Delikten außerhalb des Stadions wie Raub, Drogenhandel oder Körperverletzung vorsieht. Auch gegen einzelne Gruppen können Stadionverbote verhängt werden. Die Regularien orientieren sich an den Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität. Das zeigt, welche Bedeutung die Justiz mittlerweile der fußballbezogenen Gewalt zuerkennt.
Bei dem Spiel am Sonntag verbietet das vom Innenministerium geführte Komitee für Stadionsicherheit lieber gleich allen römischen Fans die Anreise. Sie sind die Leidtragenden einer Minderheit. Denn der Todesschütze De Santis gehörte einer kleinen Fraktion von Roma-Hooligans an, die neben dem Fußball auch rechtsextremen Aktivitäten nachging. Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene war der spätere Bürgermeister Roms Gianni Alemanno. De Santis gehörte in den Nullerjahren sogar zu Kandidaten auf Wahllisten Alemannos.
Im Roma-Lager hatte De Santis laut Beteuerung einiger Fans zwar kein sonderlich großes Gefolge. Aber die Organisiertheit der von ihm geführten Gruppe verschaffte ihm Respekt. Er gehörte zu jenen Fananführern, die beim Römer Derby 2004 gegen Lazio in Erscheinung traten. Damals wurde auf den Rängen die – wie sich später herausstellte falsche – Nachricht über ein zu Tode gekommenes Kind lanciert. De Santis durfte da trotz vorheriger juristischer Probleme als Verhandlungspartner von Roma-Kapitän Francesco Totti glänzen. Solange selbst die Profis dazu beitragen, Männer wie De Santis mit Autorität zu versehen, bleibt der calcio in der Hand solcher Gewalttäter. Reinigung tut hier Not. Repression allerdings, die sich gegen die Gesamtheit der Fans richtet, verschärft und radikalisiert den Widerstand nur noch. Momentan befindet sich Fußballitalien in einer Sackgasse.
Einen Artikel über islamfeindliche Hooligans aus England auf "Zeit Online" finden Sie hier.
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