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Tony Martin, 28, ist Polizeimeister und lebt in Kreuzlingen in der Schweiz. Der Zeitfahrspezialist ist seit 2008 Radprofi und fährt seine fünfte Tour de France. 2011 und 2012 wurde Martin Weltmeister im Einzelzeitfahren. 2012 gewann er Olympia-Silber.
© dpa

Tony Martin über die Tour de France: „Die spielen mit unserer Gesundheit“

Vor dem Start der 100. Tour de France an diesem Samstag sprach Tony Martin im Interview mit dem Tagesspiegel über gefährliche Abstiege, Haftstrafen für Dopingsünder und seine Rolle im belgischen Team Omega-Pharma Quickstep.

Herr Martin, die Tour de France hätte so schön für Sie beginnen können ...

... ich hoffe, das tut sie auch! Was bemängeln Sie denn?

Sie hätten die große Chance gehabt, gleich zum Auftakt nach fünf Jahren wieder einmal ein Gelbes Trikot nach Deutschland zu holen. Jetzt gibt es aber nicht das übliche kurze Zeitfahren zu Beginn, sondern eine ganz normale Etappe (ab 11.45 Uhr, live bei Eurosport).
Das stimmt, das hätte besser laufen können, zumal Fabian Cancellara und Bradley Wiggins nicht am Start sind. Das sind die beiden einzigen Fahrer, gegen die ich in den vergangenen Jahren ein wichtiges internationales Zeitfahren verloren habe. Aber es gibt ja am vierten Tag das Mannschaftszeitfahren, und da meine Mannschaft Omega-Pharma Quickstep in dieser Disziplin im Herbst 2012 Weltmeister geworden ist, bin ich ganz zuversichtlich, die Chance vielleicht doch noch zu bekommen. Und es kommen ja auch noch zwei Einzelzeitfahren. Möglicherweise ist es da schon zu spät für das Gelbe Trikot, aber ein Etappensieg ist auf jeden Fall mein Ziel.

Bis vor zwei Jahren galten Sie als die große deutsche Hoffnung auf einen vorderen Platz im Gesamtklassement der Tour. Letztlich konnten Sie im Gebirge mit den Besten aber nicht mithalten und konzentrierten sich 2012 sehr erfolgreich auf die Zeitfahren. Haben Sie jetzt mit 28 Jahren bereits Ihren Platz im Peloton gefunden?
Für die nächsten ein, zwei Jahre will ich mich tatsächlich darauf konzentrieren, genau das zu tun, was Erfolg verspricht. Und das ist für mich ganz klar das Zeitfahren. Ich fühle mich aber noch zu jung, um Ambitionen auf das Gesamtklassement für alle Zeiten abzuhaken. Cadel Evans war 34, als er die Tour gewonnen hat. Und dass ich keine totale Gurke in den Bergen bin, habe ich auch schon bewiesen. Ich denke, dass ich mein Potenzial als Rundfahrer noch ausbauen kann. Zeit dafür habe ich auch. Ich hoffe, dass ich noch an die zehn Jahre Rennen fahren kann.

Bei dieser Tour werden Sie aber wohl auch ihren Sprintstar Mark Cavendish unterstützen müssen.
Wen man mit Cav zur Tour anreist, gibt es nur ein Ziel – den Mann gut in die Sprints führen, den Rest macht er dann schon selbst. Es ist also klar, dass ich Mark – so gut, es geht – im Finale unterstützen muss. Der Mann hat bisher 23 Etappensiege bei der Tour, das ist schon eine gewaltige Hausnummer.

Wie lebt es sich eigentlich als deutscher Profi in einem belgischen Team?
Wir sind ja eher eine internationale Truppe, ich fühle mich überhaupt nicht wie in einem belgischen Team. Klar, die Betreuer sind meist Belgier, aber wir haben Profis aus vielen Ländern. Und diese Internationalität mag ich, das macht Spaß, weil man sehr viel lernen kann.

An einem Tag zweimal die Steigung nach L’Alpe d’Huez hinauf. Eine unmenschliche Schinderei?

Die diesjährige Jubiläumstour zum Hundertjährigen hat für die Fahrer eine Neuerung parat. Erstmals geht es an einem Tag zweimal die Steigung nach L’Alpe d’Huez hinauf. Eine unmenschliche Schinderei?
Nein, das Höhenprofil insgesamt ist eben das einer Hochgebirgsetappe und die Tour ist ja auch schon über drei, vier superschwere Berge wie zum Beispiel den Galibier nach L’Alpe d’Huez gefahren. Das ist es nicht – diese Etappe hat ein ganz anderes Problem.

Welches?
Die Abfahrt zwischen den beiden Anstiegen über den Col de Sarenne ist viel zu gefährlich. Wir sind diese Strecke im Juni bei der Rundfahrt durch die Dauphiné gefahren, es war fast ein Wunder, dass da nichts passiert ist. Die Straße ist alt, schmal, hat sehr viele Schläge und keine seitliche Leitplanke. Und da bei der Tour erfahrungsgemäß noch härter gefahren wird, spielen hier die Veranstalter mit der Gesundheit der Profis. Es gibt auf der Abfahrt ein paar Stellen ... wenn du da die Kontrolle verlierst, dann passiert wohl mehr als ein normaler Sturz. Das kann wirklich böse enden.

Sind solche Etappen nicht auch ein Widerspruch? Man will angeblich Doping bekämpfen, macht aber das Rennen immer schwerer.
Nein, da widerspreche ich. Diese Etappe ist sicher nicht unmenschlich und schon gar kein Grund, Doping zu rechtfertigen. Wer nicht mehr kann, muss halt einen Gang leichter treten. Ein anspruchsvolles Profil ist keine Rechtfertigung für die Verwendung einer chemischen Wundertüte.

Es gibt Stimmen, die behaupten, solche Etappen oder generell eine Tour de France seien ohne Doping überhaupt nicht durchzustehen?
Das ist absoluter Unsinn! Selbstverständlich ist das möglich.

Zumindest in Deutschland glaubt das aber kaum noch jemand.
Das Problem war ja auch verdammt real, wir hatten viele Dopingfälle. Aber ich denke, diese dunkle Phase ist überwunden. Nichts dagegen, dass die Medien auch heute noch eine gesunde Portion Misstrauen haben, aber man sollte uns auch die Chance geben, zu zeigen, dass sich der Sport wandelt.

Sie fordern drastische Strafen für überführte Doper.
Man muss ja sehen, was Doper dem Sport antun. Deshalb denke ich, dass Konsequenzen über die sportrechtliche Sperre hinaus sinnvoll sind. Doping ist massiver Betrug am Arbeitgeber und an den Fans, ich denke, dass ab einer gewissen Schwere eine Freiheitsstrafe gerechtfertigt wäre.

Glauben Sie, dass es bald wieder ein großes deutsches Profiteam geben wird.
Das wäre schön, denn die Begeisterung für den Sport würde dadurch hier im Land auch wieder steigen. Erfolgreiche deutsche Profis in einem deutschen Team – das wäre schon was. Aber ich habe keine Ahnung, ob das in den nächsten Jahren realistisch ist. Mich würde es jedenfalls freuen.

Jürgen Löhle

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