Basketball - 25 Jahre "Dream-Team": Ein Sieg für die Ewigkeit
Vor 25 Jahren zeigte das Dream-Team allen, wie man Basketball spielt. Der Auftritt beim olympischen Turnier von Barcelona hat den Sport nachhaltig verändert.
Mit Geografie außerhalb ihrer 50 Bundesstaaten haben es die meisten US- Amerikaner einfach nicht so, da macht auch Charles Barkley keine Ausnahme. An einem heißen Tag im Juli 1992 soll er Auskunft über den ersten Gegner der USA im olympischen Basketball-Turnier von Barcelona erteilen. Also, Herr Barkley, was wissen Sie über Angola? Der NBA-Profi macht kein Geheimnis aus seinen überschaubaren Kenntnissen und antwortet so, wie man es von ihm kennt: einfach geradeheraus. „Ich weiß gar nichts über Angola“, sagt er, „aber ich weiß, dass Angola in Schwierigkeiten steckt.“ Was für eine Ansage! Ein echter Charles Barkley.
Auf viele mag das überheblich, selbstverliebt, ja, sehr amerikanisch wirken, zumal Barkley als Großmaul bekannt ist. Zwei Tage später zeigt sich allerdings: Er hat nichts als die Wahrheit gesprochen. Zum Turnierstart zerlegen die US-Basketballer Angola nach allen Regeln der Kunst und gewinnen mit 68 (!) Punkten Vorsprung, Endstand: 116:48. Der locker-lässige Sieg des Top-Favoriten ist nur der Auftakt auf dem Weg zur wohl sichersten Goldmedaille der Olympia-Geschichte.
Der deutsche Coach Svetislav Pesic verbot seinem Team, Fotos mit den US-Stars zu machen
Auch die starken Kroaten gehen 70:103 gegen die USA unter, Deutschland verliert 68:111: Der deutsche Coach Svetislav Pesic verbot seinem Team ausdrücklich, Fan-Fotos mit den US-Stars zu machen. Dennoch gab es eine Lehrstunde in der Gruppenphase. "Wir haben uns gut verkauft, aber der Klassenunterschied war einfach zu groß", sagte Deutschlands Ex-Nationalspieler Stephan Baeck der Deutschen Presse Agentur (dpa). "Jeder Fehler wurde ausgenutzt, es war wie ein Zug, der immer auf einen zurast. Insgesamt war es ein unglaubliches Wow-Erlebnis, überwältigend."
Auch Brasilien erging es nicht besser, die Südamerikaner unterlagen den US-Amerikanern 83:127. Mehr als zwei Wochen lang versetzt die von Superstar Michael Jordan angeführte Auswahl die Sportwelt in andächtiges Staunen und macht dem Namen alle Ehre, der ihr bereits Monate zuvor angedichtet worden ist: Dream-Team.
Michael Jordan, Earvin „Magic“ Johnson, Larry Bird und all die anderen Ausnahmekönner sind die Attraktion der Sommerspiele 1992 in Barcelona. Sie haben ihren Sport für immer verändert. Und sie haben die Olympischen Spiele verändert, bei denen zuvor nur Amateur- und Collegebasketballer teilnehmen durften.
Auf einmal sind die besten Spieler der Welt da. Manche Gegner stellen sich schon vor dem Tip-Off für ein Erinnerungsbild mit den legendären Basketballern aus Übersee zusammen, die später allesamt in die Hall of Fame, die Ruhmeshalle ihrer Sportart einziehen sollen. Andere nehmen sicherheitshalber Fotoapparate mit auf die Ersatzbank oder bitten zwischen zwei Freiwürfen um einen Händedruck. „Überall, wo die Mannschaft aufgetaucht ist, war es so, als ob an Ostersonntag zwölf Päpste vorbeischauen“, erinnert sich Jack McCallum, der Autor des Buches „Dream Team“, die Leute seien völlig ausgerastet, vergleichbar mit den Beatles. „In der Geschichte der Mannschaftssportarten hat es nie ein Team mit so viel Talent und so vielen großen Persönlichkeiten gegeben“, sagt Magic Johnson rückblickend, „es war eine einmalige Zeit.“
Das Vermächtnis des Dream-Teams wirkt selbst heute, fast auf den Tag genau 25 Jahre nach dem Finalsieg über Kroatien am 8. August 1992, nach. „Diese Mannschaft hat Basketball auf ein komplett neues Level gehoben und zu einer der weltweit populärsten Sportarten gemacht“, sagt der ehemalige NBA-Commissioner David Stern. Man könnte auch sagen: Das Dream-Team hat die Sportart gewissermaßen globalisiert. Die Auswirkungen sind bis in die Gegenwart der stärksten Basketball-Liga der Welt spürbar: Anfang der 90er Jahre konnte man die ausländischen NBA-Profis noch an zwei Händen abzählen. Zu ausgeprägt war die Dominanz der amerikanischen Spieler, zu groß der Vorsprung des Basketball-Kernlands USA auf all die Entwicklungsländer im Rest der Welt.
