Türkischer Basketball-Star: Enes Kanter kämpft im Exil gegen Erdogan
NBA-Spieler Enes Kanter ist Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – und traut sich deshalb nicht mehr nach Europa.
Für viele Basketballfans in den USA ist Enes Kanter ein Vorbild. Für Recep Tayyip Erdogan ist er ein Staatsfeind. „Ich könnte von türkischen Agenten jederzeit entführt oder getötet werden“, schrieb der türkische NBA-Profi kürzlich in der „Washington Post“. Eine Reise mit seinem Team, den New York Knicks, nach London sagte er vorsichtshalber ab. Denn Kanter ist ein bekennender Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht wird. Deshalb fürchtet der 26-jährige nun den „langen Arm“ Erdogans, wie er es ausdrückt – und er hat offenbar allen Grund dazu.
Die Istanbuler Staatsanwaltschaft beantragte kürzlich über die internationale Polizeibehörde Interpol die Festnahme und Auslieferung des Basketballers. Ihm wird wegen seiner Verehrung für den in Pennsylvania lebenden Gülen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Zudem soll der Star, der in New York laut Medienberichten rund 19 Millionen Dollar pro Saison verdient, die Gülen-Bewegung finanziell unterstützt haben.
Kanter ist stolz auf seine enge Verbindung zu Gülen und wird bei seiner Kritik am türkischen Präsidenten sehr deutlich. Am Tag des türkischen Putschversuches, dem 15. Juli 2016, besuchte Kanter seinen spirituellen „Meister“ in Pennsylvania, was ihn aus Sicht der Türkei erst recht verdächtig macht. Gülen sei damals angesichts des Umsturzversuches so geschockt gewesen wie alle anderen Türken auch, sagte Kanter später; die Gülen- Bewegung weist den Vorwurf zurück, der 77-jährige Prediger und langjährige politische Verbündete von Erdogan habe bei dem versuchten Staatsstreich die Fäden gezogen.
Kanter ist bekennender Anhänger von Prediger Gülen
Für Kanter ist Gülen mehr als nur eine spirituelle Stütze: Die Bewegung des Predigers ist seine Familie, seit sich seine Eltern in der Türkei von ihm losgesagt haben. Kurz nach dem Putschversuch entschuldigte sich Kanters Vater Mehmet bei der türkischen Nation für seinen Sohn, der von Gülen „hypnotisiert“ worden sei.
Kanters Reaktion bestand in einem Bekenntnis zu Gülen: „Möge Gott jede Sekunde meines Lebens nehmen und meinem mutigen Lehrer schenken“, schrieb er damals auf Twitter. Erdogan nennt er einen „Diktator“.
Ganz bewusst setzt der NBA-Spieler seine Bekanntheit ein, um sich für Gülen und gegen die türkische Regierung einzusetzen. So beklagte er kürzlich im Gespräch mit der Online-Plattform „EUobserver“ das Schweigen der EU angesichts von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei.
In der „Washington Post“ bezeichnete sich Kanter als Ziel staatlicher Verfolgung in der Türkei: „Erdogan will mich in der Türkei haben, wo er mich zum Schweigen bringen kann.“ In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters forderte Kanter, US-Präsident Donald Trump solle sich um die Berichte über Entführungen, Folterungen und Morde in der Türkei kümmern.
Auch der frühere Fußballstar Hakan Sükür lebt mittlerweile in den USA
Nicht erst seit dem Antrag bei Interpol sind die türkischen Behörden dem Star auf den Fersen. Im vergangenen Jahr wurde Kanter bei einem Besuch in Rumänien auf Betreiben der Türkei vorübergehend festgesetzt: Ankara ließ damals seinen türkischen Pass einziehen. Der Sportler konnte nur dank der Intervention der NBA und des amerikanischen Außenministeriums von Bukarest aus in die USA zurückkehren. „Erdogan jagt jeden, der gegen ihn ist“, schrieb Kanter jetzt in der „Washington Post“.
Tatsächlich hat der türkische Geheimdienst schon mindestens 80 mutmaßliche Gülen-Anhänger in 18 verschiedenen Ländern gefasst und in die Türkei bringen lassen. Prominente Gülenisten wie Kanter stehen ganz besonders im Visier der türkischen Fahnder.
Auch der ehemals unumstrittene Superstar des türkischen Fußballs, Hakan Sükür, lebt in den USA, weil ihm in der Türkei das Gefängnis droht. Sükür war ein legendärer Mittelstürmer der türkischen Nationalmannschaft und des Spitzenklubs Galatasaray Istanbul und saß nach dem Ende seiner Laufbahn sogar als Abgeordneter der Erdogan-Partei AKP im türkischen Parlament. Doch damals arbeiteten Gülen und die AKP noch zusammen. Nach dem Bruch des Bündnisses im Dezember 2013 wurde für Sükür wie für Kanter die Luft eng.
Der ehemalige Fußball-Gott Sükür betreibt heute ein kleines Café im kalifornischen Palo Alto. Ebenso wie Kanter wird er auf absehbare Zeit nicht mehr in die Türkei zurückkehren können.