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Drei Mal Leiden: Nach dem Schwimmen und Radfahren geht es für Triathleten auf die Laufstrecke, wie hier in Hamburg.
© picture alliance / dpa

Triathlon-Boom: Ein Sport ist nicht genug

Ein Marathon ist nicht genug: Immer mehr Deutsche wollen sich noch weiter quälen – und betreiben Triathlon.

Es ist ein großes Gewusel im Sportzentrum Erkner: Schnaufende Athleten im engen Einteiler kämpfen sich über die Tartanbahn Richtung Ziellinie; in der Wechselzone in der Mitte des Fußballplatzes reiht sich Rennrad an Rennrad, dazwischen liegen Beutel und Kisten mit Laufschuhen, Startnummerbändern, Energiegele und was der ambitionierte Triathlet noch so braucht; und drüben am Dämeritzsee stecken die ersten Teilnehmer der Jedermann-Triathlons gerade den Zeh ins Wasser und überlegen sich vielleicht noch einmal, ob es so eine gute Idee war, an einem Septembertag im Südosten Berlins ihr Debüt im offenen Wasser zu wagen – und nach den 700 Metern im Wasser noch 28 Kilometer auf dem Rad und 3,6 Kilometer laufend weiterzukämpfen.

Vom Manager- zum Volkssport

Triathlon ist kein einfacher Sport: Nicht nur trainiert man für drei Sportarten statt für eine, auch die Wettkämpfe sind ein logistisches Großprojekt, denn beim Rennen muss vom Helm bis zur Socke alles am rechten Platz sein. Die hektischen Wechsel aus dem Neoprenanzug auf das Fahrrad und anschließend in die Laufschuhe werden als vierte Disziplin des Sports gehandelt. Doppelt und dreifach auch der Anspruch an die Ausrüstung: Trainingsschuhe, Rennrad, Schwimmausrüstung mit Paddeln und Neoprenanzug. Triathlon war wegen seiner hohen Ansprüche an Trainingsdisziplin und den Geldbeutel lange als Managersport verschrien. Doch in den vergangenen Jahren hat sich der Nischen- zum Breitensport gewandelt.

Nahmen 2003 noch 90 000 Athleten an Wettkämpfen der Deutschen Triathlon Union (DTU) teil, waren es 2016 drei Mal so viele. Gleichzeitig stiegen die Mitgliederzahlen der Vereine in den vergangen Jahren um 105 Prozent auf knapp 58 000. Auch bei der Elite hat sich einiges getan: Zur Ironman-Weltmeisterschaft in Kona auf Hawaii, dem Mekka des Triathlonsports, war das Podium der Männer im vergangenen Jahr ausschließlich mit Deutschen besetzt, zum dritten Jahr in Folge saß der traditionelle Lorbeerkranz auf einem deutschen Haupt. In der Nacht vom kommenden Samstag auf Sonntag werden Jan Frodeno, Sebastian Kienle und Sven Lange mit der internationalen Elite in den tropischen Temperaturen Hawaiis für den Titel leiden.

Liegt es an diesen Vorbildern, dass der Sport einen Aufschwung erlebt hat? Oder ist es vielmehr dem stabilen Breitensport geschuldet, dass Jan Frodeno Weltrekorde bricht und olympische Medaillen wie Ironman-Wettkämpfe gewinnt und damit die Jahrzehnte der angelsächsischen Dominanz beendet hat?

Triathlontraining als Alltagsausgleich

Annegret Hodel aus Prenzlauer Berg hat auch ohne Kienle und Co. zum Sport gefunden. Die Freundin einer Freundin erzählte bei einem Abendessen vom Triathlon. „Da habe ich sie gleich ausgequetscht und Lust bekommen, es auch auszuprobieren“, erinnert sich die vierfache Mutter und Studentin, die gerade im Neoprenanzug am Ufer steht und das Wasser begutachtet. Jeden Nachmittag trainiert sie eine Stunde lang, entweder im Schwimmbecken oder auf der Laufstrecke. „Mir ist die Zeit für mich wichtig“, sagt sie.

Damit steht sie für die Mehrheit der Freizeittriathleten, die alleine trainieren und den Sport als Ausgleich im Alltag nutzen, mit variierendem Zeitaufwand und Wettkampfambitionen. Fast die Hälfte der DTU-Mitglieder besitzt nur eine Lizenz für Wettkämpfe und trainiert nicht aktiv in einem Verein. Dazu kommen die Hobbytriathleten, die gar keine Lizenz haben und nur für den Wettkampftag eine Startlizenz erwerben.

Florence Müller gehört ebenfalls zur Gruppe der Freizeittriathleten, die die Abwechslung im Training lieben und sich ansonsten mit kurzen Rennen begnügen. Die 33 Jahre alte Französin trainiert gemeinsam mit ihrem Mann im Schwimmverein, doch das war ihr irgendwann nicht mehr genug. Nun geht sie am Wochenende laufen und absolviert ihre Radeinheiten, denn die können leicht mal drei Stunden dauern und finden meist außerhalb Berlins statt. Wettkämpfe wie in Erkner nutzt sie als Motivation und Leistungsüberprüfung, Ambitionen auf die olympische Distanz (1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, zehn Kilometer Laufen) oder die Halbdistanz (1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren, 21,1 Kilometer Laufen) hat sie noch nicht – zu wenig Zeit fürs Training.

