1. FC Union bei Borussia Dortmund: Die zwei Gesichter des Jens Keller
Unions Trainer Jens Keller war beim FC Schalke wegen seiner Art von Beginn an umstritten. In Berlin ist das anders. Heute kehrt er im Pokalspiel beim BVB ins Rampenlicht zurück.
An einem Tag, als beim 1. FC Union alle Gesichter vor Freude strahlen, hat Jens Keller schlechte Laune. Seine heruntergezogenen Mundwinkel verraten ihn, seine Mimik und Gestik auch. Manchmal fährt er mit der Hand durch die Luft, so als wolle er abwinken. Dann schaut er grimmig, seine Gedanken werden sichtbar. Keller, 45 Jahre alt, denkt anscheinend: Immer die gleichen Fragen. Was soll der Käse? Lasst mich doch in Ruhe.
Am Mittwoch (20.45 Uhr/live im Ticker bei Tagesspiegel.de) spielt der 1. FC Union Berlin mit Keller als Trainer bei Borussia Dortmund. DFB-Pokal, zweite Runde. Ein Spiel, wie es der Berliner Zweitligist in dieser Größenordnung nicht oft bestreitet. Beim deutschen Vizemeister, unter Flutlicht, vor rund 80 000 Zuschauern, ganz große Fußball-Bühne. Genau das ist Kellers Problem. Wovon die meisten seiner Kollegen träumen, wonach sie sich verzehren, ist seine Sache nicht. Keller mag nicht im Mittelpunkt stehen. Das große Spektakel ist ihm zuwider, all das Drumherum, das der moderne Fußball mit sich bringt, muss er nicht haben.
Es gab mal eine Zeit, da waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Sein Posten als Trainer von Schalke 04 brachte das mit sich. Der Job dauerte zwei Jahre, die Keller wie zwanzig vorgekommen sein müssen. Nie galt er als gut genug, obwohl die Ergebnisse das Gegenteil bezeugten. Bis heute war keiner seiner Nachfolger erfolgreicher. Trotzdem wurde ständig über potenzielle Nachfolger diskutiert, öffentlich wie intern. Zu spröde, zu farblos, den Anforderungen bei einem so großen Klub nicht gewachsen, lautete das Urteil. „Da hat er richtig einstecken müssen. Im Grunde hatte er von vorneherein keine Chance“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.
Nach einem Sieg und einem Unentschieden zum Saisonstart lichtete eine große Zeitung Keller auf der ersten Seite ab, darunter stand: „Das Gesicht der Krise“. Kein Wunder, dass Keller über diese Zeit nicht mehr oder nur ungern reden will. „Ich bin keiner, der in der Vergangenheit schwelgt oder irgendwelche Sehnsüchte hat“, sagt er. Nur so viel: Gegen den BVB habe er als Trainer immer gut ausgesehen. Das muss reichen. Nächste Frage, bitte.
Menschen, die ihn kennen, die zu seiner Zeit bei Schalke gearbeitet haben, sagen, dass diese Zeit etwas mit ihm gemacht habe. Dass sie ihn hat härten lassen, aber dass wohl auch etwas in ihm kaputt gegangen sei.
Intern gilt Keller als locker, freundlich, umgänglich
In Berlin gibt sich Keller seit seiner Ankunft in der Öffentlichkeit reserviert. Kurze Sätze, einsilbige Antworten. Das passt so rein gar nicht zu seinem internen Auftreten. Dort gilt er als locker, freundlich, umgänglich. Sehr selbstbewusst zwar, aber auf eine angenehme Weise. „Einfach ein richtig guter Typ“, wie einer sagt. Mitarbeitern außerhalb des Trainerteams bot er am ersten Tag das Du an, im Gegensatz zu manchem Vorgänger lässt sich Keller öfter zur Mittagszeit in der Kantine blicken, wo die meisten Beschäftigten essen.
Die Mannschaft führt er mit jener natürlichen Autorität, die man nicht auf Trainerseminaren lernen kann. Keller habe immer einen Spruch auf den Lippen, heißt es aus Spielerkreisen: „Aber man kann ihm auch einen zurückgeben.“ Das unter Fußballern so beliebte Kabinengefrotzel beherrscht er. Von wegen spröde. Keller weiß, wie es in einer Mannschaft zugeht, er kann in sie hineinhören, schließlich war er selbst Profi, beim VfB Stuttgart, bei 1860 München, beim VfL Wolfsburg, beim 1. FC Köln und bei Eintracht Frankfurt. Unaufgeregt haben ihn die vielen Stationen werden lassen, das kommt bei den Profis an. Läuft es im Training mal schlecht, spricht Keller das zwar an, am nächsten Tag ist es aber kein Thema mehr.
Mit Schalke hat er in der Champions League gespielt und Weltklassespieler wie Klaas-Jan Huntelaar trainiert, die ein viel höheres Niveau mitbrachten als die von Union. Aber auch darüber verliert Keller kein Wort. Nie lässt er seine aktuellen Spieler wissen, für wie gut er seine ehemaligen befand. Das handhabten nicht alle Trainer so beim 1. FC Union in der jüngeren Vergangenheit. Auch dass sie stärker in die Überlegungen des Trainerteams einbezogen werden, ist für Unions Fußballer neu. Alles ist transparent, nichts geschieht mehr im Verborgenen. Keller bevorzugt einen offenen Umgang miteinander.
Ein Kumpeltyp, wie es ihm aus Schalker Zeiten nachgesagt wird, ist er aber nicht mehr. Keller variiert zwischen Nähe und Distanz, wer nicht spielt, bekommt von ihm keine ausführlichen Erklärungen oder aufmunternden Worte. Dafür ist Kotrainer Henrik Pedersen zuständig. In Gelsenkirchen hieß es, er habe sich zu schnell einwickeln, zu schnell einlullen lassen, gerade von den älteren Spielern. Unions Mannschaft verfügt über solche Charaktere nicht, Platzhirsche vom alten Schlag, so wie Keller einer war, gibt es nicht.
Was von außen als Abstieg wahrgenommen wurde, die Unterschrift bei einem Zweitligisten, ist für Keller ein Segen. „Ich bin sehr, sehr glücklich bei Union“, sagt er. In Berlin kann er vergleichsweise ungestört arbeiten, und was beinahe noch wichtiger ist: Verein und Umfeld stehen hinter ihm. Für Jens Keller ist das als Trainer ein ganz neues Gefühl.