Handball-Saison 2016/17: Die Füchse Berlin liefern Stoff für zwei Jahre
Hinter den Füchsen Berlin liegt eine ereignisreiche Saison 2016/17: Der Verein hat seine Ziele erfüllt, obwohl mehr drin war – die Bilanz einer Spielzeit.
In der Geschäftsstelle der Füchse Berlin gibt es einen schönen, hellen Raum, der die Entwicklung des Klubs illustriert wie kein zweiter: den großen Konferenzraum. Auf dem mächtigen, ovalen Tisch im Zentrum steht ein Modell der Max-Schmeling-Halle, die im Vereinssprech nur „Fuchsbau“ heißt. Zahlreiche Pokale haben prominente Fensterplätze ergattert und schauen hinaus auf den Gendarmenmarkt. Dazu gibt es dutzende Urkunden, Zertifikate, Erinnerungsfotos. Ein guter Ort, um grundsätzlicher zu werden. Um Bilanz zu ziehen. Bob Hanning sitzt also in der Kommandozentrale des Handball-Bundesligisten in Berlin-Mitte und überlegt, wie er die nunmehr abgelaufene Spielzeit 2016/17 in einem Wort zusammenfassen soll: „Ereignisreich trifft es ganz gut“, sagt der Manager – und muss selbst ein bisschen lachen.
In der Tat haben die Füchse seit dem Saisonstart im September 2016 viel Stoff in verhältnismäßig kurzer Zeit geliefert. Angefangen mit der Titelverteidigung beim sogenannten IHF Super Globe, der inoffiziellen Weltmeisterschaft für Vereinsmannschaften in Doha, bis hin zur größten Enttäuschung der Saison: der Niederlage im Finale des EHF-Pokals gegen Göppingen Ende Mai. Abgesehen von ein paar Wutausbrüchen des Managers lagen zwischen den ganz großen Ereignissen des Jahres aber auch noch viele kleine: zum Beispiel der starke Lauf unter dem neuen Trainer Velimir Petkovic. Zwischen Dezember und April kassierte der 60-Jährige in seinen ersten 21 Pflichtspielen als Füchse-Trainer lediglich drei Niederlagen. Aber eben auch: die Entlassung von Petkovics Vorgänger, dem Isländer Erlingur Richardsson. Zum ersten Mal seit Hanning vor zwölf Jahren die Geschicke in Berlin übernommen hat, trennte er sich in der laufenden Saison von seinem Cheftrainer.
Trotzdem fällt das Fazit des Managers positiv aus. „Wenn wir die Saison als Ganzes betrachten, haben wir ein überragendes Ergebnis erzielt“, sagt er und zählt auf: „Weltpokal, Europapokal-Finale und in der Bundesliga stehen wir unter den besten fünf Mannschaft, da gibt es für mich gar keine Diskussion.“ Auf dem Papier haben die Füchse ihre vor der Saison proklamierten Ziele sogar übererfüllt, dem lässt sich schwer widersprechen. Andererseits gibt es unter Spielern und Verantwortlichen ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass auf der Zielgeraden wesentlich mehr drin war, Stichwort: Champions League. Ohne die beiden völlig überraschenden Heimniederlagen gegen die Abstiegskandidaten Bergischer HC und VfL Gummersbach hätte es für die Füchse in dieser Saison wohl gereicht zur Teilnahme am wichtigsten Europapokal – erstmals seit fünf Jahren übrigens. Nach dem 32:28 (16:12)-Sieg im letzten Punktspiel beim SC DHfK Leipzig am Samstagnachmittag fehlten am Ende zwei Punkte auf den Tabellendritten THW Kiel.
