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Tod in der Qualifikation. Ferrari-Legende Gilles Villeneuve starb 1982 bei seinem Unfall in Zolder (Belgien).
© AFP

Nach dem Tod von Jules Bianchi: Die sichere Formel 1 ist eine Illusion

Zwei Jahrzehnte hat der Tod einen Bogen um die Formel 1 gemacht, doch das Drama von Jules Bianchi zeigt: Die sichere Formel 1 ist eine Illusion.

Wenn Jackie Stewart von seiner Zeit als Rennfahrer redet, dann hört sich das an wie eine Episode aus einem Gruselfilm. 59 Freunde hat der dreimalige Formel-1-Weltmeister im Laufe seiner Karriere verloren, weil sie bei Rennunfällen starben. „Ich habe Dinge gesehen, die niemand jemals sehen sollte“, hat Stewart kürzlich im Tagesspiegel-Interview gesagt. „Das kann sich keiner der aktuellen Fahrer mehr vorstellen.“ Zwei Jahrzehnte hat der Tod einen Bogen um die Formel-1-Piloten gemacht, auch dank Stewarts unermüdlichem Streben nach mehr Sicherheit. Doch nun trauert die Rennserie erstmals seit 1994 wieder um einen Fahrer: Am Sonnabend starb der 25-jährige Jules Bianchi an den Folgen seines schweren Unfalls im Oktober 2014 in Japan. Der Franzose soll am Dienstag in seiner Heimatstadt Nizza beerdigt werden.

Die meisten der aktuellen Grand-Prix-Piloten kommen zum ersten Mal mit dem traurigen Thema in Berührung. „In Zeiten wie diesen werden wir auf brutale Weise daran erinnert, wie gefährlich der Rennsport noch immer ist“, teilte die Formel-1-Fahrergewerkschaft GPDA mit. Die stetig gestiegenen Sicherheitsstandards haben dazu geführt, dass der Tod in der Formel 1 fast schon in Vergessenheit geraten war. Das ist vor allem Jackie Stewart zu verdanken.

Unsichere Formel-1-Strecken wurden Mitte der 70er umgebaut oder gestrichen

In den 60er und 70er Jahren noch lagen die Chancen für einen Piloten bei 2:3, im Auto tödlich zu verunglücken. Diese Zeit der ungezügelten Ingenieursexperimente, die eine BBC-Dokumentation „Die Killer-Jahre“ nennt, forderte 21 Todesopfer unter den Formel-1-Piloten. Stewart hatte genug davon, den Leichenschmaus als unvermeidliche Begleiterscheinung seines Berufs akzeptieren. Nach seinem schweren Unfall 1966 in Spa zog er öffentlich gegen den einkalkulierten Tod zu Felde. Nicht nur gegen die Widerstände der Rennstreckenbetreiber, sondern auch gegen den der eigenen Kollegen, die das Thema Tod ebenfalls lieber verdrängten.

Mitte der 70er zeigten sich erste Erfolge. Unsichere Strecken wie die Nordschleife verschwanden aus dem Rennkalender oder wurden umgebaut. Die Autos wurden sicherer, Crashtests wurden eingeführt und führende Mediziner wie der Neurochirurg Sid Watkins für die Erstversorgung an der Strecke gewonnen. Nach Riccardo Palettis Unfall 1982 in Montreal blieb die Formel 1 zwölf Jahre von weiteren Trauerfeiern verschont. Dem tragischen Wochenende von Imola 1994, bei dem Ayrton Senna und Roland Ratzenberger starben, folgten gar 21 Jahre ohne Todesfall.

Die Statistik demonstriert einerseits, dass das Streben nach mehr Sicherheit bei Autos und Strecken tatsächlich Wirkung gezeigt hat. Aber sie vernebelt auch den Blick darauf, dass die Formel 1 in den jüngsten Jahren oft nur knapp am Desaster vorbeigeschrammt ist. 1995 etwa musste Mika Häkkinen in Adelaide zweimal wiederbelebt werden, 2001 entging Luciano Burti in Spa nur knapp dem Tod, Robert Kubica erlebte 2007 einen fürchterlichen Unfall in Montreal.

Die trügerische Sicherheit wurde auch Jules Bianchi zum Verhängnis

Die lange Ära ohne Todesfall rief gleichzeitig eine neue Gefahr hervor: Mit jedem schweren Unfall, der ohne die schwerstmögliche Konsequenz blieb, verloren die Fahrer ein wenig mehr Demut vor ihrem Tun. „Sie haben kein Gespür mehr für die Schattenseiten und Gefahren“, sagt Stewart. Der Tod auf der Strecke wirkte wie eine überkommene Kinderkrankheit aus grauer Rennsport-Vorzeit. Während riskantes Fahren früher unter Piloten verpönt war, entwickelte es sich spätestens mit dem Duell zwischen Alain Prost und Ayrton Senna Ende der 80er zum akzeptierten Stilmittel.

Das verstärkte sich noch durch eine Entwicklung, die ausgerechnet durch die tödlichen Unfälle von Senna und Ratzenberger 1994 angeschoben wurde. Danach errichtete der deutsche Architekt Hermann Tilke im Auftrag von Bernie Ecclestone eine neue Generation von Rennstrecken mit asphaltierten Auslaufzonen, die noch mehr Raum für Zweikämpfe und Fahrfehler ließ. Die trügerische Sicherheit forcierte die Risikobereitschaft unter den Piloten nochmals, was wohl auch Bianchi zum Verhängnis wurde. „Er war sich des Risikos nicht bewusst, in dem er sich befand“, sagt Stewart, der dem Franzosen die Hauptschuld für den Unfall gibt. Er habe trotz doppelt geschwenkter Gelber Warnflaggen sein Tempo im Regen von Suzuka nicht ausreichend verlangsamt.

Über eine Cockpitabdeckung wird nun wieder diskutiert

Nun werden die Sicherheitsdebatten unter den Fahrern neu eröffnet, die gerade wegen der gestiegenen Standards in den Hintergrund gerückt waren. Auch im Automobil-Weltverband Fia wird der Kampf für mehr Sicherheit wieder mit mehr Engagement vorangetrieben. Als Konsequenz aus Bianchis Crash bremst seit dieser Saison das sogenannte Virtuelle Safetycar die Autos in Gefahrenzonen ein, indem es eine Maximalgeschwindigkeit vorgibt. Die schon öfter angedachte Cockpitabdeckung wird wieder diskutiert, um den Kopf der Fahrer besser zu schützen. Allerdings hätte vermutlich auch eine Dachhaube Jules Bianchi nicht gerettet. Der Franzose überstand den Einschlag in den tonnenschweren Bergungskran in Suzuka äußerlich unversehrt. Doch weil sein Wagen innerhalb von fünf Metern aus rund 140 km/h zum Stehen gekommen war, wirkten unglaubliche Belastungskräfte von 92 g auf Bianchis Kopf ein. Die Folge waren massive Schädigungen des Gehirns, die schließlich zum Tod führten.

Der erste Todesfall seit 21 Jahren zeigt dreierlei: Erstens, dass die Formel 1 ziemlich sicher geworden ist. Zweitens, dass sie immer noch sicherer werden kann. Und drittens, dass sie wohl niemals sicher sein wird. Denn eine Komponente wird man bei der Eindämmung des Todesrisikos in der Formel 1 kaum verbessern können: den menschlichen Körper, der für solche Belastungen einfach nicht geschaffen ist. Die Tragik um Jules Bianchi hat allen auf traurige Weise wieder ins Gedächtnis gerufen, dass der Tod und der Rennsport leider untrennbar zusammengehören.

Christian Hönicke

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