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Caster Semenya darf vorerst ohne Hormontherapie über 800 Meter starten.
© GEOFFROY VAN DER HASSELT / AFP

Sieg vor Gericht für Caster Semenya: Ein salomonisches Urteil ist nicht möglich

Caster Semenya darf rein juristisch über 800 Meter laufen. Doch der Fall ist weiter in der Schwebe - und er wird langfristig nicht gelöst werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Martin Einsiedler

Caster Semenya kann sich alles vorstellen. „Ich bin eine talentierte Athletin. Ich kann an allen Wettbewerben teilnehmen, über 100 Meter, 200 Meter, im Weitsprung oder im Siebenkampf“, sagte sie jüngst dem Sender Al Jazeera. „Ich muss mir über gar nichts Sorgen machen, auch wenn ich über 800 Meter nicht mehr antreten darf.“

Erst einmal ist die Südafrikanerin aber - rein juristisch - über ihre Paradestrecke 800 Meter startberechtigt. Das Schweizerische Bundesgericht hat am Donnerstag einen Antrag des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF abgelehnt, die umstrittene Testosteron-Regel unverzüglich wieder anzuwenden. Die IAAF will dauerhaft Testosteron-Limits für Mittelstreckenläuferinnen mit intersexuellen Anlagen einführen. Sie beruft sich auf Studien, nach denen mit einem erhöhten Testosteronpegel ein erheblicher Leistungsvorteil einhergeht. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hatte die IAAF-Regel Anfang Mai als rechtens angesehen.

Nun also kassierte das Schweizerische Bundesgericht die Pläne des Sports. Allerdings handelt es sich um eine vorläufige Aussetzung der Testosteron-Obergrenze. Weiter ist letztinstanzlich noch nichts entschieden in einem Fall, der so wahnsinnig kompliziert ist und noch so folgenreich sein könnte.

Scouts halten offenbar gezielt nach intersexuellen Läuferinnen Ausschau

Vereinfacht zusammengefasst geht es um die Frage, ob eine Sportlerin oder ein Sportler wegen naturgegebener Vorteile an bestimmten Wettbewerben nicht teilnehmen darf. Caster Semenya gilt als intersexuell, sie hat einen höheren Testosteronwert als die meisten anderen Frauen. Semenya kann im Übrigen genauso wenig dafür, dass das so ist wie etwa die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein etwas für ihre Blutanomalie konnte. Semenya darf nach den IAAF-Plänen über die Strecken zwischen 400 Metern und einer Meile (1609 Meter) nur starten, wenn sie sich einer Hormontherapie unterzieht und ihren Testosteronwert künstlich herunterdimmt. Der Philosoph Volker Schürmann schreibt in der „FAZ“ zu Recht, dass diese Pläne „hochgradig verstörend“ seien.

Doch es ist schwer, sich hierin auf eine Seite zu schlagen. Es geht dem Sport nicht darum, eine Läuferin zu diskriminieren, wie es vielfach kommentiert wird. Die Leichtathletik zielt in erster Linie darauf ab, die Chancengleichheit zu wahren. Die deutsche Mittelstreckenläuferin Caterina Granz sagte vor wenigen Wochen dem Tagesspiegel, dass sich der Wettkampf gegen Frauen mit intersexuellen Anlagen unfair anfühle und dass Scouts explizit nach solchen Läuferinnen Ausschau halten würden. Es wird wohl kein Sportgericht und auch sonst kein Gericht in dieser Angelegenheit ein salomonisches Urteil sprechen können, solange es eine Geschlechtertrennung im Sport gibt. Für jene, die sich offenbar wie Semenya körperlich zwischen den Geschlechtern befinden, hat der Sport im Moment leider eher verstörende Lösungen parat.

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