zum Hauptinhalt
Schräger Blickwinkel: Jens Lehmann irritiert mit seinen Aussagen.
© Imago

Wirre Thesen und Verschwörungstheorien im Sport: Es geht noch abstruser als bei Jens Lehmann

Für seine Aussagen im „Doppelpass“ erntete Jens Lehmann einen Shitstorm. Andere Sportler haben jedoch noch deutlich krudere Theorien zum Coronavirus verbreitet.

Der „Doppelpass“, dieses sonntägliche Fernseh-Hochamt der Fußballgemeinde, war noch nie feiner Debattierklub oder diskursanalytisches Proseminar, kein Ort für komplexe Argumentationsketten, nichts für bedächtige Gemüter, die gerne jeden Gedanken dreimal hin und her wiegen.

Vor Jahren hätte man sich also vielleicht noch gewundert, dass sich so jemand wie Jens Lehmann in diese Runde begibt. Der frühere Nationaltorhüter hatte immer auch den Ruf des etwas anderen Fußballprofis, ein wenig intellektueller als der Durchschnitt. Dass sich diese Eigenschaften bei Lehmann jedoch zugleich mit einer gewissen Großspurigkeit und Selbstgerechtigkeit mischten, ließ sich angesichts seiner Eskapaden auf und neben dem Spielfeld auch nur schwer übersehen.

[Verfolgen Sie in unseren Liveblogs die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in Berlin und zum Coronavirus weltweit.]

Am vergangenen Sonntag saß er nun also tatsächlich beim „Doppelpass“ – und sein Auftritt dort dürfte nun nicht gerade dafür gesorgt haben, sein persönliches Profil als intellektueller Feingeist zu schärfen. „Ich glaube, dass wir von Politikern wie auch von Virologen nicht so genau Bescheid bekommen, wie es sich eigentlich um das ganze Virus verhält“, raunte Lehmann da, als es um die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf den Profifußball ging. „Auch die Medien spielen da natürlich ihren Teil.“ Und: „Es ist natürlich ein extremer Eingriff in unsere Freiheitsrechte, was wir so noch nie hatten und was mich auch wundert, dass da eigentlich gar keiner sich gegen auflehnt, niemand.“

Zuletzt verblüffte Lehmann noch mit dem wunderlichen Vorschlag, die Bundesliga-Saison entgegen aller Expertisen doch mit Stadionpublikum zu Ende zu führen: „Die Frage hat mir auch noch keiner beantworten können, warum zum Beispiel in einem Stadion wie hier der Allianz-Arena, wo 70.000 Leute reinkommen, warum man da nicht 20.000 reinstecken kann“, sagte der 50-Jährige. Im Baumarkt könne man die Leute ja auch nicht so gut voneinander trennen.

Der Shitstorm im Netz ließ da nicht lange auf sich warten. „Was redet Lehmann für wirres Zeug?“ und „Herr, lass Hirn regnen!“, hieß es da. Von „kruden Thesen“ und „gefährlichen Aussagen“ war zu lesen, gar von „Verschwörungstheorien“.

Die aktuelle Lage befördert zurzeit natürlich eine Menge Verunsicherung, Beklemmungen, Ängste. In den sozialen Medien und Messengern verbreiten sich abstruse Ansichten, konfuse Spekulationen und konspirative Unterstellungen. Davor sind auch Sportlerinnen und Sportler nicht gefeit. Weil sie sich jedoch in der Öffentlichkeit bewegen und von ihren Fans als Vorbilder und Idole angehimmelt werden, haben sie eine ganz besondere Verantwortung.

Der kommen fast alle Athletinnen und Athleten auch nach, wenn sie auf ihren Plattformen dazu aufrufen, zu Hause zu bleiben und Abstand zu halten, sich sogar solidarisch zeigen und an Hilfsaktionen beteiligen. Entsprechend heftig fallen jedoch umgekehrt die Reaktionen aus, wenn sie – siehe Jens Lehmann – dann doch meinen, ihre exklusiven Ansichten öffentlich verbreiten zu müssen.

Haltlos: NBA-Profis Kyle Kuzma hält den Verkauf von Desinfektionsmittel für Geldmacherei.
Haltlos: NBA-Profis Kyle Kuzma hält den Verkauf von Desinfektionsmittel für Geldmacherei.
© Joe Camporeale/dpa

Erst an Ostern etwa hatte Taylan Duman, Mittelfeldspieler von Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft, ein Verschwörungsvideo auf seinem Instagram-Profil geteilt. „Schaut es Euch an, um vielleicht mal einige Dinge zu hinterfragen, die momentan um uns herum passieren!“, hatte der 22-Jährige laut „Ruhr Nachrichten“ geschrieben und dabei einen Clip verbreitet, in dem ein selbsternannter Geschäftsberater krude Theorien zur Coronavirus-Krise formuliert.

Italien etwa hätte sich seine Infektionsfälle größtenteils ausgedacht, um damit EU-Gelder abgreifen zu können, hieß es da: „Wenn Regierungen uns und die Medien lenken, könnte es nicht auch sein, dass sie ihre Mediziner lenken?“ Ein paar Stunden später löschte Duman das Video kommentarlos wieder.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Auch zwei Basketballprofis aus der nordamerikanischen Profiliga NBA haben zuletzt für Verwunderung gesorgt. Flügelspieler Kyle Kuzma von den Los Angeles Lakers hält Desinfektionsmittel offensichtlich für wirkungslos und bezeichnete den Verkauf als reine Geldmacherei, die nur der Industrie helfe: „Jetzt findet ihr endlich alle raus, dass uns die Unternehmen all die Jahre nur das Geld genommen haben!“, schrieb er auf Instagram.

Und Trey Burke von den Philadelphia 76ers offenbarte sich inmitten der Krise als radikaler Impfgegner: „Scheiß auf Impfungen!“, ließ er ebenfalls auf Instagram verlauten. Sie seien ein Versuch, Menschen umzubringen. Dann raunte er noch von Funkchips, die „bereit zur Implementierung“ wären – eine gängige Verschwörungstheorie unter Leuten, die allenthalben Totalüberwachung und dauerhafte Ortung wittern.

Man kann es aber auch mit Humor nehmen. Wie der Fan des 1. FC Köln, dessen Video ebenfalls im Netz zu finden ist. „Is eusch wat aufjefallen?“, fragt er da im breitesten Kölsch. An Verschwörungstheorien glaube er zwar nicht, aber: „Dat janze Ding mit dem Virus is entstanden, nachdem der 1. FC Köln ’ne Siegesserie hatte.“

Wer könnte also dahinterstecken? Doch nicht etwa der FC Bayern oder Borussia Dortmund? „Es is ejal wer!“, erklärt er und kommt zu dem Schluss: „Die wollen nit, datt der 1. FC Köln Deutscher Meister wird!“

Leonard Brandbeck

Zur Startseite