Olympia 2018: Ein Pionier für Pyeongchang
Südkorea weiß nicht, wie Winterolympia geht. Deshalb werden Leute wie Martin Hyun geholt. Die Geschichte eines Abenteuers.
In seinen ersten Wochen in Pyeongchang hat Martin Hyun schon mal „klare Ansagen an die Mitarbeiter gemacht“. Das kannte er so aus Krefeld. Der Niederrheiner an sich ist ja eher stur und kann auch mal grob werden, wenn es drauf ankommt. Die Mitmenschen in dem zuverlässig verregneten Landstrich halten das aus. Doch was in Hyuns Heimat funktioniert, funktioniert in Südkorea nicht. „Die Menschen dort reagieren auf verbale Kritik an ihrer Arbeit eingeschüchtert, dann geht bei denen nichts mehr.“ Hyun hat gelernt, wie er mit seinem Personal umgehen muss. „Ich nehme den Mitarbeiter beiseite, rede beruhigend auf ihn ein, gehe mit ihm essen und erkläre vorsichtig, wie ich mir das vorstelle.“ Offensichtlich hat das mit der Mitarbeiterführung funktioniert: Die beiden Eishallen in Gangneung sind fertig. Olympia kann kommen.
In weniger als 100 Tagen starten die olympischen Wettbewerbe. Ein paar Wochen später folgen die Paralympics. Für Martin Hyun wird Olympia der Höhepunkt, und die Paralympics werden dann der Schlusspunkt seiner Zeit in Pyeongchang sein. Seit Januar 2015 arbeitet der gebürtige Krefelder und Wahlberliner als Technischer Direktor der Eishockeyarenen in Südkorea, er hat alles mitgestaltet, miterlebt; vom ersten Stein bis zur Aufbereitung der Eisfläche. „Das war viel Arbeit. Man glaubt ja kaum, was allein eine Umkleidekabine heute an Standards so alles braucht nach internationalen Vorschriften.“ Seine Geschichte zeigt, wie abenteuerlich es ist, Olympische Spiele an diesem Ort auszutragen – es sind die ersten im Winter in Südkorea.
Von den Wintersportarten ist dort nur Short Track etabliert. Gut, es gab die Eiskunstläuferin Yuna Kim, die Gold in Vancouver 2010 und Silber 2014 in Sotschi gewann. „Aber der Rest, auch Eishockey, kommt etwas exotisch daher. Dafür gibt es wenig Infrastruktur“, sagt Martin Hyun. „2675 registrierte Spieler gibt es in Südkorea und 30 Hallen, das ist vergleichsweise wenig.“ Im Eishockeyland Kanada zum Beispiel gibt es 630 000 Spieler und 3300 Eishallen. „Im Rodeln startet mit Aileen Frisch jetzt sogar eine eingebürgerte Bayerin für Südkorea. Aber die wollten die Spiele unbedingt, die Südkoreaner. Sie sind hartnäckig, die haben sich ja drei Mal beworben. Und nun ist das für die Neuland, die staunen oft nicht schlecht.“
Mittler zwischen den Welten
Das mit dem „Neuland“ hat er häufig erlebt in seinem Job als Technischer Direktor bei der Errichtung der Hallen in Gangneung. „Als ich zum Beispiel sagte, dass wir spezielle neun Millimeter dicke, auf zehn Dezibel trittschallgedämmte, rutsch- und brandschutzsichere Schlittschuhkufen resistente Kautschukbeläge anschaffen müssen und davon gleich 10 000 Quadratmeter, erntete ich erstaunte Blicke.“ Diese Kautschukbeläge sind für die Stadien unabdingbar – für die Wege, auf denen die Spieler abseits der Spielfläche unterwegs sind. „Unser Einkaufsleiter ging davon aus, dass wir für die zwei Spiel- und zwei Trainingshallen nur vier kleine Gummimatten benötigen und fiel von den Socken. Ich brachte ihm vier kleine Gummimatten mit, legte sie nebeneinander hin und zeigte ihm, wie 25 Spieler einer Mannschaft mit einer ein Quadratmeter großen Matte den Weg zur Eisfläche finden.“ Aber schließlich hatten sie sich auch so einen Experten wie Hyun geholt. Als Mittler zwischen der asiatischen und der europäisch-nordamerikanischen Welt, denn da kommt der Wintersport her.