Abgesehen von der Eishockey-Liga NHL ist keine der vier großen US-Ligen so international zusammengewürfelt wie die NBA
Spieler wie etwa der Deutsche Detlef Schrempf, die es aus Europa in die US-Profiliga geschafft hatten, waren die große Ausnahme. Heute sind sie die Regel: Im Jahr 2017 beschäftigen die 30 Klubs 113 Spieler aus 41 verschiedenen Ländern. Weltweit unterhält die Liga Nachwuchszentren, und unter den zehn besten Punktesammlern der NBA-Geschichte findet sich längst ein Europäer: Dirk Nowitzki. Abgesehen von der Eishockey-Liga NHL ist keine der vier großen US-Ligen so international zusammengewürfelt wie die NBA, die auch wirtschaftlich enorm aufgeholt hat und unter allen Sport-Ligen weltweit den dritthöchsten Jahresumsatz verbucht – nicht zuletzt dank Barcelona 1992. Dank der Strahlkraft des Dream-Teams.
Die Änderungen des Basketball-Weltverbands FIBA, die zur Olympia-Teilnahme der Mannschaft führten, waren jedoch alles andere als unstrittig: Bis 1989 untersagte der Verband Profisportlern die Teilnahme an allen FIBA-Wettbewerben, also auch an den Olympischen Spielen. „Das war eine große Heuchelei“, erinnert sich Russ Granik, ehemaliger Vize- Commissioner der NBA. „Wer in Europa für Geld spielte, war ein Amateur. Wer in den USA für Geld spielte, war ein Profi“, sagt Granik. „Weil die Allerbesten aber in der NBA gespielt haben, war das Olympia-Turnier immer eine zweitklassige Veranstaltung.“ Vor allem Borislav Stankovic, von 1976 bis 2002 FIBA-Generalsekretär, setzte sich für die Auflösung der alten Statuten ein.
Damit gehen die Probleme für das US-Team aber erst los. Viele NBA-Spieler, allen voran Michael Jordan, wollen zunächst nämlich nicht mitspielen in Barcelona. „Ehrlich gesagt habe ich gehofft, dass sie mich gar nicht erst fragen würden“, erinnert sich Jordan in einer Dokumentation des US-Sportsenders ESPN. Als sich jedoch herumspricht, dass viele andere große Namen, etwa Magic Johnson oder Larry Bird, also die großen Stars der 80er Jahre, sehr wohl Interesse haben, kommt es zu einer Kettenreaktion, auch Jordan ändert seine Meinung. Was wäre das olympische Basketball-Turnier schon ohne den weltbesten Basketballer?
Zum ersten Mal tritt die Auswahl von Coach Chuck Daly beim sogenannten Tournament of the Americas auf, dem obligatorischen Qualifikations-Turnier für Olympia. Im Schnitt besiegen die US- Amerikaner ihre Gegner mit mehr als 50 Punkten Vorsprung. „Ich habe schnell gemerkt, dass das ein Problem sein kann“, sagt Daly heute. Damit seine Profis nicht die Bodenhaftung verlieren wie Michael Jordan bei seinem ikonografischen Dunk, greift der Coach tief in die Trickkiste: Er lädt eine hochtalentierte junge College-Mannschaft für ein Trainingsspiel, wechselt vogelwild durch – und lässt sein Team absichtlich verlieren, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, nicht unschlagbar zu sein.
