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Die Protestbewegung gegen Olympische Wettkämpfe in Fukushima ist noch klein.
© dpa

Olympische Spiele in Japan: Fukushima ist noch lange nicht Geschichte

Japan will durch Olympia auch auf den Wiederaufbau Fukushimas aufmerksam machen. Dabei gibt es in der Präfektur immer noch alarmierende Messungen.

Yu Kajikawa, eine zierliche Frau mit wachem Blick, sitzt in einem Café am Rüdesheimer Platz in Berlin-Schöneberg und kneift die Augen zusammen. Draußen kündigt sich der Frühling an, die Sonne strahlt hell und warm durch die Fenster. Kajikawa, 57 Jahre alt, grinst und sagt stolz, als hätte sie höchstselbst das Setting so angeordnet: „Das hier ist meine Ecke.“ Dann nimmt sie einen Schluck von ihrem Cappuccino.

Ursprünglich stammt sie aus einer ganz anderen Ecke, aus dem knapp 9.000 Kilometer entfernten Tokio. Und vielleicht ist auch die geografische Distanz ein grundlegendes Problem bei ihrem Anliegen. Kajikawa kämpft seit vielen Jahren gegen das Vergessen und um die Aufmerksamkeit für die Fukushima-Katastrophe, die sich am Mittwoch zum neunten Mal jährt. Am 11. März 2011 kommt es infolge eines Erdbebens zu Kernschmelzen im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi, große Mengen an radioaktivem Material werden freigesetzt. Und wie das bei Reaktorunfällen so ist: Boden und Wasser sind bis heute kontaminiert und werden es auch noch lange sein.

Im Moment sind Fukushima und Olympia kein großes Thema

Deswegen steht Kajikawa am Samstag bei der Demonstration mit dem offiziellen Titel „Fukushima ist noch lange nicht Geschichte“ am Brandenburger Tor und verteilt zusammen mit ihren Mitstreitern von den Sayonara Nukes Berlin selbst gebastelte Windräder, hergestellt aus verbrauchten Silvesterraketen. So hat sie es bereits in den vergangenen Jahren gehalten und so will sie es auch in Zukunft tun. Dabei ist Fukushima in Deutschland aktuell keine große Angelegenheit. Das ist auch den speziellen Umständen geschuldet in Zeiten, in denen das Coronavirus das alles bestimmende Thema ist und Fukushima zeitlich und geografisch ziemlich weit entfernt liegt.

Doch das Desinteresse hierzulande für die Reaktor-Katastrophe könnte sehr bald umschlagen in echte Beachtung. Denn in diesem Jahr finden vom 24. Juli bis zum 9. August die Olympischen Spiele in Tokio statt, vorausgesetzt das Coronavirus verhindert sie nicht. Im Mai dürfte die Entscheidung fallen, ob die Spiele abgehalten, verschoben oder gleich komplett abgesagt werden. Eine Austragungsstätte wäre auch Fukushima. Mehrere Spiele im Soft- und Baseball sollen im Azuma-Stadion am Stadtrand von Fukushima-Stadt ausgetragen werden. Und schon in gut zwei Wochen ist die Präfektur Fukushima Ort eines bedeutenden Zeremoniells im Sport: So soll der olympische Fackellauf hier seinen Anfang in Japan nehmen.

„Die Spiele sind natürlich eine Chance, dass mehr Menschen auch hierzulande auf das Thema aufmerksam werden“, sagt Yu Kajikawa. Für sie ist das alles ein einziger Skandal. „Japan missbraucht die Olympischen Spiele als Propagandainstrument“, sagt sie. „Die Spiele sollen beweisen, dass in Fukushima alles unter Kontrolle ist. Das Gegenteil ist der Fall.“

In Fukushima sollen Soft- und Baseball gespielt werden

Kajikawa siedelte vor 30 Jahren nach Deutschland über. Erst lebte sie in Schwäbisch Hall, 2012 zog sie nach Berlin. Ihre Eltern und ihre Schwester leben heute noch in Tokio, weshalb sie regelmäßig nach Japan reist. Sie habe trotz ihrer langen Zeit in Deutschland noch eine sehr enge Bindung zu ihrem Geburtsland, erzählt Kajikawa. „Deshalb verletzt es mich, wie mit der Fukushima-Katastrophe umgegangen wird.“

