Tennis nach den Australian Open: Die Wachablösung muss weiter warten
Novak Djokovic hält die nachfolgende Generation um Daniil Medwedew mit seinem neunten Sieg bei den Australian Open auf Abstand.
Novak Djokovic deutete mit dem Finger an seine Stirn. Der Serbe hatte gerade ein wichtiges Aufschlagspiel im Finale der Australian Open gegen Daniil Medwedew gewonnen. Und sendete anschließend noch diese kleine Botschaft an seinen russischen Kontrahenten. Sieh her: ‚Ich gewinne dieses Spiel mit dem Kopf’.
Auf der anderen Seite haderte Medwedew. Er blickte nach jedem Fehler in seine Box, malträtierte einmal sogar seinen Schläger und war letztlich chancenlos. 7:5, 6:2 und 6:2 siegte Djokovic in einem einseitigen Finale von Melbourne, für das vorher viele Experten eine Wachablösung im Männertennis prophezeit hatten.
Doch am Ende war alles wie immer: Die Großen sind am größten, wenn es zählt. Und ein Daniil Medwedew, zuvor Gewinner von 20 Matches und nacheinander siegreich in zwölf Duellen mit Top-Ten-Spielern, wirkte plötzlich ganz klein.
„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du eine Grand-Slam-Trophäe hochhalten wirst. Aber wenn du damit noch ein paar Jahr warten kannst, würde ich das begrüßen“, sagte Djokovic bei der Siegerehrung in Richtung seines Gegners. Sätze wie diesen hat man in der Vergangenheit schon häufiger gehört von den großen Drei im Tennis. Doch dann haben Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer doch wieder alles abgeräumt.
Seit den Australian Open 2017 ging nur einer von 16 Grand-Slam- Titel nicht an die drei Ausnahmespieler, bezeichnenderweise gewann Dominic Thiem die US Open in Abwesenheit von Nadal und Federer, und weil Djokovic sich zuvor selbst durch eine Disqualifikation aus dem Turnier genommen hatte.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
Die Generation der jungen Wilden, bestehend aus Thiem, Medwedew, Alexander Zverev und Stefano Tsitsipas ist inzwischen gar nicht mehr so jung. Der Österreicher Thiem wird in diesem Jahr 28 Jahre alt. Bis zu diesem Alter hatte Federer schon elf Titel, Nadal gar deren 13 und Djokovic immerhin sieben Siege bei den großen Turnieren vorzuweisen.
Auch Medwedew ist schon 25 und hat nun zwei Grand-Slam-Finals verloren. Zverev, bald 24, und Tsitsipas, 22, sind noch etwas jünger, müssen aber ebenfalls regelmäßig die Erfahrung machen, dass das Top-Trio im Männertennis selbst im Alter von Mitte 30 und mehr eine Klasse für sich ist.
Nach seinem Finaleinzug hatte Novak Djokovic in Richtung der jungen Spieler gesagt: „Ich werde ihnen das nicht einfach überlassen. Dafür werden sie sich schon den Arsch aufreißen müssen“ und meinte die großen Titel. 18 davon hat er nun gewonnen, neun davon bei den Australian Open. Federer und Nadal stehen jeweils bei 20.
Im Finale wirkte Djokovic wieder beweglich und unermüdlich wie eh und je
Gerade Djokovic scheint nicht müde zu werden, für ihn spricht zudem die Tatsache, dass zwei Grand Slams auf Hartplatz ausgetragen werden, wo er klar der beste Spieler ist. Dazu ist Rafael Nadal auf dem Pariser Sand nahezu unschlagbar und in Wimbledon spielt auch Roger Federer immer noch auf allerhöchstem Niveau mit.
Die vier genannten Spieler sind den Superstars zuletzt zumindest näher gerückt. Die vergangenen drei ATP-Weltmeister hießen Medwedew, Tsitsipas und Zverev. Thiem stand zweimal im Finale. Punktuell können sie die Großen schlagen, die aber schaffen es immer noch besser, bei den Grand Slams ihr bestes Tennis abzurufen.
Und sich zu quälen, auch wenn es mal nicht optimal läuft. Djokovic hatte in Melbourne gesundheitliche Probleme, zwischenzeitlich schien sogar eine Aufgabe des 33 Jahre alten Weltranglistenersten denkbar. Aber der Serbe, der das Stilmittel der Theatralik zuweilen auch ganz gern einsetzt, biss sich durch und wirkte im Finale beweglich und unermüdlich wie eh und je.
„Tennis ist ein mentaler Sport. Jeder ist fit, jeder trifft gute Vor- und Rückhände“, hat Djokovic mal gesagt. Von Nadal ist der Spruch überliefert: „Das Verlieren ist nicht mein Feind, die Angst vor dem Verlieren ist mein Feind.“ Es sind Sätze von Ausnahmespielern, die es nie so weit gebracht hätten, wenn sie mental nicht dazu bereit gewesen wären. Dazu passt auch dieser Satz von Federer: „Ich glaube immer, wenn man in einem Loch steckt und die Dinge vielleicht nicht so gut laufen, kommt man gestärkt daraus hervor.“
Die neue Generation muss diesen Beweis erst noch antreten. Sie muss bereit sein, nicht nur ein Spiel in einem wichtigen Turnier zu gewinnen, sondern auch ein Finale. Tsitsipas hat Federer und Nadal bereits bei den Australian Open geschlagen. Thiem wiederum konnte Djokovic in Paris bezwingen. Den nächsten Schritt konnten beide Spieler aber danach nicht gehen.
Und so wartet das Tennis seit September 2016 auf einen Grand-Slam-Champion, der im Finale gegen einen aus dem Top-Trio gewinnen kann. Dem Schweizer Stan Wawrinka war das in jenem Jahr bei den US Open gelungen. Seinerzeit deutete er während des Endspiels immer wieder mit dem Finger in Richtung seines Kopfes. Gegner damals in New York war – Novak Djokovic.