Jörg Schmadtke beim VfL Wolfsburg: Ein bisschen Rock ’n’ Roll
Jörg Schmadtke prägt den VfL Wolfsburg auf leise, aber effektive Weise. Von dem großen Sponsor lässt er sich dabei nicht reinreden.
Feine Ironie gehört zu seinen großen Stärken. Deshalb dürfte es kein Zufall sein, dass sich Jörg Schmadtke ständig der Satire bedient, wenn er das ernste Geschäft der Bundesliga erklärt. Einem wie ihm kann kaum jemand so richtig böse sein. Wenn Schmadtke, Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, wie an diesem Sonntag (15.30 Uhr/live bei Sky) im Stadion des FC Augsburg auftritt, wird ihm wieder jede Menge Zuspruch begegnen – selbst von der Konkurrenz. Weil er über sich selbst laut lachen kann. Weil er ein untypischer Hauptdarsteller des Profifußballs ist. Auf den ersten Blick passt ein Typ wie Schmadtke gar nicht zu einem Verein wie dem VfL Wolfsburg. Sieben Monate nach seinem Amtstritt als Führungskraft steht trotzdem fest: Schmadtke ist mit seiner Art ein Gewinn. Für die sportliche Gesundung des VfL und eine Anhäufung von Sympathiepunkten.
Muss der Geschäftsführer eines Vereins, der von einem weltweit erfolgreichen Automobilkonzern finanziert wird, nicht ein konservativer und eher genormter Mensch sein? Schmadtke findet diese Fragestellung doof. „Ich muss mich hier nicht verbiegen“, sagt der 54-Jährige über seinen Dialog mit den Entscheidern bei Volkswagen, die auch beim VfL viel zu sagen haben. Nach Felix Magath, Dieter Hoeneß und Klaus Allofs hat der Verein einen Anführer gefunden, der kleinspurig auftritt. Schmadtkes Transfers wirken nicht großkotzig, sondern vernünftig. Mehr als zehn Millionen Euro musste der VfL Wolfsburg etwa an den VfB Stuttgart zahlen, um Daniel Ginczek verpflichten zu können. Einen lauten Aufschrei hat es deshalb nicht gegeben. Nach einem zähen Start mit Anlaufproblemen gehört Ginczek zu den Erfolgsgaranten. Sein Sturmpartner Wout Weghorst ist ebenfalls neu in Wolfsburg und gleichermaßen stark. Den Niederländer hatte Schmadtke nie selbst in Aktion gesehen und trotzdem verpflichtet. Sein gutes Gespür dafür, was passen könnte, gab den Ausschlag.
Was der VfL Wolfsburg gerade vollbringt, ist eine kleine Sensation
Was der VfL Wolfsburg – nach zwei furchtbaren Jahren mitten im Abstiegskampf – gerade vollbringt, ist eine kleine Sensation. Unter der Regie von Cheftrainer Bruno Labbadia wollte man sich zunächst stabilisieren. Laut Schmadtke gehörte zu den zentralen Vorgaben von VW an den Verein, dass erst einmal wieder Ruhe einkehrt. Also wurde vorsichtiger eingekauft. Es wird kleinlauter geredet. Und weil es mit dem langjährigen VfL-Profi Marcel Schäfer einen neuen Sportdirektor gibt, ist ein besserer Dialog zwischen Umkleidekabine und Teppichetage entstanden. Echte Stars mit besonderem Geltungsdrang gibt es nicht. Schmadtke lässt Labbadia freie Hand, mischt sich ins Tagesgeschäft kaum ein und plant schon wieder den nächsten Schritt. Der übliche Reflex in Wolfsburg wäre: Das europäische Geschäft kommt langsam wieder in Sicht, also schnell noch Verstärkungen zukaufen. Schmadtke will den Spielerkader im Winter verbessern, indem er ihn weiter verkleinert.
Natürlich gehört der VfL Wolfsburg immer noch zu den besonders vermögenden Bundesligavereinen. Aber Schmadtke schafft es auf seine Art, dass über hohe Gehälter und großzügige Budgets kaum noch gewitzelt wird. Er schrumpft den VfL, ohne ihn schlechter zu machen. Viele Begegnungen mit Wolfsburger Beteiligung sind nicht wirklich schön anzusehen. Aber aus viel Ballbesitz, hoher Einsatzbereitschaft und jeder Menge Effizienz entsteht oft etwas Zählbares. Dass es Mannschaften gibt, die attraktiveren Fußball spielen und mehr Zuschauer anlocken, lächelt der Chef des VfL weg. „Nur Heintje und Heino geht nicht. Ein bisschen Rock'n'Roll brauchst du auch in der Mannschaft“, findet Schmadtke. Das klingt lustig und lenkt vom Ernsten ab. Denn auf lange Sicht wird Mittelmaß nicht zu den hohen Ansprüchen passen, die VW an sich und seine Tochterunternehmen stellt. Der wirklich knifflige Part seines neuen Jobs wartet also erst noch auf Schmadtke.
Streng genommen veredelt in Wolfsburg gerade ein Querkopf und Autodidakt seine erstaunliche Karriere. Schmadtke war in den 90er Jahren ein guter Torhüter, nebenbei auch mal Jugendtrainer, später Co-Trainer und 2001 plötzlich Sportdirektor von Alemannia Aachen. In der Rolle des Machers und Organisators ist es ihm mit Hannover 96 und dem 1. FC Köln jeweils innerhalb von vier Jahren gelungen, die Europa League zu erreichen. In beiden Fällen ist er nicht am Misserfolg, sondern an einem Gerangel um Macht und Animositäten gescheitert. Damit ist in Wolfsburg vorerst nicht zu rechnen. Die Top-Manager von VW melden sich in der Regel erst dann beim Fußball zu Wort, wenn für den VfL etwas richtig gut, extrem schlecht läuft oder aus dem Ruder läuft. Die Hinserie der Saison 2018/19 hat Schmadtke genutzt, um sein Profil und das des VfL zu schärfen. Er stufte die AfD einfach mal so als nicht wählbare Partie ein. Er sprach laut über die Tücken der Diesel-Affäre von VW, was sich sonst beim VfL niemand traut. Er bahnt sich und dem Verein einen ganz eigenen Weg, der dem VfL Wolfsburg kaum zuzutrauen war.