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Jens Voigt ist seit mittlerweile 16 Jahren Rad-Profi und laut eigener Aussage nie mit Doping in Kontakt gekommen - ist das möglich?
© dpa

Radprofi Jens Voigt: Forrest Gump auf zwei Rädern

Von Doping will der Radprofi Jens Voigt nie etwas mitbekommen haben, dabei fuhr er mit etlichen Dopingsündern gemeinsam in einem Team. Auch enge Kumpels waren darunter. Ist er der größte Heuchler des Radsports – oder tatsächlich sauber?

Sechzehn Jahre hat er im Profiradsport verbracht. Acht davon als einer der wichtigeren Angestellten bei zwei der cleversten Teamchefs auch in Dopingfragen: Bjarne Riis und Johan Bruyneel. Um ihn herum flogen dutzendweise Berufskollegen wegen Dopings auf. Enge Kumpels waren darunter. Ivan Basso gab unter Druck der Staatsanwälte zu, Blutbeutel beim Doktor Fuentes gelagert zu haben. Von Fränk Schleck sind Zahlungen an den Madrider Doping-Arzt belegt. Doch von Doping will Jens Voigt erst etwas mitbekommen haben, als die Informationen darüber in der Zeitung standen.

So jedenfalls stellte der Berliner jüngst die Situation in einem Beitrag für Bicycling.com dar. Das überraschte. Und löste Proteste aus. „Er spuckt mir ins Gesicht“, regte sich der geständige Doper Tyler Hamilton auf und warf Voigt „Blindheit“ vor. Beide waren, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, beim Riis-Rennstall CSC. Jörg Jaksche, wie Voigt im Jahre 2004 zu CSC gekommen, ist ebenfalls verblüfft und verärgert. „Ich denke schon, dass er bei CSC etwas mitbekommen haben müsste“, erzählt Jaksche. „Da wurde vor jedem Rennen beim kompletten Team der Hämatokritwert gemessen. Das hat man doch nicht gemacht, weil bei allen Fahrern ein natürlich erhöhter Wert vorlag, sondern weil gedopt wurde. Da sollte man sich doch zumindest Gedanken gemacht haben.“ Erst im Herbst 2004 gab es den ersten Test auf das Blutdopingmittel Epo. Bis dahin galt im Radsport nur als Blutdoping, wenn man einen Hämatokritwert von 50 Prozent überschritt.

Jaksche, damals Kunde beim Dopingarzt Fuentes, legt Wert auf die Feststellung, Voigt niemals dopen gesehen zu haben: „Ich habe niemals erlebt, dass bei ihm etwas gespritzt wurde oder dass er mit einem Arzt über Doping geredet hat.“ Aber dass sein früherer Kollege so ganz ahnungslos war, kann er nicht fassen. Der Ansbacher erinnert sich an eine Begebenheit bei der Tour de France 1998, eben jener, die durch die Polizeirazzien im Zuge der Festina-Affäre erschüttert wurde. „Ich habe mich mit Voigt darüber unterhalten, was sie mit den Dopingmitteln gemacht haben, ob sie sie auch weggeschmissen haben. Er hat mir gesagt, sie haben sich überlegt, ob sie sie verbuddeln und dann wieder abholen sollen, weil sie ja ziemlich teuer sind. Mir hat sich diese Begebenheit so eingeprägt, weil ich dachte: Wie geizig ist dieses Team bloß? Verzichtet doch lieber auf das Geld, als euch noch beim Buddeln erwischen zu lassen.“

Dass es solche Diskussionen im Peloton gegeben habe, bestreitet Voigt nicht. „Da gab es doch jeden Tag etwas Neues. Und alle haben darüber gesprochen.“ Er widerspricht aber, dass es sich konkret um Dopingmittel von Credit Agricole gehandelt habe. „Es ging niemals darum, dass von unserem Team etwas versteckt werden sollte“, bekräftigt er.

Zorn schwingt in seiner Stimme mit, wenn er über ehemalige Doper spricht, die jetzt die Schlagzeilen bestimmen. „Einer wie Hamilton hat früher gelogen. Er ist auch jetzt nicht geläutert, sondern stand unter dem Druck der Bundespolizei. Aktuell will er ein Buch verkaufen“, schimpft er. Es macht ihn wütend, dass Männer, die einst gedopt haben – „Hamilton hat auch mich jahrelang betrogen“ – inzwischen eine mediale Deutungsmacht auch über ihn haben. „Ich habe niemals gedopt! Ich bin gegen Doping. Das ist die ganze schnörkellose Wahrheit“, bricht es aus ihm heraus.

Das Problem ist nur: Tyler Hamilton und auch Jörg Jaksche, der mit seinen Aussagen finanziell eher nicht profitiert hat, zeichneten mit ihren Geständnissen ein Bild vom Radsport, das einer lange verschwiegenen Wahrheit wohl beträchtlich nahekommt. Voigt gibt zu: „Wir Radprofis haben genug Mist gebaut. Viel von der Munition, mit der jetzt geschossen wird, haben wir selbst gemacht.“ Er wehrt sich jedoch, in Geiselhaft für kollektive Sünden genommen zu werden. Dabei steckt er ganz objektiv in einer extrem misslichen Lage. Ihn, der im schlecht beleumundeten DDR-Sportsystem aufwuchs und später seine Brötchen in einer Hochdopingphase im Radsport verdiente, werden seine Zweifler wohl erst dann für glaubwürdig halten, wenn er – wie all die Zabels und Aldags – zumindest ein kleines bisschen Doping zugibt.

Was aber, wenn ausgerechnet dies nicht stimmt, wenn Voigt tatsächlich einer der ganz wenigen seiner Generation ist, der nicht gedopt und trotzdem manch feinen Erfolg eingefahren hat? Dann wird er zu Unrecht mit Dreck beworfen. Nur: Wie kann er dies beweisen? Mit der Strategie, als eine Art Forrest Gump des Radsports zu erscheinen – also als einer, der läuft und läuft und gar nicht mitkriegt, wie um ihn die Granaten einschlagen und der sich nur manchmal ganz verdutzt die Augen reibt – sicher nicht. Naivität, echte oder inszenierte, wird dem Profiradsport unserer Tage wahrlich nicht gerecht.

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