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„...im ritterlichen Geist“. Heidi Schüller sprach 1972 in München den Olympischen Eid.
© picture alliance / dpa

Doping: „Die Verwaltung des Desasters“

Der Bundestag streitet über die Studie zum Doping im Westen – kritisiert werden vor allem die Forscher.

Der Stangenwald von Kamerastativen vor dem Sitzungssaal deutete daraufhin, dass hier gleich etwas Großes verhandelt würde. Doping in der alten Bundesrepublik ist zwar lange her, kann aber immer noch schön aufregen. Und wer weiß schon, welcher Täter noch unentdeckt ist oder heute sogar noch ein Amt bekleidet? Die Opposition im Bundestag hatte sich daher auf eine Abrechnung vorbereitet mit der Bundesregierung und dem organisierten Sport, sie seien schließlich die Stellvertreter, die Rechtsnachfolger. Es knallten auch ein paar Ohrfeigen bei dieser öffentlichen Anhörung, aber eher für unerwartete Opfer.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verließ jedenfalls nach eineinviertelstündiger Befragung ziemlich gelassen den Saal. „Wir erhoffen uns Aufklärung, welche Rolle sein Haus gespielt hat“, hatte die Vorsitzende des Sportausschusses Dagmar Freitag von der SPD vor der Anhörung in die Mikrofone gesprochen. Um dann hinterher zu sagen: „Ich hätte mir vom Bundesinnenminister deutlichere Aussagen gewünscht.“

Der Sportausschuss tagt inzwischen wie alle anderen Ausschüsse des Bundestags wieder nicht-öffentlich, nachdem er sich für ein paar Jahre als Forum sportpolitischer Auseinandersetzung profiliert hatte. Für die Diskussion über die Forschungsergebnisse zum westdeutschen Doping öffnete er aber die Tore. Und gab den Blick frei auf eine kleinteilige Debatte mit Zeitkontingenten je nach Größe der einzelnen Fraktionen. So wurden die Jahrzehnte des westdeutschen Dopings in Minutenbudgets verschachert.

Der Innenminister wünschte erst einmal Thomas Bach viel Glück bei seiner Bewerbung zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees. Deshalb war Bach als oberster deutscher Sportfunktionär auch nicht erschienen, er kämpft um die letzten Stimmen für die Wahl am nächsten Dienstag in Buenos Aires. Die Aufregung um das Doping wollte Friedrich gleich einfangen. „Ich kann die Empörung verstehen, weil Doping den Sport gefährdet“, sagte er. Es ging in der Aufregung auch um die Frage, ob frühere Bundesinnenminister in den 70er Jahren Doping gebilligt oder vielleicht sogar dazu aufgefordert hatten. Und es flog der Vorwurf auf Friedrich zu, sein Ministerium wolle davon heute nichts mehr wissen. „Wie käme ich dazu, irgendwelche Vorgänge aus den 70er Jahren zu verdunkeln?“, sagte er nun im Bundestag. „Ich habe nicht vor, mich schützend vor die sozial-liberale Koalition zu werfen oder ihr etwas zu unterstellen.“ Konsequenzen würden gezogen, wenn es eine saubere wissenschaftliche Aufarbeitung gebe.

Genau das war aber auch der Streitpunkt am Montag: Wie sauber sind die wissenschaftlichen Ergebnisse, gerade die der Forschungsgruppe der Humboldt-Universität? Der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Klaus Riegert, holte gleich kräftig aus: „Ich habe den Eindruck, dass wissenschaftliche Arbeit durch Pressearbeit ersetzt wurde.“ Die Angriffe gegen die Berliner Forscher kamen aber auch aus den eigenen Reihen, vom wissenschaftlichen Beirat der Studie. Der Sportmediziner Klaus- Michael Braumann warf den Berliner Forschern „unklare Begründungen, fehlende Literaturangaben und eine Dopingdefinition aus dem Bauch heraus“ vor. So sei die „Kolbe-Spritze“ aus den 70er Jahren, die im Forschungsbericht eine große Bedeutung bekommt, überhaupt nicht mit Doping gleichzusetzen. „Ethik wird verwechselt mit moralisch getarnter Entrüstung“, sagte Braumann. Andrea Gotzmann, die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur warf dem Forschungskoordinator Giselher Spitzer vor, nie mit ihr gesprochen zu haben und kündigte wegen dessen Aussagen sogar juristische Schritte an. Spitzer verteidigte sich und seine Ergebnisse, allerdings ohne kämpferisch zu wirken. Als Niederlage wollte er die Anhörung aber nicht begreifen. „Das war eine Platzsperre. Wenn der Platz wieder bespielbar ist, werden wir sehen, wie unsere Ergebnisse inhaltlich zu bewerten sind.“ Er habe in der Kürze der Zeit keine Gelegenheit zur Aufklärung gehabt. Ohnehin gehe es nicht allein um Doping, sondern „auch um die Mentalität, die dahintersteckt“.

In Vertretung von Thomas Bach kündigte Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes an, dass nun eine Komission die Ergebnisse auswerte, um hinterher das DOSB-Präsidium zu beraten, was nun noch gegen Doping zu tun sei. Die Ergebnisse sollen bis Ende März vorliegen.

Ines Geipel, früher Sprinterin in der DDR und jetzt Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfe-Vereins, nannte die Debatte hinterher „die Verwaltung des Desasters“. Und Gerhard Treutlein, der schon vor 13 Jahren nach intensiven Recherchen Dopingpraktiken im Westen aufgedeckt hatte, sagte: „Ich fürchte, dass wir in zehn oder zwanzig Jahren wieder hier sitzen und sagen, was man 2013 alles hätte tun sollen.“

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