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Sport: Freigänger wurde zum Mörder: Seine Ärzte stehen vor Gericht Psychiater der Landesklinik Brandenburg der fahrlässigen Tötung angeklagt

Sie hatten einem Sexualtäter Ausgang gewährt – er erschlug zwei Frauen

Potsdam - Raymond Sch. trägt Handschellen, das passt ihm nicht – sie werden auf seine Bitte hin entfernt. Raymond Sch. ist ein Gewaltverbrecher, seit dem Jahr 2000 verurteilt zu lebenslanger Haft plus Sicherungsverwahrung, und er ist Zeuge – zum zweiten Mal. In Raum 009 des Potsdamer Landgerichts fühlt mancher sich ins Jahr 2002 zurückversetzt.

Damals standen zum ersten Mal die Ärzte Tilo L. und Jürgen H. der psychiatrischen Landesklinik Brandenburg vor Gericht. Weil sie 1998 dem in der Klinik untergebrachten Sexualstraftäter Sch. Freigänge genehmigten, die der zur Flucht nutzte und Straftaten beging: zunächst nur Diebstähle, ab Oktober 1998 dann aber zwölf brutale Angriffe auf hochbetagte Frauen. Zwei der Opfer starben.

Im ersten Prozess 2002 wurden Tilo L. (65) und Jürgen H. (54) vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil 2003 auf. Jetzt verhandelt das Landgericht den Fall von vorne.

Der Freispruch war damals damit begründet worden, dass Sch. die Landesklinik auch ohne Erlaubnis hätte verlassen können: Das alte und denkmalgeschützte Gebäude war berüchtigt wegen seiner schlechten Sicherheitsstandards. Die Gitterstäbe an den Fenstern konnte Sch. mit bloßen Händen aufbiegen.

Die Richterin führte gestern mit klarer Stimme ein straffes Regiment, ermahnte den Zeugen Sch. mehrfach, bei der Wahrheit zu bleiben, wenn der in schwammige Worte auswich. Sch. ist inzwischen 41 Jahre alt, ein kleiner Mann mit Schnauzer und grauen Socken in Sandalen. Er war 1988 in der DDR wegen Erpressung, mehrfacher versuchter Vergewaltigung zu zehn Jahren Haft und anschließender Einweisung in die geschlossene Psychiatrie verurteilt worden. 1997 kam er in die Landesklinik Brandenburg, wo er aus der geschlossenen Station schnell in die offene verlegt wurde.

Warum er immer wieder geflohen sei, wollte die Richterin wissen. Er habe mit der Flucht den Ärzten einen Grund geben wollen, ihn einzusperren, sagte Sch. Auf der offenen Station habe er Angst gehabt, er könne zur Gefahr für sich selbst werden.

Der Angeklagte H. hockt angespannt auf der Kante seines Stuhls; ein gebräunter, untersetzter Mann mit kurzen Haaren und grau meliertem Stoppelbart. Er hatte zuvor gesagt, sie hätten „positiv gedacht“ über Raymond Sch., und die gelockerten Sicherungsmaßnahmen als Teil der Therapie verstanden. Das haben die Ärzte noch verteidigt, als im Februar 1998 das Landesamt für Soziales und Versorgung in Cottbus eine Erklärung für mehrere Fluchten Ende 1997 erbat, bei denen Sch. mit Trickdiebstahl auffiel. Im Mai 1998 aber änderten die Ärzte ihre Meinung und stuften Sch. als nicht therapierbar ein.

Warum sie ihm dennoch ab Oktober erneut Freigänge genehmigten, erklärten die Angeklagten gestern nicht. Dazu arbeiteten sie noch an einer Stellungnahmen, sagte einer der Anwälte.

Der Prozess wird fortgesetzt, das Urteil soll am 20. Mai fallen.

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