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Gegen den Ball und die Zeit. Per Mertesacker ist einer dienstältesten deutschen Nationalspieler. Sein erstes von bislang 95 Länderspielen bestritt der 29-Jährige 2004. Nach Stationen bei Hannover 96 und Werder Bremen wechselte er 2011 zum FC Arsenal, wo er gerade seinen bis 2015 laufenden Vertrag vorzeitig auf ungenannte Zeit verlängert hat.
© dpa

Per Mertesacker im Interview: "Für Titel braucht man besondere Tage"

Per Mertesacker spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Teamgeist, Charakter und Lernwilligkeit auf dem Weg zur WM-Endrunde im Sommer in Brasilien.

Herr Mertesacker, hören Sie es ticken?

Zum Glück, ja. Es wäre um mich nicht gut bestellt, wenn ich sie nicht ticken hören würde. Ich weiß, worauf Sie abzielen: Der WM-Countdown läuft – für alle hier tickt die Uhr.

Bedurfte es einer Ermahnung durch den Bundestrainer, oder kommt ein Nationalspieler da nicht auch selbst drauf?

Grundsätzlich wissen die Spieler das, vor allem die erfahrenen, die solche Turniervorläufe schon mitgemacht haben. Da muss eine Anspannung und Professionalität an den Tag gelegt werden. Aber es kann nicht schaden, auch mal wieder daran erinnert zu werden.

Sie selbst haben eine ungemütliche Erfahrung gemacht. Nach drei Turnieren als Stammspieler 2006, 2008 und 2010 erlebten Sie die EM 2012 als Reservist. Auch dieses Mal sind einige Spieler angeschlagen oder schlicht außer Form.

Klar, es verwässert so ein bisschen das Bild. Auf dem Papier sind wir qualitativ und quantitativ gut aufgestellt, wir sind auf jeder Position doppelt besetzt, was dem Trainer viele Möglichkeiten gibt. Aber wie viele Spieler haben momentan den Rhythmus und die Fitness, die es braucht, bei der WM in Brasilien mit all den Unwägbarkeiten zu bestehen?

Zu bestehen ist gut, von der deutschen Mannschaft wird der Titel erwartet.

Dazu brauchen wir Spieler, die voller Selbstbewusstsein, Zutrauen und bester körperlicher Verfassung sind. Wir haben eine Mannschaft, die richtig was reißen kann, aber im Moment sieht die Realität etwas anders aus. Ich weiß, was es heißt, bei einem Turnier mal nicht in die erste Elf zu kommen, sondern in der zweiten Reihe zu stehen. Wir brauchen einen guten Geist, eine starke Haltung und 23 Spieler, die voll hinter unserem Ziel stehen. Die 23 werden wir dann sicher auch haben, entscheidend aber wird, dass sich dann jeder maximal einbringt.

Ist das das gewisse Etwas, das der Mannschaft bei den vergangenen vier Turnieren gefehlt hat, um als Sieger durchs Ziel zu gehen?

Gute Frage. Ich glaube, wir hatten schon Turniere mit sensationellem Teamgeist, wo man das auch gespürt hat. Hinterher ist es immer leicht zu sagen, da hat das gefehlt, dort hat jenes gefehlt. Jedes Turnier schreibt seine eigene Geschichte. Schwer zu vergleichen, aber jetzt ist die interne Konkurrenzsituation noch größer geworden. Wir haben so viele gute Spieler. Die wollen alle spielen, haben wahrscheinlich auch einen Anspruch darauf, aber der Bundestrainer wird Entscheidungen treffen, die nicht einfach werden. Dann ergibt sich für manchen Spieler die Frage: Wie kann ich der Mannschaft helfen, auch wenn ich nicht spiele?

Wie meinen Sie das?

Egal was war, ab sofort zählt nur diese WM. Für jeden von uns, egal in welcher Rolle und Position. Und dafür muss jeder sich bestmöglich einbringen, schon jetzt. Mein entscheidendes Thema beispielsweise ist, dass ich meine gute Form bis Brasilien konserviere.

Wie wollen Sie das anstellen?

