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Fertigmachen zum Jubeln. Davie Selke dürfte gegen Frankfurt wieder in der Startformation stehen.
© AFP

Hertha BSC vor dem Spiel gegen Frankfurt: Ein bisschen Klinsmann steckt in Davie Selke

Jürgen Klinsmann versucht der angeschlagenen Hertha-Mannschaft neues Leben einzuhauchen. Vor allem Stürmer Davie Selke könnte davon profitieren.

Am Sonntagabend um kurz nach elf endete auch für Arne Friedrich der Arbeitstag. Friedrich trat aus dem Hotel des Trainers, stieg in sein Auto und fuhr nach Hause. Der Trainer von Hertha BSC hieß damals Hans Meyer, und Arne Friedrich, inzwischen sogenannter Performance-Manager des Berliner Fußball-Bundesligisten, war noch Spieler.

Im Januar 2004 bat Herthas neuer Trainer Meyer jeden Spieler zu einem einstündigen Einzelgespräch in sein Hotel, um sich ein umfassendes Bild von den sozialen Beziehungen innerhalb des Kaders und über mögliche Verwerfungen zu machen.

Die Mannschaft stark machen, das kann Klinsmann

Heute, knapp 16 Jahre später, ist Hertha in einer ähnlichen Situation: mit großen Ambitionen in die Saison gestartet und zum Ende der Hinserie erst einmal im Abstiegskampf gelandet. Wieder ist der Trainer entlassen worden, und Jürgen Klinsmann, der Nachfolger von Ante Covic, hat zu Beginn seiner Tätigkeit vor etwas mehr als einer Woche darauf verwiesen, dass er den Kader erst einmal kennenlernen müsse. Die Zeit, wie Hans Meyer alle Spieler zum Einzelgespräch zu bitten, hatte er bisher allerdings noch nicht. „Ich bin derzeit noch mit vielen anderen Dingen beschäftigt, damit ein Arbeitsfluss entsteht“, sagt Klinsmann.

Im Training sieht man Herthas neuen Trainer mal mit diesem, mal mit jenem Spieler plaudern. Mit Davie Selke, so erzählt er es, habe er schon ein paar Mal gequatscht. Und die freie Zeit in Frankfurt vor dem Spiel gegen die Eintracht an diesem Freitag (20.30 Uhr, live bei Dazn) will Klinsmann nutzen, um mal den einen oder anderen Spieler reden zu lassen und seine Sicht der Dinge zu ergründen. „Es ist schon wichtig, dass die Spieler spüren: Sie finden immer Gehör“, sagt er.

Die Erfahrung Abstiegskampf ist für den Trainer Klinsmann noch neu, aber die Situation scheint wie gemacht für jemanden, der schlechte Laune höchstens aus dem Fernsehen kennt. Die Mannschaft stark machen, notfalls stark reden, das kann Klinsmann. Selke bat er am vergangenen Samstag nach dem Abpfiff in die Trainerkabine. Ob er mal was sehen wolle, fragte er den Stürmer – und präsentierte ihm dann jene Szene, die dem vermeintlichen 2:2 für Hertha gegen Dortmund vorausgegangen war. Das Standbild, das Selke zu sehen bekam, zeigte ihn nicht im Abseits. Selke brüllte: „Wahnsinn! Die haben mir ein Tor geklaut!“

Ob er in Davie Selke ein bisschen den jungen Stürmer Jürgen Klinsmann wiederkenne, ist Klinsmann am Donnerstag gefragt worden. Er musste erst einmal lachen. Aber ein paar Parallelen gibt es schon jenseits der gemeinsamen schwäbischen Wurzeln. Auch Selke wirkt auf dem Platz manchmal etwas hyperaktiv, auch er hat einen enormen Willen und einen unbändigen Drang, Tore zu machen. Vielleicht empfindet Klinsmann tatsächlich so etwas wie eine innere Verbindung. In einen Stürmer denke man sich als ehemaliger Stürmer natürlich ein bisschen lieber hinein, sagt er selbst.

„Du musst dir klare Ziele setzen“, hat Klinsmann Selke geraten. „Wenn du in der Bundesliga angekommen bist, dann gibt es nur eins: deinen Schnitt an Toren so hochzuschrauben, dass dich irgendwann der Bundestrainer sieht.“ Das erzählt einiges über Klinsmanns Herangehensweise. Selkes bisherige Saisonbilanz mit einem einzigen Tor nach 13 Einsätzen ist alles andere als nationalmannschaftswürdig, aber Klinsmann lebt seinen Spielern vor, dass man groß denken muss, wenn man seine Ziele erreichen will.

Selke dürfte erst einmal der zentrale Stürmer bleiben

Selke war zu Saisonbeginn, nach einer eher mäßigen Vorbereitung, nur Ersatz, erkämpfte sich zwischenzeitlich einen Platz in der Startelf und musste dann zurück auf die Bank. Bei Klinsmanns Debüt vor einer Woche im Heimspiel gegen Dortmund war er der zentrale Stürmer, und das dürfte jetzt erst einmal so bleiben. Herthas neuer Trainer äußerte sich lobend darüber, „wie er es gemacht hat, wie er sich da reingeschmissen hat, wie er Dinge provoziert: Der Junge macht Spaß.“

Zwischen seinem Amtsantritt und dem Debüt im Olympiastadion gegen Dortmund blieben Klinsmann gerade mal drei Tage. Zwei personelle Änderungen nahm er vor, die dritte ergab sich durch die Rotsperre für Torhüter Rune Jarstein von selbst; dazu stellte Klinsmann taktisch auf ein 3-5-2-System um. Radikal waren seine Entscheidungen nicht. Brisant war auf den ersten Blick allein, dass es Ondrej Duda, in der Vorsaison noch Herthas bester Torschütze, nicht einmal in den 20er-Kader geschafft hatte.

Die Elf vom vergangenen Samstag ist jetzt erst einmal so etwas wie das Gerüst, an dem sich das neue Trainerteam um Jürgen Klinsmann entlanghangeln kann und wird. Zu viele Änderungen? Seien nicht gut, findet der neue Trainer. Die Spieler müssten auch ein bisschen Ruhe bekommen, „damit die Jungs sich finden und einen Rhythmus aufnehmen können“, sagt Klinsmann. „Es wird bis Weihnachten andauern, bis wir ein Gesamtbild haben.“ Für Ondrej Duda ist das eher keine gute Nachricht. Für Davie Selke schon.

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