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Louis Olinde (rechts) machte gegen Bayern sein bestes Spiel im Alba-Trikot.
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Viele Spiele, viele Verletzte: Für Alba Berlin gilt: Augen zu und durch

Nach dem beeindruckenden Sieg der Berliner Notbesetzung gegen München stehen gleich die nächsten Spiele an. Am Dienstag kommt Baskonia, Donnerstag Maccabi.

Im Trainerbüro von Alba Berlin befindet sich eine Tafel, auf der die Spieler in zwei Gruppen aufgelistet sind. Normalerweise gibt es ein blaues und ein gelbes Team, doch was ist momentan schon normal. Deshalb wurde auch die Einteilung auf der Tafel den Umständen angepasst, wie Sportdirektor Himar Ojeda auf Twitter verriet. Aktuell gibt es das Team „gesund“ und das Team „verletzt“, wobei Letzteres mit Luke Sikma, Niels Giffey, Peyton Siva, Marcus Eriksson und dem jungen Lorenz Brenneke von den Namen her sogar hochkarätiger besetzt ist.

Dazu kommt eine weitere nicht ganz unwichtige Veränderung. Das Sagen im Trainerbüro hat seit über einer Woche der eigentliche Assistenzcoach Israel Gonzalez. Sein Chef, der 74 Jahre alte Aito Garcia Reneses, befindet sich seit seinem positiven Corona-Test in Quarantäne, sein Gesundheitszustand soll stabil sein.

Es gibt bessere Voraussetzungen als diese, um gegen eine der aktuell besten Mannschaften Europas anzutreten – und doch hat Alba am Sonntag beim 85:72-Sieg in der Bundesliga gegen Bayern München mal wieder eindrucksvoll gezeigt, was für eine Moral und Spielstärke das Team auch in einer Notbesetzung hat. „Wahrscheinlich kommt es für den neutralen Beobachter überraschend, wenn wir Bayern mit zehn Leuten schlagen, aber wir wissen alle, was wir können“, sagte Louis Olinde, der mit 17 Punkten, drei Steals, zwei Blocks und ganz viel Energie sein bestes Spiel im Alba-Trikot machte.

Doch nicht nur für neutrale Beobachter kam das Ergebnis unerwartet. „Ich bin total überrascht“, sagte Albas Manager Marco Baldi nach dem Spiel, blieb jedoch bei seiner grundlegenden Einschätzung: „Das Ergebnis ist für uns momentan sekundär – und daran ändert sich auch nichts, wenn man gewinnt.“

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Bei Alba haben sie sich in den vergangenen Jahren unter Reneses eine Spielkultur auferlegt, die nicht primär auf das Resultat ausgerichtet ist, sondern auf Entwicklung, schnellen Basketball, Zusammenhalt – und das kommt dem Team momentan zugute. Der Gegenentwurf ist bei den Bayern unter Andrea Trinchieri zu sehen. Der Italiener tobt regelmäßig an der Seitenlinie und geht mit seinen Spielern nicht zimperlich um. „Das war peinlich, eines der schlechtesten Spiele einer meiner Mannschaften in meiner gesamten Karriere“, sagte Trinchieri. Sein Team habe nicht verstanden, was dieses Duell mit dem großen Rivalen der vergangenen Jahre bedeute – „Alba schon“.

Auch wenn die Münchner definitiv nicht ihren besten Tag hatten, ist Trinchieris Aussage reichlich überzogen. Und es wird Albas Leistung nicht gerecht, wenn man das Ergebnis nur dem schwachen Auftritt der Gäste zuschreibt. Was die zehn Berliner, darunter der gerade erst nach einem Monat Verletzungspause zurückgekehrte Center Ben Lammers, in der leeren Arena am Ostbahnhof auf das Parkett arbeiteten und teilweise zauberten, war bemerkenswert. „Wenn jeder mitzieht und dem anderen Vertrauen schenkt, macht man alles mit einem ganz anderen Selbstverständnis“, sagte Olinde.

Israel Gonzalez ist in Abwesenheit des an Covid-19 erkrankten Chefcoaches Aito Garcia Reneses für Albas Team verantwortlich.
Israel Gonzalez ist in Abwesenheit des an Covid-19 erkrankten Chefcoaches Aito Garcia Reneses für Albas Team verantwortlich.
© imago images/Camera 4

Das ist besonders an den jungen Spielern zu beobachten. Der 19 Jahre alte Malte Delow spielte in der vergangenen Saison fast ausschließlich in der dritten Liga und zeigte gegen München keinerlei Furcht, zog zum Korb, kämpfte um Rebounds und entlastete seine Mitspieler mit wichtigen Minuten. Ähnliches gilt für den 21-jährigen Center Kresimir Nikic. So war es trotz des sehr kleinen Kaders möglich, dass kein Berliner übermäßig lange spielen musste.

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Dieser im modernen Sport gerne als Belastungssteuerung bezeichnete Faktor gewinnt in Albas Situation besondere Bedeutung. Denn Alba fehlt durch die vielen Verletzungen nicht nur Qualität, sondern in erster Linie Entlastung. Je mehr Spieler ausfallen, desto mehr müssen die übrigen Profis leisten – und damit steigt bei ihnen das Verletzungsrisiko. Erst recht bei einem Pensum von drei bis vier Spielen die Woche von Oktober bis Juni. Maodo Lo wurde nach dem Spiel gegen Bayern gefragt, wie man es schaffen könne, alle paar Tage mit solch einer Energie zu spielen. „Man sieht an unserem Kader, wie man das übersteht“, sagte der deutsche Nationalspieler. „Viele überstehen es eben nicht, viele verletzen sich. Man muss irgendwie versuchen, fit zu bleiben.“

Prominente Unterstützer. Bei Alba saßen mit Peyton Siva, Luke Sikma, Lorenz Brenneke, Niels Giffey (v.l.) sowie Marcus Eriksson (nicht im Bild) fünf Spieler verletzt hinter der Bande.
Prominente Unterstützer. Bei Alba saßen mit Peyton Siva, Luke Sikma, Lorenz Brenneke, Niels Giffey (v.l.) sowie Marcus Eriksson (nicht im Bild) fünf Spieler verletzt hinter der Bande.
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Irgendwie überleben, den Rhythmus beibehalten und, wenn möglich, gewinnen – das ist Albas Devise. Denn personelle Entwarnung ist noch nicht zu erwarten. Siva und Eriksson werden wohl als nächstes zurückkehren, aber laut Baldi eher nicht in den kommenden Tagen. „Es ist eine gewisse Verunsicherung vorhanden, wenn man sieht, dass einer nach dem anderen ausfällt. Da muss man sich 100-prozentig fit fühlen, bevor man sich wieder ins Getümmel schmeißt.“

Bis zu den Heimspielen gegen Baskonia am Dienstag (19 Uhr) und gegen Maccabi Tel Aviv am Donnerstag (20 Uhr, jeweils live bei Magentasport) wird das Team der Gesunden um Interims-Cheftrainer Gonzalez also eher keinen Zulauf bekommen. Doch die Berliner haben gegen Bayern gezeigt, zu was sie selbst in arg dezimierter Aufstellung fähig sind. Auch wenn Maodo Lo anmerkt: „Mit so einem Kalender ist es wahnsinnig schwierig. Ab und zu sind die Beine da, ab und zu sind sie nicht da.“

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