Indem ich das, was ich ohnehin schon mache, beibehalte. Da sehe ich mich auf einem guten Weg. Und dazu gehört natürlich auch das ganze Leben neben dem Platz, wie man so schön sagt. Regeneration, Pflege, Lernwilligkeit, Weiterbildung. Da bin ich äußerst akribisch. Es reicht eben nicht das normale Programm und Pensum. Wir wissen doch: Für Titelgewinne braucht es besondere Tage. Und für besondere Tage, Spieler mit besonderer Qualität und in besonderer Form. Das ist unsere Herausforderung.

"Das liegt in der Natur der Deutschen, dass wir schnell zweifeln."

Sie spielen Ihre vielleicht beste Spielzeit. Sie sind wieder Chef der deutschen Abwehr und führen den FC Arsenal als Kapitän. Ist es nicht schön, mal nicht Teil einer Problemzone zu sein?

(lacht) Ach, die Abwehr. Ich habe schon drauf gewartet. Klar freue ich mich, aber das kann schnell gehen. Das liegt in der Natur der Deutschen, dass wir schnell zweifeln, schnell Ängste anmelden. Das war eigentlich vor jedem Turnier so, dass zielstrebig auf die Abwehr losgegangen wurde. Für uns war es nach den Spielen gegen die USA und Paraguay wichtig, dass wir uns wieder stabilisiert haben. Es ist schon wichtig, dass auf uns Verlass ist. In der Innenverteidigung sind wir so gut besetzt, wir haben so gute Charaktere dabei, die sich bis zur WM noch in Form bringen, sodass wir auch in der Abwehr extrem konkurrenzfähig sein werden.

Hört sich viel versprechend an. Woher nehmen Sie diese Zuversicht? Haben Sie das in England gelernt?

Zuversicht kann man lernen, aber ich kann auch etwas dafür tun. Als ich nach England ging, kam ich in eine Liga, die weltweit eine Marke ist, aber von der so gut wie niemand das Innenleben kennt. Das heißt, wenn man diesen Schritt wagt, muss man bereit sein, zu lernen. Und das wollte ich. Ich wollte mich dem stellen und verpflichtet fühlen, was dort wichtig ist – wie Tradition, Seele, Sprache. Ich habe versucht zu beherzigen, was den Leuten dort wichtig am Fußball und im Leben ist. Das wird gewertschätzt.

Und nun profitieren Sie davon.

Für mich kann ich sagen, dass sich die eigene Persönlichkeit öffnet und weitet. Denn England ist schon anders. Die Engländer wollen auch anders sein. Sie wollen auf der linken Seite fahren, ihr spezielles Essen haben, sie wollen ihr Pfund behalten und sie wollen nur halb in der EU sein. Und trotzdem braucht man sich nicht verbiegen, um dort Erfolg zu haben. Man wird unterstützt, aber jeder muss auch viel eigenes Zutun investieren.

Inzwischen sind Sie eine Art Chef der deutschen London-Fraktion, die in der Nationalmannschaft neben den Bayern und Dortmundern den größten Block darstellt. Gibt es da keinen Blöcke-Stress?

Ach, da gibt es keine Probleme, uns eint das gemeinsame Ziel. Wir kennen uns doch schon so lange.

Sie sind jetzt zehn Jahre Nationalspieler und gehören zu einer Generation von Spielern, die um die hundert Länderspiele haben wie Lahm, Schweinsteiger und Podolski. Ist die WM in Brasilien für Sie die letzte Chance auf einen großen Titel?

Oh Gott, sie könnten Recht haben. Wenn man die zehn Jahre durchgeht, dann haben wir gute Turniere gespielt, sind jeweils unter die besten Vier gekommen, haben mit unserem Stil immer mal für Furore gesorgt, aber eben nicht bis zum Ende. Der Titel fehlt. Wenn man dann sieht, dass immer gute Spieler nachkommen, die erst 20 sind, so, wie wir früher, dann muss man schon mal nachdenken. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, der Auftrag ist erfüllt, ich kann abdanken. Brasilien wird mein fünftes Turnier, viel Zeit habe ich nicht mehr. Es wird also Zeit, für den Höhepunkt zu sorgen.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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