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Elendssiedlungen, Wolkenkratzer, alle paar Minuten wächst Sao Paulo um Zentimeter.
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Willmanns Kolumne aus Sao Paulo: Es wird keine WM 2014 geben

Unser Kolumnist hat sich auf nach Brasilien gemacht, genauer genommen direkt ins Herz des Monstrums - in die Millionenstadt Sao Paulo. Die Mehrheit der Einheimischen ist gegen die Weltmeisterschaft und protestiert lautstark.

Sao Paulo ist ein nimmer sattes Monstrum. Die Megastadt wälzt sich in jede Himmelsrichtung. Elendssiedlungen, Wolkenkratzer, alle paar Minuten wächst die Stadt um Zentimeter. Menschen kommen, verweilen und treten wieder ab. Eine bewegliche Käseglocke, von oben drückt der Smog, unten verteilen die verseuchten Flüsse eine schaumgekrönte Suppe in die Täler und künden von der chaotischen Präsenz Sao Paulos.

Noch jung an Jahren ist Sao Paulo, die achthundert Meter hoch gelegene einstige Perle der Kaffeebarone - das Zentrum eines widersprüchlichen Brasiliens.

Die Stadt beherbergt drei legendäre Fußballvereine. FC Sao Paulo, Palmeiras und Corinthians . Sie bestimmen die fußballerische Landschaft, neben unendlich vielen Stadtteilclubs. Es ist für die Menschen unerheblich, ob der brasilianische Fußball wenig, mittel oder ganz schlimm korrupt ist. Sie haben es längst aufgegeben, in Nuancen zu denken. Brasiliens Fußball, Brasiliens Politik, alles ist hoffnungslos miteinander versippt, in Geschäfte verwickelt, verkungelt und verduggelt. Auf meine Frage, ob das nicht zu ändern sei, ernte ich nur höfliches Lachen.

Betritt der Reisende dieser Tage am Flughafen brasilianischen Boden, empfängt ihn ein neutraler Ort. Der Airport Sao Paulos hat so gar nichts brasilianisches. Er könnte auch in Stockholm stehen. Oder in Berlin. Er ist nicht in den festlichen Farben der Welt geschmückt, keine Girlanden, Fähnchen, kein Schnickschnack. Er ist ein nüchternes Bauwerk, das dem Reisenden hilft, von A Nach B zu gelangen. Es geht sehr zügig voran, überall wimmeln freundliche, hilfsbereite Geister, vorn wartet der Bus. Bereit zum schleppendem Eintritt in die Megacity.

Herzlich Willkommen in Stau Paulo

Der Stau. In Sao Paulo eine allgegenwärtige Tatsache. Lehnen Sie sich zurück, schalten Sie ihren Hirnkasten aus. Für die zwanzig Kilometer bis in etwas wie ein Stadtzentrum benötigt man zwischen zwei und vier Stunden. Kommt darauf an. Wer gerade streikt, wie das Wetter ist, ob Politiker oder FIFA-Freaks freie Fahrt für freie Bonzen erwarten. Zwölfspurige Straßen, alle verstopft. Nach einer Weile geht es parallel zu einem Fluss. Sao Paulo war einmal berühmt für seinen Reichtum an Wasser. Früher. In einem anderen Leben. Heute traut sich kein Wasservogel mehr, in der todspendenden Brühe zu landen. Im Sommer verdickt sich die Kloake zu einem brünstigen Mulm. Dessen bestialisch stinkende Dünste den Atem nehmen. Sao Paulo ist keine gute Stadt für Tiere. Es sei denn, sie heißen Rind, Schwein, Lamm. Dann landen sie in der Churrascaria. Sao Paulo ist auch keine Stadt für Radfahrer oder für kinderwagenschiebende Frauen. Alte Leute sieht man selten auf der Straße.

Der Streik. Jeden Tag streikt irgendwer. Immer berechtigt. Die Lehrer. Die obdachlosen Arbeiter. Die Justizangestellten. Besetzte Häuser mit roten Fahnen. Die MTST, Movimento Trabalhadhores sem Teto. Bewegung der Arbeiter ohne Dach.

Die Fußballstadien sind bei Meisterschaftsspielen nur halb voll. Viele Menschen haben Angst, zum Fußball zu gehen. Frauen sieht man selten. Weil die Chance, Ärger zu bekommen, groß ist. Was auch an der Polizei liegt, deren Knüppel überaus locker sitzt.