Hyun ist einer der wenigen Europäer mit südkoreanischen Eltern, der es im Eishockey zum Profi geschafft hat. Zwar nicht glänzend, aber eine Saison lang spielte der ehemalige deutsche Junioren- Nationalspieler bei den Krefeld Pinguinen in der Deutschen Eishockey-Liga. Er erzählt stolz davon, wie der „Christian Ehrhoff mir mal im Training einen Schlagschuss auf den Fuß gezimmert hat, genau hier in die Ferse rein. Die Ärzte haben mir gesagt, es sei nichts gebrochen. Aber ich konnte eine Woche lang nicht laufen.“
In Krefeld ist Eishockey sehr populär, als Kind habe er immer den Traum gehabt, Profi zu werden, erzählt Hyun. „Aber das mit dem Eishockey ist 20 Kilo lang her“, sagt er. Hyun ist inzwischen 38 Jahre alt und von kräftiger Statur. Er ist in Deutschland eher durch seine Arbeit abseits der Eisfläche aufgefallen. Der studierte Politikwissenschaftler hat sich schon vor über einem Jahrzehnt für Integration eingesetzt. Er hat Bücher zum Thema geschrieben mit Titeln wie „Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde“ oder: „Aufgeben ist nicht mein Weg: Bildungswelten in der Einwanderungsgesellschaft“ und er hat die Initiative „Hockey ist Diversity“ gegründet, die für Vielfalt im Sport kämpft. Er war beim Bundespräsidenten, er war schon 2005 in Südkorea und beim koreanischen Präsidenten Roh Moo-hyn. Und und und. So kamen sie in Südkorea auf ihn, als sie Hilfe für Olympia brauchten.
Früherer NHL-Star als Trainer
Als die Anfrage kam, hatte er mit dem „Eishockey schon ein wenig abgeschlossen“, sagt er. Obwohl es natürlich die schönste Sportart der Welt sei. Aber das musste er erst einmal in Südkorea vermitteln. Nicht so einfach. Drei Profiteams gibt es im Land, sie spielen alle in der sogenannten Asia League gegen Teams aus Japan, China und Russland. Die Nationalmannschaft ist allerdings seit Jahren für Olympia hochfrisiert worden und hat mit Jim Peak einen ehemaligen Eishockeystar aus der National Hockey-League (NHL) als Trainer.
Peak ist ein Kanadier mit südkoreanischen Eltern. Viele der Spieler im Nationalteam stammen aus Nordamerika, sie heißen Bryan Young, Alex Plante oder Michael Swift. Im Frühjahr hat die Mannschaft sogar den Aufstieg zur A-Weltmeisterschaft 2018 geschafft. In der Weltrangliste liegt sie auf Platz 21, trotzdem hat Trainer Peak gesagt: „Wenn wir bei Olympia eine Chance haben wollen, sollten wir die Eisfläche schräg bauen und die Gegner bergauf spielen lassen.“
Aber ganz so deftig wird es vielleicht gar nicht. Denn die beste Eishockeyliga der Welt, die NHL, unterbricht ihren Spielbetrieb für Olympia nicht. Seit 1998 in Nagano hatten sie das so gepflegt, somit konnten die Superstars des Eishockeys bei Olympia spielen. Um diese Attraktion ist Südkorea beraubt. Weder der Kanadier Sidney Crosby noch der Russe Alexander Owetschkin oder Jungstar Leon Draisaitl werden kommen. Darauf angesprochen, wirkt Hyun aufgekratzt, wie einer, der sich um die Früchte jahrelanger Vorbereitung betrogen sieht, schließlich hatten NHL-Verantwortliche schon bei ihm vorbeigeschaut – vor der Absage. „Natürlich ist das bitter, aber es werden die besten jungen Spieler der Welt kommen, es werden viele Stars aus Europa da sein. Es wird ein spannendes Turnier.“
W-Lan viel schneller als in Deutschland
