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"Wir haben Stürmer", sagte Löw und meinte nicht nur Miroslav Klose (r.), sondern auch Mario Götze.
© Reuters

WM 2014: Falscher Neuner? Deutschland liebt den Mittelstürmer

Von Müller bis Klinsmann: Die Deutschen lieben ihre Stürmer. Doch Bundestrainer Löw will auf einen Vollstrecker verzichten. Dafür wuseln kleine, wendige Spieler herum – bisher oft ziellos.

Die freudige Angelegenheit wurde recht geschäftsmäßig abgehandelt. Die obligatorische Torte, ein Ständchen im Mannschaftsbus auf dem Weg zum Training – weitergehende Feierlichkeiten fanden nicht statt, als Miroslav Klose am Montag seinen 36. Geburtstag feierte. Vermutlich wird sich sein Bedauern über das wiederkehrende Ritual in Grenzen gehalten haben. Klose kennt das Prozedere. Es war bereits das siebte Mal seit 2002, dass er seinen Geburtstag im Kreis der Nationalelf gefeiert hat. Nicht nur wegen seines fortgeschrittenen Alters ist Klose ein Überlebender aus einer anderen Zeit – auch seine Position als Stürmer ist vom Aussterben bedroht.

Vor vier Jahren, bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, hat Klose selbst gesagt, er gehe davon aus, dass dies seine letzte WM sein werde. Er konnte ja nicht ahnen, dass er mit 36 Jahren immer noch gebraucht wird. Mario Gomez hat fast die komplette Saison wegen Verletzungen verpasst, Stefan Kießling fehlt für den Geschmack von Bundestrainer Joachim Löw die internationale Klasse. Und viel mehr ist nicht in der einstigen Stürmernation Deutschland. 2010 in Südafrika standen noch vier gelernte Angreifer in Löws Aufgebot: Klose, Gomez, Kießling und Cacau. Im aktuellen Kader wird Klose als einziger Spieler in der Rubrik Sturm geführt. „Leider haben wir keinen Oliver Bierhoff zur Verfügung“, sagt Löws Assistent Hans-Dieter Flick.

Das war wahrscheinlich ein wenig geschwindelt. Selbst wenn Oliver Bierhoff 15 Jahre jünger wäre und voll im Saft stünde – für den WM-Kader käme er eher nicht in Frage. Der Bundestrainer scheint sich immer mehr in ein System ohne klassischen Stürmer in der Spitze verliebt zu haben, stattdessen mit kleinen wuseligen Quälgeistern, den sogenannten falschen Neunern. „Es ist nicht notwendig, die großen bulligen Stürmer zu haben“, sagt Löw.

An dieser Frage lässt sich hervorragend demonstrieren, mit welchem Tempo sich der moderne Fußball entwickelt hat. Bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer, der Europameisterschaft 2008, hat sich Löw noch mit Verve gegen die Idee gewehrt, vom 4-4-2-System mit zwei Stürmern abzuweichen. Inzwischen hat er kein Problem mehr, überhaupt keinen gelernten Angreifer aufzubieten – auch wenn er weiß, dass diese Liebe vom Volk nicht unbedingt geteilt wird.

Gegen Portugal wird Stürmer Miroslav Klose wohl zunächst auf der Bank sitzen

„Falsche Neun, richtige Neun – dem messe ich weniger Bedeutung bei“, sagt Löw. Für den Bundestrainer ist das auch ein Kampf um Begriffe. Bitte, wenn die Deutschen Stürmer haben wollen, sollen sie ihre Stürmer bekommen. „Müller, Klose, Götze, Schürrle, Podolski, Özil – das sind für mich Stürmer, offensive Leute“, sagt der Bundestrainer, und beim Wort „Stürmer“ bildet er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, um seine Haltung zu unterstreichen.

Die Deutschen besitzen nicht nur eine innige Beziehung zu ihren Angreifern, das neue System kollidiert auch mit den klassischen Vorstellungen der Fußballtraditionalisten: Eine Mannschaft braucht vorne einen Vollstrecker. Zumal die großen Triumphe der Nationalmannschaft immer auch Triumphe ihrer unwiderstehlichen Angreifer waren: von Max Morlock 1954 über Gerd Müller, Horst Hrubesch, Rudi Völler bis hin zu Jürgen Klinsmann. Mit Miroslav Klose scheint diese Reihe fürs Erste zu enden.

Das neue System kollidiert mit den Vorstellungen der Fußballtraditionalisten

Als Löw vor drei Jahren festgestellt hat, dass Topstürmer in Deutschland gerade nicht unbedingt in Fülle vorhanden seien, klang noch ein gewisses Bedauern aus seinen Worten heraus. Inzwischen scheint er den Mangel eher als Chance zu verstehen: „Ich glaube, dass die Zukunft ein bisschen heißt: kleine wendige Spieler, die auf engem Raum den großen, robusten, zweikampfstarken und etwas unbeweglichen Innenverteidigern das Leben noch schwerer machen.“ Chefscout Urs Siegenthaler, Löws Taktikflüsterer, verwendet dazu gerne ein Beispiel aus dem realen Leben: „Wenn du ein Auto wählen müsstest, um durch die Altstadt zu fahren und dort einen Parkplatz zu finden, welches würdest du wählen: einen Smart oder einen Van?“

In der Theorie klingt das schlüssig. In der Praxis aber hatte man oft das Gefühl: Die Smarts Mario Götze oder Mesut Özil kurven ziellos durch den gegnerischen Strafraum, dem Offensivspiel fehlt ein Orientierungspunkt. Für Hans-Dieter Flick liegt der Fehler allerdings nicht im System, sondern in dessen unzureichenden Ausführung. „Wir müssen flexibler, variabler im letzten Drittel spielen, die Positionen besser besetzen“, sagt er.

Dass Miroslav Klose gegen Portugal in der Startelf auftauchen wird, ist eher nicht zu erwarten – auch wenn Löw den 36-Jährigen gegen den Verdacht in Schutz nimmt, eine Wuchtbrumme alter Prägung zu sein. Klose hat sein Spiel den Erfordernissen der Moderne angepasst. Aus dem Kopfballungeheuer ist ein Kombinationsspieler geworden, der viel in Bewegung ist und damit Lücken reißt. „Es geht weniger darum, welche Rückennummer jemand trägt, sondern welche Wege er geht“, sagt Manager Bierhoff. „Ich bin überzeugt, dass Miro einen wichtigen Part bei dieser WM spielen wird.“ Fürs Erste wird er am Montag auf der Ersatzbank Platz nehmen müssen – als Drohkulisse für die Portugiesen.

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