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Der Bundestrainer passt seine Taktik an die brasilianischen Gegebenheiten an
© dpa

WM 2014: Die neue Taktik des Joachim Löw

Bundestrainer Joachim Löw war nie ein Freund von vielen Wechseln. In Brasilien aber soll die aktive Rotation nun eine Tugend werden und dafür sorgen, dass Deutschland Weltmeister wird.

Die Wetteraussichten für Salvador de Bahia sind durchaus verheißungsvoll. 26 Grad sind für den Montag vorhergesagt, wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Arena Fonte Nova mittags um eins gegen Portugal in die Weltmeisterschaft startet. Solche Temperaturen kennen die deutschen Spieler auch aus der Heimat. Weniger verheißungsvoll klingt die Vorhersage, dass die Luftfeuchtigkeit in Salvador bei 80 Prozent liegen soll. Solche Bedingungen hat die Nationalmannschaft bei einem Turnier zuletzt vor zwanzig Jahren erlebt. Bei der WM in den USA führten die Deutschen schon nach 37 Minuten 3:0 gegen Südkorea. Eine knappe halbe Stunde später hieß es nur noch 3:2, und wenn das Spiel zehn Minuten länger gedauert hätte, hätte es für die Deutschen wohl ein böses Ende genommen.

Ähnliche Erfahrungen erwartet Bundestrainer Joachim Löw auch in Brasilien. Die drei Vorrundenspiele im tropischen Nordosten des Landes könnten zu echten Abnützungskämpfen ausarten, gerade in der Schlussphase, wenn die Kräfte schwinden. „Das sind Situationen, wo du über einen gewissen Punkt hinausgehen musst“, sagt Löws Assistent Hans-Dieter Flick. Oder wo du von der Bank frische Kräfte bringen musst.

Neue Bedingungen, neues Spiel

Die Deutschen haben in dieser Woche versucht, die Bedingungen ein wenig zu simulieren. Sie haben das Training extra auf 13 Uhr gelegt. Die Hitze aber, die Schwüle und die besondere Wettkampfbelastung lassen sich nur schwer simulieren. Der Praxisschock steht der Mannschaft erst noch bevor: Er könnte heftig ausfallen. Italiens Trainer Cesare Prandelli hat das vor einem Jahr beim Confed- Cup in Brasilien erlebt, als er sich in der Pause mit einem ungewöhnlichen Wunsch konfrontiert sah: Gleich acht Spieler baten wegen Erschöpfung um ihre Auswechslung.

Für Joachim Löw wird Fußball unter diesen Bedingungen zu einem ganz neuen Spiel. Fußball wird in Brasilien nicht mehr elf gegen elf gespielt. „Wir haben keine Stammspieler, wir haben 23 WM-Teilnehmer, die alle in jeder Zeit, in jeder Minute, in jeder Sekunde in Alarmbereitschaft sein müssen – in größter Alarmbereitschaft“, sagt er. „Die Einsicht, dass wir eine erste Vierzehn haben, die ist fundamental.“ Löw ist bisher nicht als exzessiver Wechsler auffällig geworden, bei der WM aber wird er von seinen drei Optionen pro Spiel in vollem Umfang Gebrauch zu machen. Weil der Bundestrainer nicht nur reaktiv wechseln will, wenn bei den Spielern auf dem Platz die Kräfte schwinden. Er will mit seinen Wechseln auch aktiv Einfluss auf das Spiel nehmen.

So sieht die neue WM-Taktik aus

Die Startelf soll den Gegner von Anfang an intensiv bearbeiten, nach der Pause beginnt dann Phase zwei mit frischen Kräften. „Die ersetzen nicht einfach nur einen Spieler“, sagt der Bundestrainer. „Die haben die Aufgabe, der Mannschaft neue Energie zu geben. Im Zweifelsfall machen diese Spieler den Unterschied aus.“ Löw spricht von Spezialkräften, die den Gegner empfindlich treffen können. „Es ist ein Vorteil, wenn man noch mal nachlegen kann.“

Gerade in der Offensive verfügt Löw über etliche Optionen. Theoretisch kann er nach einer Stunde seine zweite Sturmreihe aufs Feld schicken. „Hier bei der WM werden Spiele hinten heraus entschieden“, sagt Kapitän Philipp Lahm. „Da wird es wichtig sein, dass Spieler von der Bank kommen und dann voll auf dem Platz sind.“ So wie gegen Kamerun eine Woche vor dem Abflug nach Brasilien, als der eingewechselte Lukas Podolski das 2:1 des eingewechselten André Schürrle vorbereitete. Im letzten Test gegen Armenien wurden sogar vier der sechs Tore durch Einwechselspieler erzielt.

Der Bundestrainer besitzt auch die Möglichkeit, durch gezielte Wechsel sein System umzustellen. Gegen die Portugiesen könnte er zum Beispiel mit einer falschen Neun im Sturm beginnen, um deren kantige Innenverteidiger in stete Bewegung zu versetzen – und dann Miroslav Klose bringen, der die Sache als Vollstrecker zu Ende bringt. So ähnlich hat es auch Pep Guardiola bei den Bayern gehalten. Der Spanier besitzt nicht unbedingt ein Faible für den klassischen Stoßstürmer, trotzdem hat er Mario Mandzukic immer wieder von der Bank gebracht, wenn das Spiel seiner Mannschaft klemmte.

Fleißiges Wechseln könnte für Löw auch zu einem wichtigen Mittel der Mannschaftshygiene werden. „Wir haben Spieler, die es in ihren Vereinen nicht gewohnt sind, auf der Bank zu sitzen“, sagt Philipp Lahm. Das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden und nicht nur aus Mitleid für ein paar Minuten aufs Feld zu dürfen, streichelt das eigene Ego. Löw jedenfalls spricht den Einwechselspielern „eine ganz besondere Verantwortung“ zu. „Es ist keine Strafe, wenn ich nicht immer von Minute eins an auf dem Platz bin“, sagt er. „Es ist vielleicht sogar manchmal ein Vorteil, von der Bank zu kommen.“ Man muss anschließend nur das entscheidende Tor erzielen.

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