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Gerechte Wettbewerbe zu schaffen sind Problem und Herausforderung zugleich für den paralympischen Sport.
© REUTERS

Paralympics: Diskussion um "Techno-Doping" will nicht verstummen

Es ist kein Doping und wird trotzdem so genannt: Über die Länge der Prothesen gibt es heftigen Streit.

Von Ronja Ringelstein

Hightech macht paralympischen Sport zum großen Teil überhaupt erst möglich: Mit einer Prothese können sich Sportler ihren größten Traum erfüllen – den einer Medaille. Vor allem aus der Leichtathletik sind Prothesen deshalb nicht wegzudenken, sie machen Sportler erst konkurrenzfähig. Doch die Diskussion um das „Techno-Doping“ reißt auch bei diesen Paralympischen Spielen in Rio nicht ab.

Immer wieder geht es um die Frage: Verschaffen sich manche Sportler einen legalen Vorteil, etwa durch überlange Stelzen? Nach den Regeln des Internationalen Paralympischen Komitees dürfen Sportler mit der ursprünglichen Größe von zum Beispiel 1,82 Meter die Größe von 1,93 Meter simulieren. Die zulässige Länge der Beinprothesen orientiert sich an der Armlänge des Athleten. Deshalb sind Sportler mit nur einer Prothese im extremen Nachteil gegen solche mit zwei Stelzenprothesen. Die Deutsche Medaillenhoffnung im 100-Meter-Sprint und Weitsprung, Heinrich Popow, ist einseitig oberschenkelamputiert – er ist deshalb einer derjenigen, die keinerlei Vorteile von einer längeren Prothese hätten. „Wenn ich sie mir besser mache, so dass ich links schneller bin, laufe ich im Kreis. Wenn ich sie mir länger mache, stehe ich schief“, sagt Popow.

Techno-Doping, findet er, sei ein „Scheißbegriff“. „Doping ist Beschiss. Aber klar ist: Alle Athleten, die hier sind, halten sich an die Regeln des Internationalen Paralympischen Komitees, sonst dürften sie hier nicht starten. Die Regeln zu verbessern ist nicht unsere Aufgabe.“ Die Athleten würden sich laut Popow allerdings schon fragen, warum das IPC vier Jahre brauche, um die als ungerecht wahrgenommene Regel zu ändern. Im Jahr 2017 soll sie erst angepasst werden. Die Entscheidung zur Anpassung fiel unter anderem, nachdem Alan Fonteles Oliveira an dem inzwischen wegen Mordes in Haft sitzenden Oscar Pistorius auf den 200-Meter-Finale in London vorbeigesprintet war. Pistorius beklagte darauf die überlangen Stelzen des Brasilianers.

Popow ärgert das Thema

Popow, durch den die Diskussion erneut angestoßen wurde, ärgert das Thema jetzt. Er wurde wenige Tage vor Eröffnung der Paralympics in den Medien zitiert, dass das Thema heiß sei. „Manche Athleten stoßen beim Sitzen mit dem Knie an die Nase, weil der Unterschenkel so lang ist. Das sieht aus wie im Zirkus“, hatte Popow gesagt und kritisierte vor allem „Amerikaner und Brasilianer, die zehn Kilogramm Übergewicht haben, aber extrem lange Prothesen. Das ist ein Affentheater und hat nichts mit Leistungssport zu tun.“

Inzwischen nervt ihn die Diskussion: „Ich habe nie gesagt, dass ich das Thema heiß finde. Ich habe gemeint, dass mir das Thema zu heiß ist, um darüber zu reden.“ Mit negativen Nachrichten würde es den Paralympioniken schwerer gemacht, die Paralympics seien eh noch nicht so im Fokus wie Olympia.

Popow ist seit neun Jahren beim Prothesenhersteller Otto Bock unter Vertrag. Weil jeder Unfall anders ist und jeder Heilungsprozess auch, brauchen die Paralympioniken perfekt auf sie abgestimmte Hilfsmittel. Allerdings kostet das entsprechend viel Geld. Sportler reicher Länder haben daher einen großen Vorteil.

Aus „ethischen Gründen“ hat Leichtathletin Vanessa Low deshalb neue Kniegelenke abgelehnt – obwohl sie sie nach IPC-Regeln hätte einsetzen dürfen. Der „Bild“ hatte Low gesagt, sie nehme nicht alle legalen Prothesen: „Ich hätte kostenlos über einen Sponsor eine neue Knieprothese bekommen können. Aber solange die nicht alle haben können, will ich sie nicht.“

Low startet am Samstag im Weitsprung. Sie hofft aber, auch ohne neue Kniegelenke ihren sechsten Platz von London vor vier Jahren zu übertreffen. Ronja Ringelstein

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