Kajikawa ist fest davon überzeugt, dass die japanischen Machthaber um Ministerpräsident Shinzo Abe durch die Olympischen Spiele Normalität vorgaukeln wollen, wo es keine Normalität gibt. „Das Ziel der Regierung ist, eine Zwangsrückkehrpolitik in die verstrahlten Regionen durchzusetzen und somit keine weiteren Entschädigungszahlungen und Wohnungsbeihilfen zu bezahlen“, behauptet Kajikawa.

Für eine Rückkehr zur Normalität hatten zuletzt mehrere Beschlüsse gesprochen. So gab die japanische Regierung erst vor wenigen Tagen Teile der Stadt Futaba – in unmittelbarer Nähe zum havarierten Atomkraftwerk gelegen – für die Rückkehr der Bewohner frei. Auch die letzten Beschränkungen für die Fischer aus der betroffenen Region wurden jüngst aufgehoben. Fischer dürfen ab sofort ihre gesamten Fänge wieder exportieren.

Ein radioaktiver Hot-Spot soll sich auch unweit des Sportzentrums J-Village befinden

„Dabei muss man wissen“, erzählt Kajikawa, „dass die Regierung die zulässigen Strahlengrenzwerte um das Zwanzigfache erhöht hat und es Messungen unabhängiger Organisationen mit erschreckenden Ergebnissen gegeben hat.“ Kajikawa spielt auf Messungen von Greenpeace im vergangenen Jahr an. Demnach übersteigen die Strahlungen an bestimmten Hot-Spots die erlaubten Werte um das Hundertfache.

Ein radioaktiver Hot-Spot soll sich auch unweit des Sportzentrums J-Village befinden, wo am 26. März der Fackellauf beginnt. „Kinder und Jugendliche sollen an diesem Ort den Läufern zujubeln. Das ist doch ein Wahnsinn“, sagt Kajikawa. Überhaupt sei die Präfektur Fukushima immer noch stark kontaminiert, vor allem die Felder, Wälder und das Wasser.

Was Letzteres betrifft, weiß die Regierung nicht wohin damit. Rund 1,2 Millionen Tonnen verseuchtes Wasser auf dem Gelände sollen nach den jüngsten Plänen des Industrieministeriums mangels Ideen und Alternativen ins Meer abgeleitet werden, obwohl gerade erst der Fischexport freigegeben wurde.

Japans Regierung will zeigen, dass die Lage in Fukushima wieder normal ist

Die Kritik im Land selbst am Umgang mit der Katastrophe hält sich in Grenzen. Für Kajikawa hat das mit der Mentalität der Japaner zu tun. „Mehr noch aber mit der Macht großer Konzerne wie Tepco“, sagt sie. Tepco ist Japans größter Energiekonzern und war auch der Betreiber des havarierten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Die Medien in Japan seien käuflich, klagt Kajikawa. „Es trauen sich nur wenige, Dinge kritisch zu hinterfragen. Auch weil sie auf die Werbeanzeigen der Konzerne angewiesen sind.“

Das alles muss aber nicht heißen, dass die PR-Kampagne der japanischen Machthaber rund um die Olympischen Spiele aufgehen wird. Schon so manches Mal wurde im Angesicht großer sportlicher Ereignisse besonders auf die gesellschaftspolitischen Missstände der Austragungsländer aufmerksam gemacht. Etwa auf die Diskriminierung der Aborigines in Australien (Sidney 2000), die Menschenrechtssituation in China (Peking 2008) oder den Größenwahn Putins mit all seinen Folgen für die russische Bevölkerung (Sotschi 2014).

Sollten die Sommerspiele in Tokio mit dem Austragungsort Fukushima stattfinden, könnte sich der vermeintliche PR-Coup also noch als Bumerang erweisen. Yu Kajikawa hofft darauf. Dabei finde sie Sportveranstaltungen wie Olympische Spiele grundsätzlich ja toll, sagt sie. „Aber nicht so. Nicht fürs Prestige eines Landes.“

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