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Afroverteidiger: Paul Breitner.
© p-a/Sven Simon

Tagesspiegel-Wahl: Paul Breitner ist bester Linksverteidiger: El Comandante

Unsere Experten-Jury hat Paul Breitner zum besten linken Verteidiger der Bundesliga-Geschichte gewählt. In den frühen siebziger Jahren verkörperte er das Bild einer aufbegehrenden Jugend. Doch es ging Breitner immer nur um eines: Er wollte das Sagen haben.

Ob Paul Breitner vor einem Mao-Poster mit der „Peking Rundschau“ posierte, Funktionäre anraunzte oder sich auf der Meisterfeier seines CSU-nahen FC Bayern von der Kapelle das kubanische Revolutionslied „El Comandante Che Guevara“ wünschte: In der Rolle des Fußball-Rebellen war keiner so gut wie er. Geradezu ideal verkörperte der bärtige Oberbayer mit dem krausen Langhaar in den frühen siebziger Jahren das Bild einer aufbegehrenden Jugend. Nur wer genauer hinsah, erkannte hinter der Maskerade auch Unsicherheit und innere Zerrissenheit.

Meist hielt Breitner dem Druck stand, den er selbst erzeugt hatte. Für Helmut Schön war er der Rädelsführer beim Aufstand in der Sportschule Malente, wo Spieler und DFB-Funktionäre kurz vor der WM 1974 bis fünf Uhr morgens um die Siegprämie stritten. Der empfindsame Bundestrainer drohte mit seiner Abreise und ließ Breitner ausrichten: Mit „diesem Maoisten“ wolle er nichts mehr zu tun haben. Ausgerechnet der Münchner rettete Schöns Elf dann mit seinem Gewaltschuss beim 1:0 gegen Chile die WM-Premiere im eigenen Land.

Und als es im Endspiel gegen die Niederlande (2:1) Elfmeter für Deutschland gab, zeigte der erst 22 Jahre alte Repräsentant einer neuen, unangepassten Spielergeneration die meiste Courage. Obwohl er nicht als Schütze vorgesehen war, nahm sich Breitner den Ball und schoss ihn ins Tor. Erst anderntags dämmerte ihm bei der TV-Wiederholung des Finales, wie weit er sich vorgewagt hatte. „Ich sah mich zum Elfmeter anlaufen“, erzählt er, „und hatte nur einen Gedanken: Was ist, wenn der nicht reingeht?“ In dem Moment habe er feuchte Hände bekommen.

Breitner war der beste Verteidiger dieser WM. Ein Protagonist des modernen Fußballs, antrittsschnell, konditions- und willensstark, immer offensiv denkend, dazu schussgewaltig. Wie schon gegen Chile wuchtete er auch gegen die Jugoslawen den Ball aus 25 Metern ins Tor. „Weltklasse!“, urteilte deren Trainer Miljan Miljanic und nahm ihn nach dem Turnier gleich mit zu seinem neuen Arbeitgeber Real Madrid. Was Breitner in der Heimat manchen hämischen Kommentar einbrachte. „Immer konnte ihm alles nicht links genug sein, und jetzt geht er zu den Falangisten“, rief ihm Helmut Schön hinterher. Doch Reals Nähe zum Franco-Regime kümmerte Breitner nicht.

Unsere Jury wählte Paul Breitner knapp vor Andreas Brehme. Maximal möglich wären 132 Punkte gewesen.
Unsere Jury wählte Paul Breitner knapp vor Andreas Brehme. Maximal möglich wären 132 Punkte gewesen.
© Tsp

Er sah zwar aus wie der zeitgemäße Linke und redete manchmal auch so. Auf der Fahrt zum Europapokalspiel ins damals noch kommunistische Pilsen empfahl ihm Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker, so berichtete der Autor Norbert Seitz, das Verlassen des Mannschaftsbusses mit dem Hinweis: Er könne gleich hier bleiben. Aber Breitner ging es letztlich nicht um gesellschaftliche Veränderungen. „Einen Roten“, behauptete er gegen Ende seiner Karriere, hätten die Medien aus ihm gemacht. Breitners Rebellentum hatte eher persönliche Motive: Er wollte das Sagen haben.