Das müssen die Südkoreaner dann auch so sehen. Die Tickets für das Eishockey werden weggehen, glaubt Hyun. Die Frage ist nur wie. Bei den Frauen kostet eine Eintrittskarte zum Teil nur 20 Dollar. Aber er ist sich sicher, dass das Turnier die Menschen begeistern wird. Denn die seien immer an Neuem und vor allem Schnellem interessiert – da passe doch so eine dynamische Sportart wie Eishockey. Südkorea sei eines der modernsten Länder der Welt, wenn es um Technik geht. „Das W-Lan ist dort zum Beispiel zehn Mal so schnell wie in Deutschland.“
Hyuns Vater kam 1969 nach Deutschland und schuftete in der Zeche Oberhausen-Osterfeld unter Tage. Die Mutter kam 1971 nach Krefeld und arbeitete bis zur Pensionierung als Krankenschwester. Seine Eltern flohen aus einer Militärdiktatur, Hyun hat nun ein boomendes Industrieland kennengelernt und sich nicht immer zurechtgefunden. „Allein die Sprache hat sich hier sehr weiterentwickelt, auch die Vorstellungen.“ Er habe viele falsche Ideen von Südkorea gehabt und werde an jeder Ecke als Ausländer erkannt. Das sei in Ordnung. „Ich bin ja Deutscher.“ Und als solcher habe er auch etwas Narrenfreiheit. So kam er etwa dem für Olympia qualifizierten nordkoreanischen Eiskunstlaufpaar Ryom Tae-Ok/Kim Ju-Sik näher, als das auf Visite in Südkorea war und konnte sie ansprechen. „Die waren von einer Box von Bodyguards abgeschirmt, aber mich haben sie durchgelassen.“ Wahrscheinlich sei der nordkoreanische Geheimdienst weniger an ihm interessiert, sagt er – da kommt dann wohl der niederrheinische Sinn für Karneval bei Hyun mal durch.
Knapp 100 Tage sind es noch bis zum Höhepunkt in der Karriere des Herrn der Hallen von Gangneung. Die Arenen, in die größere passen 10 000 Zuschauer, in die kleinere 6000, werden die Zeit nach den Spielen umfunktioniert, eine Sporthalle und ein Einkaufszentrum sind geplant. Die Frage der Nachhaltigkeit stellen sie in Südkorea anders als etwa zuletzt im Großraum um Tirol, wo zwar alle Sportstätten für die Winterspiele 2026 fertig gewesen wären, das Volk aber trotzdem gegen Spiele in Innsbruck und Garmisch votierte. In Südkorea haben sie für olympische Pisten in einem Naturschutzgebiet herumgeholzt. Angeblich soll da nach den Spielen wieder aufgeforstet werden.
Sicherheitslage ein großes Thema
Hat Martin Hyun nicht Angst in einem Gebiet, das für viele ein Krisengebiet ist? Deutsche Athleten wie der Rodler Felix Loch überlegen laut, ob sie wegen der Sicherheitslage überhaupt zu den Winterspielen fahren sollen. Seit den Raketentests in Nordkorea und der Reaktion von US-Präsident Donald Trump gilt die Region unweit zur Grenze Nordkoreas nicht eben als Urlaubsziel. Bis zum Reich des Diktators Kim Jong-un sind es von Pyeongchang nur gut 100 Kilometer Luftlinie. Martin Hyun zuckt mit den Schultern. „In Südkorea ist das kaum ein Thema.“ Die beiden Gesellschaften hätten sich stark auseinanderentwickelt, auch zum Beispiel was die Sprache betrifft. „Die schauen eigentlich gar nicht so nach Norden in Südkorea.“ Mehr will oder kann der studierte Politikwissenschaftler Hyun nicht sagen.
Urlaub gibt es in Südkorea maximal zwei Wochen pro Jahr: Was ein logistisches Problem für den Technischen Direktor der olympischen Eishockeyhallen ist. 200 Mitarbeiter mussten dort eingearbeitet werden – es werden für Olympia und die Paralympics nicht dieselben sein. „Kein Mensch bekommt so lange Urlaub in Südkorea. Wir haben nach Olympia dann komplett neue Mitarbeiter für die Paralympics.“ Der Wahlberliner Hyun lacht. „Ich habe dort gelernt, zu improvisieren, vielleicht kann ich nach meiner Zeit in Südkorea mein Wissen beim Bau des Berliner Großflughafens einbringen.“