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Haben Sie Hertha gegen Barcelona gesehen? Gute Frage. 60 000 Zuschauer waren im Olympiastadion, als beide Teams im November 1999 in der Zwischenrunde der Champions League aufeinandertrafen. Viel zu erkennen war von dem 1:1 im dichten Nebel aber nicht.
© Imago/Eisenhuth

Champions League in Berlin: Dieter Hoeneß: „Schmaler Grat zwischen Vision und Größenwahn"

FC Chelsea, AC Milan, FC Barçelona: Der frühere Manager Dieter Hoeneß spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über das Jahr mit Hertha BSC in der Champions League.

Herr Hoeneß, werden Sie das Champions-League-Finale im Stadion verfolgen?
Nein, ich kann leider nicht. Ich wäre sehr gern hingegangen, aber ich bin terminlich im Ausland.

Wann waren Sie zuletzt im Olympiastadion, das ja auch mal Ihr Zuhause war?

Das war ein Pokalfinale mit Beteiligung des FC Bayern. Ist schon etwas her.

Wie auch die glücklichen Tage von Hertha BSC. Fußball der Prägung Berlin ist von der Champions League inzwischen weit entfernt …

Ich habe eine Meinung dazu, aber Sie werden mir nachsehen, dass ich diese nicht weiter ausführe. Es könnte falsch verstanden werden. Fakt ist, dass Hertha gegenwärtig mit der Champions League nichts zu tun hat, und zwar nicht nur von den Ergebnissen her, sondern auch wegen der Art und Weise, wie sie Fußball spielen.

Viele Berliner denken mit Wehmut an die Zeit rund um die Jahrtausendwende zurück, als Hertha in der Champions League spielte. Erinnern Sie sich doch mal!

Das ist relativ einfach: Wir hatten eine schöne Gruppe erwischt mit Chelsea, mit Milan und mit Galatasaray. Wir waren krasser Außenseiter. Aber wir konnten mit tollen Heimspielen bestehen und sind dann noch eine Runde weitergekommen. Mit dem Traumlos Barcelona obendrauf. Trotz des Nebels, der einem im Olympiastadion die Sicht nahm. Aber auch das bleibt unvergessen.

Das war – fußballerisch gesehen – Herthas Glanzzeit, oder?

Das waren Highlights. Schade nur, dass es uns nicht gelungen ist, das zu wiederholen. Wir sind zwei-, dreimal dicht an der Champions League vorbeigeschrammt, weil wir am Ende der jeweiligen Spielzeiten leider nicht das Stehvermögen hatten. Dann sind meist die Bremer noch im Windschatten vorbeigerutscht.

Was nicht ohne Folgen blieb für die wirtschaftliche Situation des Vereins.

Das hatte unterschiedliche Auswirkungen für uns. Einmal, dass wir als Verein samt Anhang nicht mehr diese Erlebnisse hatten, aber auch, was unsere finanzielle Planung anbelangte. Sonst wäre anderes möglich gewesen, auch die Konsolidierung früher einzuleiten. Aber Sie wissen doch, wo wir herkamen. Hertha hatte damals nicht wirklich viel zu bieten.

Eine Schreibmaschine!

(lacht) Wir haben dann eine kleine Erfolgsgeschichte geschrieben. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber vieles versteht man nur eingedenk der Umstände von damals. Die Champions League kam früh für den Klub, die Erwartungen sind gestiegen und haben uns ein Stück weit getrieben.

Sie seien nach der Champions-League-Teilnahme zu sehr ins Risiko gegangen, sagen Ihre Kritiker. Andere halten Ihnen Mut und Visionen zugute, die ein Verein in einer Stadt wie Berlin brauche.

Visionen muss man haben in Berlin! Ohne die wird’s langweilig. Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Vision und Größenwahn. Letzteres ist mir auch unterstellt worden. Nur sehen Sie, ich habe Fußball immer an der Spitze erlebt. Mit dem VfB Stuttgart bin ich als Spieler aufgestiegen, bin im ersten Jahr Vierter geworden und im zweiten dann Zweiter. Dann bin ich mit den Bayern in acht Jahren fünfmal Meister geworden. Wie später auch als Manager mit dem VfB Stuttgart. Bei mir hatte das nichts mit Größenwahn zu tun, sondern weil ich es so erlebt habe. Und ja, das ist meine Denke: Ich will das maximal Mögliche erreichen. Da kann man zwischendrin mal auf die Nase fallen, aber wenn man das nicht versucht, erreicht man es nie.

Ziehen wir mal Ihre Transferpolitik heran …

… dass ich dabei den einen oder anderen Fehler gemacht habe, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Aber ich habe immer wieder versucht, fußballerische Qualität zu holen. Finanziell belastet haben uns vielmehr drei Ereignisse, die fast zeitgleich auf uns zukamen: der vierjährige Stadionumbau, die Kirch-Krise und der Ausbau des Vereinsgeländes. Hier standen wir unter Zugzwang. Der Senat hatte uns Zuschüsse nur unter der Bedingung zugesagt, dass wir dieses Projekt innerhalb von zwei Jahren realisieren. In der Summe waren das Belastungen von circa 40 Millionen Euro, die wir einige Jahre wie eine Bugwelle vor uns herschoben. Hier wäre eine zweite oder dritte Champions-League-Teilnahme hilfreich gewesen. Dann wäre eine Konsolidierung früher möglich gewesen. Nicht erst 2007. Wobei wir bis 2009 bewiesen, dass man Verbindlichkeiten abbauen und gleichzeitig sportlich erfolgreich sein kann.

In der Zeit nach Ihnen hat Hertha erfahren müssen, dass zwei Abstiege einen Verein im Zweifelsfall teurer zu stehen kommen, als mit Mut und Ideen den Europapokal anzusteuern.

Richtig. Die Investitionen in die Qualität des Kaders haben zumindest den Grundstein dafür gelegt, dass Hertha Stammgast auf der internationalen Bühne war.

Hertha spielte bis zu Ihrem Abgang achtmal im Europapokal.

Unsere Politik hat damals Kontroversen ausgelöst. Aber allein der Umstand, dass wir uns in der Spitzengruppe der Bundesliga etabliert hatten, erbrachte uns aus der TV-Vermarktung ganz erhebliche Einnahmen. Ich bin weit davon entfernt, mit Genugtuung zurückzuschauen, aber es war eben nicht alles verkehrt, was damals gemacht wurde. Alles, was wir taten, taten wir mit einer Idee. Wir wollten die Mannschaft qualitativ verbessern, um nicht nur erfolgreichen, sondern auch attraktiven Fußball bieten zu können. Also Spieler zu verpflichten, für die es sich lohnt, ins Stadion zu gehen. Über diese Spieler wollten wir Identifikation schaffen und Kinder und Jugendliche wieder für Hertha begeistern.

Also war Herthas Champions-League-Ausflug mehr Segen als Fluch?

Vor allem war es eine Sensation. Vergleichen lässt sich das heute vielleicht mit dem Abschneiden des FC Augsburg, wobei dieser schon über ein fertiges Stadion und professionelle Trainingsbedingungen verfügt. Als ich nach Berlin kam und es drei Tage regnete, war der Trainingsplatz gesperrt und die Mannschaft musste in den Grunewald joggen gehen. Aber da war damals der Schwung des Aufstiegs. Und dass wir letztlich an einem Trainer festgehalten haben, der schon zwei- oder dreimal weg war, dessen Begeisterung aber auf die Mannschaft gewirkt hat. Kurz: Wir waren damals mit sehr viel Überzeugung dabei.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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