Fußball-WM 2014 in Brasilien: England nach Niederlage gegen Uruguay vor dem WM-Aus
Was für ein Krimi in Sao Paulo! Uruguays Starstürmer Luis Suarez, der gerade Torschützenkönig in der englischen Premier League geworden ist, schickt England mit seinen zwei Toren wohl nach Hause. Da hilft nicht einmal der erste WM-Treffer von Wayne Rooney.
In England mögen sie ihn nicht, weil er kratzt und beißt und tritt, also den Fußball nicht gerade als Spiel der Gentlemen interpretiert. Am Donnerstag hat Luis Suárez noch ein bisschen mehr für seine Unbeliebtheit getan, aber das war ihm herzlich egal, denn es ging um etwas Höheres, nämlich die Ehre des Vaterlandes. Kurz vor der Pause des zweiten Spieltags der Vorrundengruppe B erzielte der Mann, den sie „El Pistolero“ nennen, beide Tore zu Uruguays 2:1 (1:0)-Sieg über England. Eines sanft mit dem Kopf, eines knallhart mit dem Fuß. Diese beiden Tore verschaffen dem ersten aller Weltmeister nach einem völlig missratenen Start jetzt wieder beste Chancen auf den Einzug ins Achtelfinale der WM von Brasilien. Für England aber dürfte das Turnier nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel wohl schon ein frühes Ende finden.
"Ich habe das geträumt und das genieße ich im Moment sehr. Der Druck war so groß. Wir wurden in der Heimat sehr kritisiert, das ist unsere Antwort", sagte Suarez. "Da ist erstmal nur Freude und Erleichterung. Aber noch haben wir nichts erreicht, wir haben noch ein Finale gegen Italien vor uns", meinte Edinson Cavani. Englands Teammanager Roy Hodgson sagte: "Das ist ein ganz schlechtes Resultat. Jetzt müssen wir darauf hoffen, dass Italien seine beiden Spiele gewinnt. Wir haben alles versucht, aber es hat nicht gereicht. Das ist sehr traurig."
Luis Suarez spielt in der Premier League für den FC Liverpool
Es war vor 62.575 Zuschauern im Itaquerao von Sao Paulo ein ganz besonderes Tor für den vielleicht besten Stürmer der Welt. Schließlich spielt er im Alltag für den FC Liverpool, dessen Kapitän Steven Gerrard auch Englands Kapitän ist. Außerdem war sein Einsatz ein medizinisches Wagnis. Es war nämlich sein erstes Spiel seit mehreren Wochen, seit einer Knieverletzung, erlitten im Trainingslager vor der Weltmeisterschaft. Suárez hatte dann auch gleich zwei gute Szenen, als er sich erst an der Grundlinie durchmogelte und mit seiner Eingabe die erste Verwirrung in der englischen Verteidigung provozierte. Den daraus folgenden Eckstoß schoss er selbst, mit viel Effet und Raffinesse auf den kurzen Pfosten, wo Torhüter Joe Hart einige Mühe hatte, die Szene zu klären.
Suarez hatte allein in der ersten Viertelstunde mehr gute Szenen als sein Kollege Cavani im gesamten Spiel gegen Costa Rica, aber die erste richtige, ja große Chance hatte England. Sie resultierte aus einem Handspiel von Diego Godín. Den fälligen Freistoß trat Wayne Rooney, und er trat ihn so gut, dass Torhüter Fernando Muslera traurig hinterherschaute. Ein paar Zentimeter nur flog der Ball am linken Tordreieck vorbei. Noch näher dran war Rooney, als er nach Steven Gerrards Freistoßflanke höher sprang als Martin Caceres und den Ball einen Meter vor dem Tor an die Latte köpfte. Auf der anderen Seite sauste ein Direktschuss von Cristian Rodriguez über das Tor.
Das Spiel war lange offen, mit leichten Vorteilen für England
Das Spiel war offen, mit optischen und technischen Vorteilen für England, aber das war genau die Konstellation, die den Uruguayern immer behagt hat. Das Spiel machen sie nicht so gern und auch die Favoritenrolle behagt ihnen weniger, selten war das so deutlich zu sehen wie bei jenem 1:3 im ersten WM-Spiel gegen den größtmöglichen Außenseiter Costa Rica. Aber da hatten sie auch keinen Luis Suárez. Den Mann also, der aus wenigen brillanten Szenen einen Sieg oder wenigstens einen Punkt machen kann.
Zum Beispiel bei diesem ersten durchdachten Angriff, die Uruguayer hatten ihn sich für die finalen Minuten der ersten Halbzeit aufgehoben. Nach Gerrards Fehler in der Vorwärtsbewegung brachte Nicolas Lodeiro auf dem linken Flügel Cavani ins Spiel. Der flankte über die englische Abwehr hinweg auf Suárez. Der sprang höher und besser als Phil Jagielka und bolzte den Ball nicht einfach mit der Stirn aufs Tor, sondern hob ihn sanft über Hart gegen dessen Laufrichtung.
Wayne Rooney schießt sein erstes WM-Tor für England
England tat sich in der Folge schwer, hatte zwar im direkten Gegenzug durch Daniel Sturridge eine gute Chance zum Ausgleich, aber der Winkel war ein wenig spitz und Muslera boxte den scharfen Schuss noch zur Ecke. Die Verunsicherung war allgegenwärtig. Bei aller optischen Überlegenheit war lange Zeit wenig Inspiration zu erkennen, es gab keine schlüssige Idee, einen Weg zu finden durch das Gewirr der himmelblauen Leibchen Uruguay blieb gefährlich, auch dank Cavani, der sichtlich profitierte von Suárez’ Mitwirken. Zweimal hatte der Stürmer von Paris St. Germain das 2:0 auf dem Fuß, zweimal hatten die Engländer Glück. Und dann Pech, als Rooney mit seiner dritten Chance aus Nahdistanz an Muslera scheiterte.
Es war denn eine Viertelstunde vor Schluss eine individuelle Glanzleistung ausgerechnet eines Verteidigers, die sie zurück ins Spiel brachte. Glen Johnsons Solo auf dem rechten Flügel fand ihre Fortsetzung in einem perfekten Pass in die Mitte, und diesmal war Rooney zur Stelle und drückte ein zum Ausgleich. Das war das Signal zu einer dramatischen Schlussphase. Bei Sturridges Drehschuss reagierte Muslera großartig, aber auch Uruguay spielte wieder nach vorn und die optischen Gewichte verschoben sich. England übersah das Zeichen zur erneuten Wende und lief in einen verhängnisvollen Konter. Der großartige Muslera leitete ihn mit einem langen Ball ein, Suárez verwandelte gnadenlos.
Sven Goldmann