zum Hauptinhalt
Blumen für Erik Lesser nach der ersten deutschen Biathlon-Medaille in Sotschi.
© Reuters
Update

Biathlon: Erik Lesser gewinnt Silber im Einzelrennen

Zwanzig Schuss, zwanzig Treffer: Erik Lesser holt über 20 Kilometer die erste Biathlon-Medaille für Deutschland bei den Olympischen Winterspielen. Danach übte kritisiert er die Erwartungshaltung und Medaillenvorgaben.

Mit einer plötzlichen Bewegung griff Erik Lesser in seine Jackentasche, doch dann merkte er rasch: Keine Aufregung, wieder dieselbe Quelle. „Die ganze Zeit vibriert mein Handy“, sagte der Biathlet, der selbst verantwortlich für die vielen Anrufe war. Silber im Einzel über 20 Kilometer hatte er schließlich geholt – hinter dem Franzosen Martin Fourcade und vor Russlands Jubilar Jewgeni Garanitschew, der sich an seinem 26. Geburtstag mit Bronze beschenkte. Und während Fourcade sprach, schaltete der Mann rechts neben ihm erst mal auf Durchzug.

Genüsslich fläzte sich der einstige Walrossbartträger, inzwischen immer rasiert, tief hinein in seinen schwarzen Ledersessel. Ließ den schnellen Monsieur erzählen und dachte lieber an die Anruferin, die er wenige Minuten zuvor von seinem Handy hatte wegdrücken müssen: Freundin Nadine, die er mal als seine schärfste Kritikerin bezeichnet hat.

Am Donnerstag hatte sie jedoch nichts zu meckern. Alle 20 Scheiben hatte ihr Lebensgefährte mit seinem Gewehr getroffen, und hundertprozentige Ausbeute am Schießstand war schließlich die Basis für die erste Medaille der deutschen Biathleten bei diesen Winterspielen. Und sie war der Grund für den gewaltigen Stoßseufzer, den Trainer Mark Kirchner, mit seiner dicken russischen Pelzmütze auf dem Kopf, nach Lessers letztem Schuss von sich gab. Vor Begeisterung – und vor Erleichterung.

„Wir wollten hier einen besseren Start in die Wettkämpfe, das haben wir nicht geschafft“, sagte Kirchner nach zuvor vier medaillenlosen Auftritten. Der Bundestrainer nutzte den ersten Medaillengewinn aber zugleich zu einer kleinen Medienschelte. „Man sollte uns nicht immer sofort nach unten und beim nächsten Mal wieder nach oben katapultieren. Ich wünsche mir das Ganze ein bisschen objektiver.“

Ganz subjektiv sah der 25-jährige Lesser das ähnlich. „Es ist schade, wenn man uns immer nur auf die Medaillen reduziert. Dass Evi Sachenbacher-Stehle in Vancouver Vierte im 30-Kilometer-Langlauf war, obwohl das gar nicht ihre Disziplin war, weiß heute kaum noch einer“, sagte er und kritisierte bei der Gelegenheit auch den Hang des DOSB zu Medaillenvorgaben: „Ich finde es immer doof.“

Nach dem 20. und letzten Schuss hatte der Deutsche sogar knapp zehn Sekunden Vorsprung auf Fourcade, doch auf den letzten vier Laufkilometern schmolz das kleine Polster rasch dahin. So wurde es am Ende Silber – und das widmete er seinen beiden Großvätern: Opa Axel Lesser (67), der zwischen 1968 und 1976 als Langläufer an drei Olympischen Spielen teilnahm. Und Willi Pietzko, dem Opa mütterlicherseits, der schon 93 ist. „Beides verdiente Großväter“, betonte Lesser. Letzterer habe ihm versprochen, „dass er durchhält, bis ich meine erste Olympia-Teilnahme geschafft habe. Jetzt habe ich ihm das Durchhalten versilbert“, sagte Lesser, der Kirchners stürmische Umarmung vor dem Gang zur Siegerehrung recht gefasst erwiderte. „Mark und ich sind nicht die Männer der großen Worte. Wenn man zusammen am Tisch sitzt, geht das auch mal mit fünf Worten“, erklärte der erste männliche Medaillengewinner der deutschen Biathleten seit 2006 später seine gedrosselten Emotionen und berichtete: „Heute waren es vier Worte.“ Und zwar: „Herzlichen Glückwunsch, danke und … noch irgendwas.“

Zur Startseite