Er führte die "größte antideutsche PR-Aktion seit dem Zweiten Weltkrieg" an

Wie 1979 beim angekündigten Streik der Bayern-Spieler, als sogar der mächtige Neudecker über ihn stürzte. Nach der Heimkehr aus Madrid und einem einjährigen Gastspiel bei Eintracht Braunschweig, wohin ihn der schwerreiche Jägermeister-Boss Günter Mast gelockt hatte, sägte Breitner zunächst Trainer Gyula Lorant ab. Weil Neudecker den Zuchtmeister Max Merkel als neuen Coach engagierte, kam es zum Eklat. Mit Merkel werde die Mannschaft nicht zusammenarbeiten, erklärten Breitner und sein Mitstreiter Sepp Maier. Das sei ja wie bei der Gewerkschaft, empörte sich Bauunternehmer Neudecker und trat zurück. Wie von Breitner gewünscht, wurde der umgängliche Assistenztrainer Pal Csernai zum Chef befördert.

Online gab es lange Zeit eine Kampfabstimmung: Am Ende setzte sich bei den Lesern der frühere Dortmunder Dede vor den Bayern-Spielern Alaba und Breitner durch.
Online gab es lange Zeit eine Kampfabstimmung: Am Ende setzte sich bei den Lesern der frühere Dortmunder Dede vor den Bayern-Spielern Alaba und Breitner durch.
© Tsp

Jupp Derwall hätte also gewarnt sein können. Schöns Nachfolger suchte einen Anführer für seine junge Elf, die zwar 1980 furios Europameister geworden war, ihm aber für die kommende WM als zu instabil erschien. Er versöhnte sich mit Breitner, der ihn beim Prämienstreit in Malente einen „Linkmichel“ genannt hatte. Nach sechsjähriger Abwesenheit kehrte Breitner im April 1981 in die Nationalmannschaft zurück. Jetzt nicht mehr als Verteidiger, sondern – wie seit langem beim FC Bayern – als Antreiber im Mittelfeld.

„Wir brauchen eine so starke Persönlichkeit wie Breitner“, begründete Derwall den überraschenden Friedensschluss. Der Bundestrainer fühlte sich als Gewinner des faustischen Paktes, den er eingegangen war: Er trat Breitner die Macht über die Mannschaft ab, dafür sollte der ihn zum Weltmeister machen. Als Derwall seinen Irrtum erkannte, war nicht nur die eigene Karriere ruiniert, sondern auch das Ansehen der Nationalelf schwer beschädigt. „Die größte antideutsche PR-Aktion seit dem Zweiten Weltkrieg“, nannte Dietrich Schulze van Loon, Präsident der „Gesellschaft Public Relations Agenturen“, das Auftreten der von Breitner angeführten Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1982.

Breitner ging es in Spanien um mehr als Fußball. Er wollte „einer scheinheiligen Welt“ beweisen, dass jeder nur für sich spiele, allein das Ergebnis zähle und erfolgreiche Fußballer keine Asketen sein müssten. Im Hotel wurde gesoffen, geraucht und gezockt wie bei einer Thekenmannschaft. Die weltweite Empörung über das Skandalspiel von Gijon konterte er kühl: „Was wollen die, wir sind weiter.“ Weil das Resultat beiden reichte, hatten Deutsche und Österreicher nach dem 1:0 durch Horst Hrubesch den Spielbetrieb praktisch eingestellt.

Dass Deutschland Vizeweltmeister wurde, freute daheim kaum noch jemanden. Über dem mitreißenden Halbfinalsieg gegen Frankreich lag der Schatten von Harald Schumachers rüdem Foul an Patrick Battiston. Und beim 3:1 im Endspiel (Tor von Breitner) waren die Italiener so überlegen, dass die Fans an den Bildschirmen bald resignierten.

Das dürfte Breitner ziemlich egal gewesen sein. Er nahm Zuschauer als „grölende, besoffene Masse“ wahr, befand: „Selbst die aus dem gehobenen Mittelstand kommen oder gar die Creme der Gesellschaft, im Stadion verhalten sich alle primitiv.“ So redet keiner, der seinen Beruf liebt. Umso erstaunlicher, dass er als Berater des FC Bayern beim Fußball hängen geblieben ist. Dem „Spiegel“ gestand Breitner, nicht alles im Leben sei ihm geglückt. Als Beispiel nannte er das abgebrochene Pädagogikstudium.

Kurt Röttgen

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