In Sao Paulo - Militärpolizei an allen Ecken

In der Stadt Militärpolizei an allen Ecken. Etwas abseits, beobachtend. Die WM beginnt in einer Woche. Davon ist in der Stadt nichts zu sehen. Fußballtouristen - Fehlanzeige. Keine trunkenen Engländer, keine lachenden Italiener, keine böse guckenden Deutschen, keine wuselnden Japaner. Sao Paulos größte Sehenswürdigkeit ist das Sanduíche de mortadela. Die Wurstschicht ist dicker als das Brötchen selbst und besteht aus schätzungsweise zwanzig Lagen. Zwischendrin tummelt sich Käse. Wie mein Freund Uli zu sagen pflegt: wer dieses Brötchen isst, muss sofort zum Arzt. Sao Paulo hat auch nicht viel touristisch Sehenswertes zu bieten. So weit das Auge schaut, Neubauten und Straßen. Mit versperrten Eingängen und Wachpersonal. Um sich vor Überfällen zu schützen. Die große Kathedrale stammt aus den Fünfzigern. Die davor war zu klein, also musste eine neue her. Das ist der allgemeine Umgang mit Nutzgebäuden. Denkmalschutz ist eine nette Erfindung reicher Länder. Die Fußballstadien sind vielleicht die wahren Kathedralen. Das neue Stadion von Palmeiras entsteht seit drei Jahren. Oder waren es vier? Die Stadionbaustelle weckt das Heimweh nach unseren heimischen Berliner Baustellen.

Fußball No! Der Protest ist der des gesunden Menschenverstandes. Die große Mehrheit der Brasilianer ist gegen die Weltmeisterschaft. Wer will es ihnen verdenken? Das Schulsystem am Boden, die Politik korrupt. Es gibt zu wenig Krankenhäuser. In den meisten Favelas kennt man Leitungswasser oder Abwassersysteme nur aus dem Fernsehen. Einige wenige Menschen mit viel Geld bestimmen über die große Mehrheit mit wenig bis keinem Geld. Die Brasilianer sagen, die Banken und die Stadt würden seit gestern umsonst Fähnchen verteilen. Als ich aus dem Fußballmuseum zurück ins Hotel komme, hängt über der Rezeption plötzlich eine Girlande

Es gibt keine geschlossene Front gegen die WM, nur eine breite, gepflegte Ablehnung.

Bei der WM 1950 erlebte Brasilien sein nationales Fußballtrauma

Der Paulista Joao sagt, gegen die Bösartigkeit und Geldgeilheit unserer höchstens Fußballfunktionäre ist dein DFB ein harmloser Kaninchenzüchterverein. Wer in Brasilien als Funktionär mit dem Fußball zu tun hat, benötigt solide kriminelle Energie. Joaos einzige Frage zum deutschen Fußball lautet: Trägt euer Trainer ein Toupet?

Großartig das Fußballmuseum im Estádio do Pacaembu. Eingebaut unter die Ränge, beweist es die unheimliche Präsenz des Fußballs im Alltag der Brasilianer. Fußball findet heute in Brasilien vor dem Fernseher statt. 1950 erlebte Brasilien sein nationales Fußballtrauma. Auch eine WM im eigenen Land. Finale Brasilien gegen Uruguay. Als die Urus den WM-Pokal entführten und den Dolch tief in die Brust Brasiliens stießen. Daran erinnert im Museum ein dunkler Schmerzensraum. In Zeitlupe stottern die bewegten Bilder über eine Leinwand. Gespenstische Musik, auf ein Lachen steht die Todesstrafe.

Das Gegenteil von Volkssport. Am 12. Juni soll des Teufels General nach Sao Paulo kommen. Sepp Blatter, der schwarze Engel des Mammons. Das Fell des Bären wartet auf seine Verteilung. Fußball kann man auch mit einer Cola-Dose spielen. Blatter rechnet mit Protesten. Der Regenwald schrumpft. Sao Paulo ist schon wieder drei Meter fetter. Schwupps, nochmal vier. Am 13. Juli wird Brasilien vielleicht Weltmeister sein. Auf den Straßen singen die Demonstranten jeden Tag „Nao vai ter Copa do Mundo no Brasil!“ (Es wird keine WM in Brasilien geben).

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