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Chinesische Schwimmerin Ye Shiwen schwamm mit 16 einen Weltrekord.
© afp

Asiatische Woche: Die neue Generation kommt aus Asien

China, Nord- und Südkorea prägen die erste Hälfte der Spiele. Doch es deutet sich eine Abkehr von roboterhaften Dauersiegen an. Erfolg wird produziert, China hat die längsten Werkbänke.

Sie hatten ihren Auftrag ausgeführt, niemand anderes ins Endspiel zu lassen als Chinesen. Deshalb bauten sich Chinas Tischtennis-Cheftrainer Liu Guoliang und Finalist Wang Hao vor dem Publikum auf – und salutierten. Von der Tribüne grüßte eine kleine, laute chinesische Kolonie mit Jubel und roten Fahnen zurück.

Was von China erwartet wird bei diesen Olympischen Spielen, das erfüllen die chinesischen Sportler in der Regel auch. Bislang sind sie ähnlich erfolgreich wie vor vier Jahren bei den Spielen im eigenen Land. Aber diese erste Woche dieser olympischen Spiele war keine auffallend chinesische. Sie war eine asiatische.

Hinter den Chinesen holen längst andere Länder auf, Südkorea vor allem, aber auch Nordkorea. Und es ist nicht der Erfolg allein, der die vergangenen Tage so asiatisch gemacht hat. Viele der großen Geschichten dieser Spiele haben mit Asien zu tun. Da war etwa der Badmintonskandal, als sich ein chinesisches und ein südkoreanisches Doppel für ein besseres Los in der nächsten Runde mit aller Macht gegenseitig den Sieg zuschieben wollten, indem sie den Federball ins Netz droschen oder ihm tatenlos zusahen, wie er neben ihnen ins Feld fiel. Oder das Rätselraten, wie denn die Chinesin Ye Shiwen mit nur 16 Jahren einen Weltrekord schwimmen kann.

Asien prägt das Bild dieser Spiele, aber keineswegs nur mit dem erwarteten Gesicht. Es sind nicht mehr allein die versteinerten Mienen, mit denen sie ihre Siege abarbeiten. Es sind emotionale Sieger dazugekommen. Zhang Jike, der neue Olympiasieger im Tischtennis, ist so ein emotionaler Sieger. Als er den letzten Punkt gegen seinen Landsmann Wang Hao im Finale gemacht hatte, sprang er über die Umrandung, rannte durch die halbe Halle zum Siegerpodest und küsste die oberste Stufe. „Das war spontan, so etwas kann man nicht planen“, sagte er. Im vergangenen Jahr hatte er nach dem Gewinn des WM-Titels sein Trikot zerrissen und seinen drahtigen Oberkörper entblößt. Wenn er das jetzt noch mal machen würde, käme ein großes Tattoo auf seinem Rücken zum Vorschein, „Persistence“ – Beharrlichkeit.

Die Olympia-Hingucker 2012

Eines der Bilder dieser ersten olympischen Woche war der Sitzstreik der weinenden Südkoreanerin Shin A-Lam auf der Planche, weil sie nicht glauben konnte, dass ihre Gegnerin im Degenfechten, Britta Heidemann, tatsächlich in der letzten Sekunde den entscheidenden Treffer gegen sie gesetzt hatte. 7000 Zuschauer in der Halle schienen mit ihr zu leiden. Wenn Asien mal keine Medaille gewinnt, dann eben Sympathie.

Die Kräfteverhältnisse des olympischen Sports verlagern sich immer mehr nach Asien, weil die Länder dort ihre Erfolge verstetigen, wie China, oder ausbauen, wie die beiden Teile Koreas. Weil einflussreiche Großsponsoren des Internationalen Olympischen Komitees aus Asien stammen und auch ein IOC-Mitglied aus Singapur Aussichten hat, im nächsten Jahr auf Jacques Rogge als Präsident zu folgen.

London ist ein geeigneter Ort, um diese Entwicklung zu demonstrieren. Die Engländer haben viele Sportarten erfunden oder ihnen zumindest Regeln gegeben, aber dominiert werden sie nun manchmal von asiatischen Ländern. Das liegt an der Industrialisierung von sportlicher Leistung. Erfolge können planmäßig produziert werden, wenn nur genügend Menschen und Mittel dafür aufgewendet werden. Die längsten Werkbänke der Welt stehen in China. Der „Daily Telegraph“ kann noch Witze darüber machen, dass China im Tischtennis alles abräumt, obwohl das Spiel aus England kommt mit seinem lustigen Vorgängernamen Wiff Waff: „Gott weiß, was passieren wird, wenn sie jemals Dartpfeile in die Finger bekommen.“

Südkorea ist auf einem guten Weg, auch Länder wie Deutschland hinter sich zu lassen, nicht nur bei der Abstimmung über die Austragung der olympischen Winterspiele. „Sie haben eine sehr klare Orientierung auf Spitzenleistung, das führt zu einer Konzentration auf bestimmte Sportarten und auf Medaillen“, sagt Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, und dessen Generaldirektor Vesper hält die Tugend des deutschen Sportsystems dagegen: „Unser Auftritt hier in London zeigt, wie vielseitig der deutsche Sport aufgestellt ist.“ Für Vielseitigkeit gibt es allerdings nur beim Reiten eine Goldmedaille.

Aus Asien kommt auch die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Japan. Bisher sind die Japaner klar hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben, gerade in einer Sportart, die sie erfunden haben: Judo. Die Schwäche Japans deutet an, dass die sportliche Entwicklung eines Landes etwas mit seiner wirtschaftlichen zu tun haben könnte und mit seinem Selbstbewusstsein. Nach Wirtschaftskrise und Fukushima scheint Japan mit sich zu hadern, und wenn beim Sport eines hinderlich ist, dann dies. Auch der Leistungssport hat Zyklen wie die Wirtschaft, Japan befindet sich gerade in der Rezession.

Jeder Aufschwung weckt dagegen neue Begehrlichkeiten. Nicht immer sind dabei noch mehr Medaillen das Ziel. In China mehren sich die Stimmen, die eine Abkehr vom eindimensionalen Gewinnenwollen fordern. „China muss nichts mehr beweisen. Und muss auch nicht mehr besessen davon sein, Goldmedaillen zu gewinnen“, schreibt ein leitender Redakteur in „China Daily“. Der Breitensport sei noch unterentwickelt und krank in China, aber eigentlich wäre er besser geeignet, um die Stärke eines Landes zu zeigen.

Die zweite Woche dieser Olympischen Spiele soll keine asiatische werden. Die Leichtathletik hat begonnen, sie wird dominiert von Afrika, der Karibik, den USA und Europa. Jede Medaille für Asien wäre jetzt ein Zeichen, dass auch hier nichts so bleibt, wie es einmal war.

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