Trotz der großen Egos im Team zeichnet sich die Mannschaft durch ausgeprägten Team-Basketball aus
Mit eben dieser Erkenntnis reist das Dream-Team nach Monte Carlo, wo es die letzten Tage vor dem Beginn der Olympischen Spiele verbringt. Um sportliche Aspekte geht es dabei aber kaum, im Fürstentum stehen teambildende Maßnahmen im Mittelpunkt. Trainer Daly weiß genau: Um erfolgreich zu spielen, müssen aus Rivalen, die sich daheim in der NBA über Jahre duelliert, bekämpft und zum Teil übel beleidigt haben, Teamkollegen und idealerweise Freunde werden. So stecken die Superstars ihre Egos allesamt ein Stück zurück, lernen sich kennen und schätzen. Sie spielen die halbe Nacht Karten, hängen an der Bar herum und gehen am Strand auf Brautschau. Charles Barkley, das Angola-Großmaul, verbringt so viel Zeit am Pool, dass er sich befähigt sieht, „auch für das US-Schwimmteam antreten“ zu können.
Auch Chuck Daly und Michael Jordan entwickeln in dieser Zeit eine erstaunlich enge Verbindung. Dabei hat Jordan allen Grund, seinen Coach – vorsichtig formuliert – nicht zu mögen. Ende der 80er Jahre verantwortete Daly die berühmt-berüchtigten Detroit Pistons, die sich wegen ihrer schmutzigen und aggressiven Spielweise den Spitznamen „Bad Boys“ verdienten – und die Jordan und dessen Chicago Bulls in den Play-offs regelmäßig verprügelten, im Wortsinn wie im übertragenen. In Monte Carlo kommen sich Jordan und Daly, beide leidenschaftliche Golfer, bei ihrem gemeinsamen Hobby näher und legen alte Differenzen bei. Wer oder was soll das Über-Über-Team jetzt noch aufhalten?
Dann geht das olympische Turnier endlich los. Trotz der großen Egos im Team zeichnet sich die Mannschaft durch ausgeprägten Team-Basketball aus, sie lässt den Ball kreisen wie ein gut geölter Flipperautomat, No-Look-Pässe hier, spektakuläre Dunks und Monster-Blocks da, dazu eine Athletik und Treffsicherheit, die in der Kombination bis heute ihresgleichen sucht. „Diese Mannschaft hat der Welt gezeigt, wie man Basketball spielen muss“, sagt Coach Daly heute, „jedes einzelne Spiel – eine Symphonie.“ So verfliegt auch schnell der Verdacht, die Zuschauer könnten angesichts der US-Dominanz im Turnierverlauf das Interesse verlieren. „Das Gegenteil war der Fall“, sagt Buchautor McCallum, „die Sache ist größer und größer geworden.“
Die kleine Geschichte in der großen, die viele Sportfans mitreißt, ist die um die alten Herren im Team. Larry Bird leidet seit Jahren an extremen Rückenproblemen, manchmal fühlt er seine Beine nicht mehr, liegt vor der Ersatzbank, krümmt sich. Und Magic Johnson hatte knapp ein Jahr vor den Spielen von Barcelona seine HIV-Infektion öffentlich gemacht. „Ich dachte damals, ich könnte nie wieder Basketball spielen“, erinnert sich Johnson, „und dann durfte ich auf dieser Bühne abtreten. Unglaublich.“ Bei der Siegerehrung nach dem Finale kullern nicht nur ihm dicke Tränen über das Gesicht, auch alle anderen sind sichtlich mitgenommen. Die Szene macht das Team noch einmal menschlicher, authentischer, sympathischer.
Was passiert wäre, wenn der Top-Favorit nicht die Goldmedaille mit nach Hause in die USA gebracht hätte, wird Karl Malone später gefragt. „Ich komme aus einem 350-Einwohner-Nest in Louisiana, in dem ich fast mein ganzes Leben verbracht habe“, antwortet der Power Forward, „selbst dort hätten mich die Leute wahrscheinlich verstoßen.“ Weltverbot also. Das hätte selbst Geografie-Anfänger Charles Barkley auf Anhieb verstanden.