Ambitionierte Alltagsathleten

15 bis 20 Stunden Trainingseinsatz waren es zeitweise bei Matthias König. Der 38-Jährige hat seine hohen Triathlon-Ambitionen mittlerweile gedrosselt, geht aber noch regelmäßig laufen und schwimmen und startet bei kürzeren Rennen. Zu seinen besten Zeiten startete er über die volle Ironman-Distanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42,2 Kilometer Laufen) in Frankreich und im bayerischen Roth, dessen schnelle Strecke prädestiniert ist für den Weltrekord. Die Qualifikation für Kona verpasste er zwar, dennoch ist er zufrieden mit seiner Triathlonkarriere. „Stolz kann man schon sein, weil es doch eine heftige Distanz ist“, sagt er.

König hat den Anstieg der Mitglieder- und Teilnehmerzahlen in den Klubs und bei Wettkämpfen ebenfalls bemerkt. „Es gibt deutlich mehr Verrückte als früher“, sagt er. „Einige übernehmen sich da auch.“ Neu ist das aber nicht: Er erinnert sich an die Erfolge von Thomas Hellriegel, der 1997 in Kona gewann und Lothar Leder, der 1996 in Roth als erster Triathlet überhaupt die Acht-Stunden-Marke unterbot. „Diese großen Erfolge haben dazu geführt, dass Frodeno und Kienle jetzt dort stehen, wo sie stehen“, sagt König.

Diese Sicht auf die Henne-oder- Ei-Frage teilt auch Sven Alex. Er ist Präsident der Berliner Triathlon Union und selbst langjähriges Mitglied bei den „Weltraumjoggern“, einem der ältesten Triathlonvereine Berlins. In den vergangenen Jahren hätte sich der Sport professionalisiert, sagt er. Von Verbandsstrukturen über Wettkampforganisation mit den beiden großen Konkurrenten Ironman und Challenge, bis hin zu Ausrüstung und Sporternährung.

Immer öfter sieht man auf den einschlägigen Rennradrouten im Umland Berlins die Triathleten in der aerodynamischen Positionen in speziellen Lenkradbügeln liegen, findet an Berliner Schwimmbeckenkanten Wasserflaschen mit Ironman-Logo, das sich erfolgreiche Athleten auch gerne mal als Beweis für ihre Qualen auf die Wade oder Bizeps tätowieren lassen. „Ein hohes Sendungsbewusstsein“ bescheinigt Alex Triathleten. Der Sport macht also Werbung für sich selbst und das sehr erfolgreich. „Das, was für Manager früher der Marathon war, ist heute der Ironman“, sagt er. Frodenos Sieg bei den Olympischen Spielen war für ihn die Initialzündung für den erneuten Triathlonboom. Das macht sich auch in Berlin bemerkbar: Der Berliner Verband verzeichnet ebenfalls einen stetigen Mitgliederzuwachs, 2016 starteten 8000 Teilnehmer bei Wettbewerben innerhalb der Stadtgrenzen, 2011 waren es noch 3500 Triathleten.

Berliner Triathleten müssen ins Umland weichen

Dabei macht Berlin es den Triathleten nicht leicht: Wie die Trainingsroutinen von Annegret Hodel, Florence Müller und Matthias König zeigen, müssen viele Multisportler das Radtraining ins Umland und auf das Wochenende verschieben, weil der Verkehr in der Innenstadt zu dicht ist. Sven Alex erinnert sich an viele unschöne Unfälle unter Trainingskollegen und hofft auf Verbesserungen in der Infrastruktur. Ähnlich sieht es bei den Schwimmanlagen aus. „Bei den Wasserkapazitäten stößt Berlin an seine Grenzen“, sagt Alex. Keiner der Berliner Triathlonvereine trainiert in den innerstädtischen Bezirken, die meisten sind im Süden der Stadt angesiedelt. In Städten wie Hamburg und Frankfurt ist der Sport stärker in die Stadtstruktur integriert, nicht zuletzt, weil dort jedes Jahr Weltcupwettkämpfe und der Frankfurt Ironman ausgetragen werden.

Wenn der Ironman der neue Marathon ist, kann Berlin bald auf sein eigenes Triathlon-Großereignis hoffen? „Die Nachfrage ist da“, sagt Sven Alex, sieht aber Probleme für die Radstrecke und das Schwimmen: „Da müsste man für ein paar tausend Athleten die ganze Stadt lahmlegen und man kann ja schlecht den Olympiapark ausbaggern.“ Bis es soweit ist, fahren die Berliner Triathleten eben ins Aus- oder Umland – Aufwand sind sie durch ihren Sport ja ohnehin gewöhnt.

Darin ist auch Daniel Schuster erfahren. Der 42-Jährige aus Köpenick integriert Triathlon in seinen Alltag, indem er regelmäßig schwimmt und öfter zur oder von der Arbeit läuft, denn eigentlich kommt er vom Laufsport. „Ich finde die Abwechslung schön“, sagt Schuster. „Nur laufen ist mir zu langweilig.“

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