WM 2014: Fifa-Boss Blatter entzweit DFB und DFL
Mit seinem Vorstoß für den Videobeweis inszeniert sich Fifa-Präsident Joseph Blatter als Reformer – und betreibt damit Wahlkampf. Im deutschen Fußball sorgt er für Differenzen.
Fifa-Boss Joseph Blatter hat mit seinen provokanten Thesen zum Thema Videobeweis mitten in der WM-Hochphase Fans und Feinde von mehr Technik im Fußball gegeneinander aufgewiegelt. Der Vorschlag für zwei Einspruchsmöglichkeiten der Trainer bei strittigen Szenen klingt revolutionär und mutig. Doch Blatters Motive gehen über den Wunsch nach mehr Gerechtigkeit hinaus.
Im Machtkampf mit dem technikskeptischen Uefa-Chef Michel Platini um den Präsidententhron im Weltverband war der Vorstoß von dem Schweizer bewusst kalkuliert. Dass jetzt nicht nur bei den internationalen Verbänden Fifa und Uefa, sondern auch im deutschen Fußball über Sinn und Unsinn von Kamerahilfen für Schiedsrichter debattiert wird, ist ein Nebenprodukt der überraschenden Blatter-Offensive.
„Wenn es darum geht, ob es ein Elfmeter oder kein Elfmeter war innerhalb oder außerhalb des Strafraums, ein Foul oder kein Foul, kann der Coach intervenieren“, beschrieb Blatter seine Veto-Idee für Trainer. Das konnte nicht ohne Reaktionen bleiben.
„Torlinientechnologie ja, Videobeweis nein“, erwiderte Bundestrainer Joachim Löw am Samstag kurz und knapp. Auch DFB-Chef Wolfgang Niersbach befürwortet die Blatter-Idee nicht. „Wir vom DFB sind klar für die Torlinientechnologie. Beim Videobeweis wäre ich äußerst skeptisch. Da kann ich nur meine Bitte in Richtung Fifa wiederholen: Dann schafft lieber die Dreifachbestrafung ab, ehe ihr mit neuen Dingen kommt, die in den Gremien überhaupt nicht besprochen worden sind“, sagte der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Andreas Rettig, Geschäftsführer Spielbetrieb der Deutschen Fußball Liga (DFL) sieht das aber ganz anders und machte sich zum Ersten Fürsprecher der Video-Revolution. „Die Torlinientechnologie und die mit ihr verbundenen Investitionen klären nur fünf Prozent der kritischen Torentscheidungen auf, wesentlich effektiver zur Reduzierung der Fehlentscheidungen wäre der Videobeweis“, sagte Rettig der „Bild am Sonntag“. Wie die Funktionäre nach diesen Aussagen wieder die viel beschworene Einheit zwischen DFB und DFL demonstrieren wollen, scheint schwer vorstellbar.
Der Machtkampf gegen die Fifa geht weiter
Der deutsche Fußball ist somit ungewollt in die Mühlsteine des Machtkampfes um den Fifa-Präsidententhron zwischen Blatter und Niersbach-Freund Platini geraten. Der DFB-Präsident konnte nämlich gar nicht anders, als Blatter zu widersprechen. Der Schweizer hatte in dem Videointerview auf der Fifa-Homepage ganz beiläufig auch noch die vermeintlichen Pläne seines Widersachers für dessen Europameisterschafsturnier 2016 ausgeplaudert und damit Platini düpiert.
„Ich habe mit Uefa-Präsident Michel Platini gesprochen, er hat mir gesagt, dass er die Goal-Line-Technology bei der Europameisterschaft 2016 einführen wird“, verriet Blatter. Platinis Wille zu einer Einführung der von ihm lange abgelehnten bei der WM aber erfolgreich praktizierten Torlinientechnik entbehrt nicht jeder Grundlage - doch von Blatter sollte sie gewiss nicht ausposaunt werden.
„Für die Euro 2016 gibt es die Chance, dass wir Technik nutzen, aber immer mit den zusätzlichen Torassistenten. Die Angelegenheit wird von unserem Schiedsrichterkomitee diskutiert und dann vom Exekutivkomitee entschieden“, ließ Platini von seinem Pressesprecher twittern. Niersbach wiederum erläuterte: „Konkret haben wir bei der Uefa noch nicht darüber gesprochen.“
Die nach dem Blatter-Vorstoß verbreiteten Statements sind auch ein Seitenhieb und sollen heißen: In der Gedankenwelt Blatters kann ein Präsident einfach bestimmen, bei der Uefa geht es aber mit rechten Dingen zu – der letzte Hort der Demokratie im Weltfußball.
Blatter treibt vor allem die Erfahrung aus dem Turnier 2010, als er zu spät erkannte, dass die Öffentlichkeit nach dem Torklau im Spiel Deutschland gegen England nach technischen Neuerungen verlangte.
Die deutsche Fußballszene diskutiert nun intensiv mit. Prinzipiell könnte die DFL alle technischen Neuerungen auch ohne Absegnung des Dachverbandes DFB einführen, wenn das International Football Association Board - dem Blatter angehört - die Regeln eines Tages entsprechend ändern sollte. Doch die viel beschworene Einheit im deutschen Fußball erscheint wieder einmal als Mär. Rettig hatte im Vorjahr mit einem kritischen Interview über die DFB-Strukturen für massive Aufregung gesorgt. Die Wogen wurden nur mit Mühe geglättet.
Rettig verweist in Sachen Videobeweis auf das nicht gegebene Tor des Dortmunders Mats Hummels im DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München. „Die Torlinientechnologie hätte Tor angezeigt, ohne eine eventuelle Abseitsstellung von Hummels zu berücksichtigen. Wäre es gerecht gewesen, dann auf Tor zu entscheiden?“, ergänzte er.
Niersbach hingegen sagt: „Wie oft erleben wir es, dass wir Szenen in der x-ten Wiederholung im Fernsehen sehen. Und dann ist man sich immer noch nicht einig, war das Foul nun im Strafraum oder außerhalb, war es Abseits oder nicht“, begründete er seine Vorbehalte. Fifa-Boss Joseph Blatter wird keine Mühe scheuen, die Diskussion lange am Kochen zu halten: So kann er sich im Gegensatz zu Platini als Reformer präsentieren.
(dpa)