Hertha BSC gerät zu leicht aus dem Tritt: Ein Abstiegskampf dauert länger als 45 Minuten
Trainer Korkut sieht auch beim 1:1 gegen den VfL Bochum Fortschritte, doch bei Hertha BSC geht es im Abstiegskampf allenfalls in Trippelschritten voran.
Etwas mehr als zwei Monate ist Tayfun Korkut jetzt als Trainer für das Wohlbefinden von Hertha BSC verantwortlich, in diesen Tagen nun macht er eine Erfahrung, die ihm bisher vorenthalten geblieben ist. Man könnte fast meinen, dass Korkut sich wie ein fünfjähriges Kind vorkommen muss, das über Nacht in einen Süßwarenladen eingesperrt worden ist und nun die freie Auswahl hat.
So gut wie keine Verletzten, dazu einige neue Spieler, die Herthas Trainer weitere Optionen eröffnen: Tayfun Korkut besaß für das nicht ganz unwichtige Spiel gegen den VfL Bochum so viele personelle Möglichkeiten wie vielleicht noch nie in seiner Amtszeit.
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„Wir haben heute schon ein paar Härtefälle bei der Kaderzusammenstellung gehabt“, sagte er. Marvin Plattenhardt und Marton Dardai schafften es nicht einmal in den Kader, Marco Richter und Suat Serdar, zwei Leistungsträger der Hinrunde, fanden sich zunächst auf der Ersatzbank wieder.
Wer viele Möglichkeiten hat, hat auch viele Möglichkeiten, die falschen Entscheidungen zu treffen. Ob es richtig war, ausgerechnet Serdar draußen zu lassen, das haben viele Fans nach dem eher frustrierenden 1:1-Unentschieden gegen Bochum zumindest angezweifelt. Tayfun Korkut stand auch am Tag nach dem Spiel zu dieser Entscheidung. „Man hat ja gesehen, dass wir die richtigen ausgesucht haben“, sagte er.
In der ersten Halbzeit dominierte Hertha auch ohne Serdar das Spiel. Bochum fand kaum statt, weil die Berliner laut Korkut „mit einer klaren Spielkontrolle, guter Energie, hoher Intensität“ an die Sache herangingen. „Wir waren dran.“ Für den Trainer war es sogar die beste Halbzeit, die Hertha unter seiner Regie gezeigt hat. „Es war eigentlich alles unter Kontrolle“, sagte er. „Wenn wir es geschafft hätten, so weiter zu spielen, bin ich mir sicher, dass wir hoch verdient die drei Punkte gewonnen hätten.“
An dieser Aussage ist inhaltlich wenig auszusetzen. Allerdings gilt das auch für den Satz: Wenn die Mannschaft jedes Spiel gewonnen hätte, bin ich mir sicher, dass wir hoch verdient Deutscher Meister geworden wären.
Hätte und Wenn haben noch zu viele Spielanteile
Bei Hertha haben Wenn und Hätte immer noch deutlich zu hohe Spielanteile, daran hat auch der Trainerwechsel von Pal Dardai und Tayfun Korkut nichts verändert. Würde neben Torschüssen, Ballbesitz und intensiven Läufen auch die Verwendung von Konjunktiven statistisch erfasst, käme Hertha mit ziemlicher Sicherheit auf einen einsamen Spitzenwert.
Korkut fand seine Mannschaft „konstanter als in den letzten Spielen“, was vor allem auf sehr bescheidene Erwartungen schließen lässt. Denn von all dem, was die Mannschaft vor der Pause ausgezeichnet hatte – Stringenz, Klarheit, Dominanz und Mut –, war nach der Pause nichts mehr zu sehen.
Der erste echte Angriff der Bochumer und der daraus resultierende Ausgleich durch den eingewechselten Sebastian Polter brachten das fragile Konstrukt gleich wieder ins Wanken. Als Bochums Trainer Thomas Reis davon sprach, dass es „kein unverdienter Sieg“ für sein Team gewesen sei, entsprach das zwar nicht ganz den Fakten – und war trotzdem richtig.
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Die Umstände und die Geschichte des Spiels ließen das 1:1 für Hertha wie eine Niederlage erscheinen. Noch unter der Woche hatte Sportgeschäftsführer Fredi Bobic gemahnt, dass die Mannschaft sich zusammenraufen müsse: „Es ist erstaunlich, wie wir uns selber schlagen, unfassbare zwei Gesichter zeigen.“
Wenige Tage später demonstrierte die Mannschaft dann, dass Bobics Mahnung mehr als berechtigt gewesen war. „Vom Gefühl her war es so, dass wir nicht mehr so aggressiv, so bissig waren, nicht mehr mit der Intensität in die Zweikämpfe gegangen und dem Ball hinterhergegangen sind“, sagte Innenverteidiger Niklas Stark.
Wieder war es ein individueller Fehler
Trainer Korkut nannte den Bochumer Ausgleich „eine Aktion aus dem Nichts, die uns ein Stück weit auseinander wirbelt“. Wieder war es ein individueller Fehler – diesmal von Torhüter Alexander Schwolow –, der Hertha aus dem Konzept brachte. „Wir sind ein Stück weit von unserem Spiel abgekommen“, klagte Korkut. „Wir müssen daran arbeiten, dass wir bei unserem Spiel bleiben, dass wir unsere Qualität beibehalten.“
Herthas Trainer erkennt auch weiterhin Fortschritte, doch es sind allenfalls Trippelschritte, mit denen Hertha unterwegs ist. In diesem Jahr ist die Mannschaft weiterhin ohne Sieg. Aus den ersten vier Spielen der Rückrunde holte sie sogar einen Punkt weniger, als es in der Hinrunde der Fall war – mit dem Unterschied, dass Hertha diesmal drei dieser vier Spiele im eigenen Stadion bestreiten durfte.
Am Freitagabend, gegen halb zehn, sah es so aus, als könnten sich die Dinge für Hertha tatsächlich zum Positiven wenden. Mit einem Sieg wären sie in der Tabelle an Bochum vorbeigezogen; dazu der Einfluss der neuen motivierten Spieler und die größeren personellen Möglichkeiten für den Trainer.
Am Ende aber hat das Spiel vor allem eins gezeigt: Der Abstiegskampf ist ein langer unruhiger Fluss. Und mit Stromschnellen ist jederzeit zu rechnen.