Start der Hallenhockey-WM in Deutschland: Es wackelt unterm Dach
Nach Jahrzehnten der Dominanz erwartet die deutschen Hallenhockey-Teams eine schwere Heim-WM. Andere Nationen haben sich in den letzten Jahren rasant verbessert - zu einem Selbstgänger wird das Turnier wohl nicht werden...
Das Datum, der 20. Januar 2006, sagt Florian Kunz auf Anhieb nichts, spätestens beim Stichwort Eindhoven aber weiß er, um welches Thema es gehen soll. Am 20. Januar 2006 hat die deutsche Hockey-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Eindhoven ihre Vorrundenbegegnung gegen Polen 4:9 verloren. Es war im 125. Länderspiel der deutschen Männer die erste Niederlage überhaupt in der Halle. Und Florian Kunz war dabei. „Da haben wir wenigstens mal Geschichte geschrieben“, sagt der frühere Kapitän der Nationalmannschaft – und lacht. „Wir hätten auf diese Erfahrungen gerne verzichtet. Aber irgendeinen musste es ja treffen.“ An Einzelheiten des Spiels kann er sich nicht mehr erinnern, das habe er verdrängt – nur die Reaktion der Polen hat er noch vor Augen: „Die haben schon gefeiert, als wären sie Europameister geworden.“
Die Deutschen im Hallenhockey zu schlagen – das war noch vor ein paar Jahren mindestens so wertvoll wie ein Titelgewinn. Unterm Dach waren die Teams des Deutschen Hockey-Bundes, Männer wie Frauen, eine Klasse für sich. Sie wären vermutlich auch mit verbundenen Augen und einem Arm auf den Rücken nur schwer zu besiegen gewesen. Auch bei der heute beginnenden Weltmeisterschaft zählen sie natürlich wieder zu den Favoriten auf den Titel, zumal sie in Leipzig auch noch den Heimvorteil genießen.
Die Konkurrenz hat stark aufgeholt
Die Erfolge der deutschen Mannschaften in der Halle sind mehr als beeindruckend. Die Männer haben alle drei bisherigen Weltmeisterschaften gewonnen, dazu 14 von 16 Europameisterschaften. Die Frauen siegten bei zwei von drei WM- und 14 von 17 EM-Turnieren. Von 106 Turnierspielen seit 1975 haben sie 97 gewonnen, die Männer kommen auf 96 Siege in 102 Partien, und bei Weltmeisterschaften haben sie nur ein einziges Mal verloren – 2011 gegen Polen in Polen. Trotzdem sagt Stefan Kermas, der in Leipzig die deutschen Männer als Cheftrainer betreuen wird: „Es ist absolut kein Selbstgänger.“
Hallenhockey ist immer noch eine deutsche Domäne, aber die Konkurrenz hat aufgeholt – so sehr, dass Jamilon Mülders, der Bundestrainer der Frauen, seine Mannschaft in Leipzig trotz Heimvorteil keineswegs als ersten Anwärter auf den Titel sieht. „Realistisches Ziel ist das Erreichen des Halbfinales, und da liegt unser alleiniger Fokus drauf“, sagt er. Die Holländerinnen, gegen die das deutsche Team zuletzt ein Testspiel verloren hat, hält Mülders für stärker. Zumal die das international gültige System mit fünf Spielern (Hockey Five) gewohnt sind, während die Bundesliga vor dieser Saison nach nur einem Jahr zur Variante mit sechs Spielern zurückgekehrt ist. „Das ist ein absoluter Tanz auf der Rasierklinge“, sagt Mülders über die Umstellung, die auf beide deutschen Teams zukommen wird. Das erste Spiel bei der WM haben die Frauen indes gewonnen.
Die alte Hierarchie gerät ins Wanken
Holland ist auch sonst ein gutes Beispiel für die internationale Entwicklung im Hallenhockey. Der Verband hat sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen einen eigenen Kader nur für die Halle nominiert. Seit Oktober trainieren die Teams einmal in der Woche zusammen und sind entsprechend eingespielt. Ein ähnliches Modell gibt es auch in Australien. Andere Nationen betreiben mit ihren Nationalteams inzwischen ebenfalls deutlich mehr Aufwand als die Deutschen, die in erster Linie noch von ihrer starken Bundesliga profitieren.
Aber die alte Hierarchie gerät zunehmend ins Wanken. Das liegt auch daran, dass Fortschritte im Hallenhockey sehr viel schneller zu erzielen sind als auf dem Feld. Man braucht weniger Spieler, dazu ist die Infrastruktur im Grunde überall dort vorhanden, wo es eine Schulsporthalle gibt. Polen hat zwischenzeitlich intensive Anstrengungen unternommen und es in der Halle bis in die Weltspitze gebracht. Auch die Schweden konzentrieren sich voll auf die Halle. Im Feld haben sie es in der Weltrangliste nicht einmal unter die ersten 40 geschafft, in der Halle liegen sie unter den Top 12.
Bundestrainer Mülders: Hallen-WM "wichtig für die Wettkampfstabilität"
Zweistellige Siege waren für die Deutschen früher eher die Ausnahme als die Regel, bei der EM 2002 haben die Frauen einmal 20:1 gegen Österreich gewonnen. Inzwischen aber müssen sie hart kämpfen, um überhaupt zu gewinnen. Für Bundestrainer Mülders ist die Hallen-WM eine gute Schule für die anstehenden Aufgaben auf dem Feld, vor allem die Olympiaqualifikation im Juni. „Sie ist wichtig für die mentale Wettkampfstabilität und das individuelle Verteidigen“, sagt er.
Mülders nimmt das Turnier jedenfalls sehr ernst, auch wenn es ein wenig schräg im internationalen Terminkalender steht. In der Vergangenheit musste die Halle in solchen Fällen immer hinter dem Feld zurückstehen. Die Männer haben dann auch mal ihre U 21 aufgeboten, ein Team ganz ohne Nationalspieler oder – so 2006 bei der EM in Eindhoven – eine Mannschaft fast ausschließlich aus ehemaligen Nationalspielern, „eine Rentnertruppe“, wie Florian Kunz sagt. Deren historische Niederlage gegen Polen hatte am Ende übrigens keine gravierenden Folgen. Im Gegenteil. „Sie hat dazu geführt, dass die alten Säcke noch einmal Blut geleckt und sich zusammengerissen haben“, erinnert sich Kunz. Im Finale trafen die Deutschen erneut auf Polen. Sie gewannen 4:3.