Soziale Netzwerke und Sport: „Es geht auch ein paar Stunden ohne“
Junkie-Mentalität und Facebook-Sucht: Hockey-Bundestrainer Markus Weise über ein Verbot von Smartphones und Internet für seine Spieler.
Herr Weise, wann waren Sie mit Ihrem Smartphone zuletzt auf Facebook?
Noch nie. Ich bin nicht bei Facebook.
Okay. Dann haben Sie auch kein Problem damit, Ihren Spielern die Benutzung von Internet und Smartphones zu verbieten.
Das ist kein Verbot, es ist eine Regel, und über Regeln kann man immer reden. Ich will nichts verbieten, mir geht es darum, dass sich die Jungs mal lösen von diesem Energiefresser. Wenn man bei Facebook unterwegs ist, entwickelt man so eine Junkie-Mentalität: Ständig kommt etwas rein, man muss alles sofort lesen und sofort reagieren. Nein, muss man gar nicht. Es geht auch ein paar Stunden ohne.
Das hört sich so an, als hätte dieses Thema schon länger in Ihnen gebrodelt?
Gebrodelt hat es nicht, aber ich habe es länger beobachtet. Und ich fand es auffällig, wie oft mehrere meiner Jungs gleichzeitig im selben Raum sind, aber jeder nur mit seinem Handy in Verbindung steht. Ich will nicht sagen, dass der Sozialkontakt zum Nachbarn ausstirbt, aber er leidet. Und das finde ich schon problematisch.
Vielleicht kommunizieren die Jungs dann gerade über ihre Handys miteinander.
Darauf läuft es hinaus. Mündliche Sprache verkümmert, irgendwann kommuniziert man nur noch über diese Dinger. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Voriges Jahr beim Zentrallehrgang hat sich ein Spieler mehr oder weniger abgesondert, weil er nur mit seinem Handy zugange war. Er war dabei, einen Sonderling-Status zu entwickeln. Das kann man im Mannschaftssport nicht so richtig gut brauchen. Man muss nicht mit allen befreundet sein, aber ein gewisses Maß an Zusammenhalt sollte es schon geben. Und das geht nicht, wenn sich einer immer abklemmt.
Und wie sieht die Regel aus, mit der Sie das verhindern wollen?
Das ist unterschiedlich. Bei Olympia haben wir gesagt: Von der letzten Besprechung vor dem Spiel bis zum Schlusspfiff kommen wir alle mal ohne Smartphone aus. Jetzt beim Zentrallehrgang in Südafrika durften keine Handys mit zum Trainingsplatz genommen werden. Es gab vorher Leute, die nach dem Training sofort zu ihren Schlägertaschen gestürzt sind, um auf ihre Handys schauen. Das haben sie jetzt eben erst 20 Minuten später machen können, und alle haben – große Überraschung! – überlebt.
"Es gibt eine Art Grundnervosität: Oh Gott, vielleicht verpasse ich was"
Haben Sie die Taschen kontrolliert?
Um Gottes willen. Das ist mir zu blöd. Vielleicht hat der eine oder andere auch beschissen. Aber dann war es eine bewusste Entscheidung. Außerdem gibt es ein mannschaftsinternes Korrektiv. Die Jungs regeln das auch untereinander.
Gab es innerhalb der Mannschaft Unmut?
Das ist eine spannende Geschichte. Sogar die älteren Spieler haben bei der nachrückenden Generation schon Verhaltensweisen beobachtet, mit denen sie Probleme haben. Und meine älteren Spieler sind nicht Mitte 30, sondern unter 30. Aber es geht inzwischen so schnell, dass man abgehängt wird. Zehn Jahre Altersunterschied sind schon eine ganze Welt. Oder digital gesehen: ein halbes Universum.
Es ist also auch eine Frage des Alters?
Natürlich. Für Jugendliche ist es heute unvorstellbar, dass es überhaupt eine Zeit ohne Handy und Facebook gegeben hat. Man muss diese Gegebenheiten hinnehmen, aber eben auch ein bisschen lenken, damit es nicht aus dem Ruder läuft. Mit der Zeit lernt man: Es ist zwar alles dringend – aber nicht alles ist wichtig. Das lässt sich mit diesem Thema sehr gut dokumentieren: „Bin jetzt beim Einkaufen“ oder „Meine neuen grünen Schuhe“ – das ist ja ganz lustig, aber nicht weltbewegend. Es gab gerade eine interessante Untersuchung bei den australischen Schwimmern. Die haben festgestellt, dass ihr Misserfolg bei den Olympischen Spielen in London unter anderem auf die Ablenkung durch soziale Netzwerke zurückzuführen war. Wenn man nicht die richtigen Prioritäten setzt und den Fokus verliert, zahlt man dafür einen hohen Preis.
Besteht auch die Gefahr, dass Spieler Dinge in die Öffentlichkeit tragen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind?
Es gibt generell die Tendenz, die Tabugrenze zu verschieben. Bei Auszeiten werden Mikros in den Mannschaftskreis gehängt, überall ist die Kamera auf einen gerichtet, und am liebsten wären die Medien auch in der Kabine dabei. Wenn diese Entwicklung dann noch von Spielerseite forciert wird, ist es schon bedenklich.
Andererseits können Twitter und Facebook für Amateursportler auch ein wichtiges Mittel zur Selbstvermarktung sein?
Absolut. Wir haben mit der Nationalmannschaft eine eigene Facebookseite, und ich sage den Jungs: Wenn ihr so etwas macht, macht es richtig! In Südafrika könnte man zum Beispiel eine Patenschaft mit einer Township ins Leben rufen. Das wäre eine geile Sache, die man posten könnte. Dann hätte man nicht diesen geistigen Dünnpfiff. Aber da muss man natürlich auch ein bisschen Hirnschmalz reinstecken. Und dann wird es wieder schwierig. Das finde ich schade.
Sie haben von einer Junkie-Mentalität gesprochen. Haben Sie schon Entzugserscheinungen festgestellt? Schweißausbrüche, Zittern, unkontrolliertes Daumenzucken?
Das nicht, aber es gibt eine Art Grundnervosität: Oh Gott, vielleicht verpasse ich was. Das ist, wie wenn Sie ein paar Tage Ihre Mails nicht abgerufen haben. Dann denken Sie auch: Hoffentlich schaffe ich es, die alle abzuarbeiten.
Gibt es auch positive Effekte?
Man hat schon den Eindruck, dass es der Gruppe gut tut. Als wir in Südafrika vom Training ins Hotel gefahren sind, gab es plötzlich wieder Unterhaltung im Bus. Es entsteht ein positiver Geräuschpegel. Vorher hattest du auch einen Geräuschpegel. Aber da hat es nur gepiept und gesummt.
Das Gespräch führte Stefan Hermanns.