„Grundsätzlich können wir nur auf die Champions League hoffen, wenn eine der drei Top-Mannschaften schwächelt“, sagt Hanning. Genau dieses Kriterium erfüllten die Kieler in der abgelaufenen Saison allerdings: Die runderneuerte Mannschaft von Trainer Alfred Gislason taumelte phasenweise durch die Saison und verteilte in ungeahnter Freundlichkeit Punkte an Standorten wie Lemgo, Leipzig oder Wetzlar. Trotz günstiger und mehrfacher Gelegenheit waren die Füchse jedoch nicht in der Lage, aus der Schwäche des Rekordmeisters Kapital zu schlagen – auch in den direkten Duellen gab es klare Niederlagen. „In solchen Situationen müssen wir in Zukunft zur Stelle sein“, fordert Hanning, „diesmal waren wir es leider nicht.“
Coach Petkovic rüttelte das Team emotional wach
Dabei schien es vor allem nach dem Trainerwechsel so, als könnten die Berliner noch einmal richtig Druck auf die Teams aus dem Spitzentrio aufbauen; die Mannschaft wirkte wie verwandelt, kein Vergleich zu ihren Auftritten unter dem schweigsamen Isländer Richardsson. „Erlingur hat uns ja nichts getan, wir sind auch im Guten auseinandergegangen“, sagt Hanning mit einem halben Jahr Abstand, „aber es hat einfach nicht gepasst.“
Der neue Coach Velimir Petkovic darf für sich in Anspruch nehmen, seine Spieler vor allem auf der emotionalen Ebene erreicht und wachgeküsst zu haben, die handballerische Qualität seines Kaders steht ohnehin außer Frage. „Petko hat einen sehr guten Job gemacht – genau das, was wir uns gewünscht und erhofft hatten“, sagt Hanning. Seine ersten sechs Monate als Füchse-Trainer darf der 60-Jährige durchaus als Werbung in eigener Sache verbuchen: Sein Vertrag läuft zwar nach der Saison 2017/18 aus, aber so, wie er sich geschlagen und verkauft hat, stehen die Chancen auf eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses gut. „Mir ist besonders wichtig, dass er unsere jungen Spieler weiterentwickelt“, betont Hanning. Allen voran die Ausnahmetalente Paul Drux und Fabian Wiede, die nach einem Olympia-Sommer ohne Pause nur selten ihre gewohnte Leistungsstärke abrufen konnten. Beide wirkten oftmals überspielt und müde.
Um ein dauerhafter Herausforderer für die Teams aus Mannheim, Flensburg und Kiel zu werden, müssen sie bei den Füchsen aber auch an anderen, nicht-sportlichen Stellschrauben drehen, betont Hanning. Obwohl der Verein seinen Jahresetat seit dem Bundesliga-Aufstieg 2007 sukzessive auf nunmehr 5,5 Millionen Euro erhöht hat, ist der finanzielle Rückstand auf die Branchenführer weiterhin groß: Dem THW Kiel (10 Millionen) etwa steht fast doppelt so viel Geld zur Verfügung, auch Flensburg-Handewitt und die Rhein-Neckar Löwen können zwei bis drei Millionen Euro mehr ausgeben als die Berliner. Darauf angesprochen, rechnete Hanning schon vor einem Jahr im Interview mit dem Tagesspiegel vor: „Wir benötigen in den nächsten Jahren eine Etatsteigerung von zwei Millionen Euro. Wenn uns das gelingt, wird unser Erfolg nicht aufzuhalten sein.“ Vereinspräsident Frank Steffel hat vor kurzem sogar die Deutsche Meisterschaft als perspektivisches Ziel ausgegeben.
Stand heute schließt die ausgelagerte Profi-Abteilung der Füchse die Spielzeit mit „einer schwarzen Null“ ab, wie Hanning sagt – und am Etat wird sich mit Blick auf die Saison 2017/18 so schnell wohl auch nicht viel ändern. „Ich bin unseren langjährigen Partnern und Geldgebern sehr dankbar, aber wenn sie am Limit sind, dann sind sie am Limit“, sagt Hanning, „wir wachsen lieber Schritt für Schritt, bevor wir anfangen, über verrückte Sachen nachzudenken.“
Vor ein paar Jahren etwa sollen katarische Investoren in der Geschäftsstelle am Gendarmenmarkt vorbeigeschaut und ein Angebot zur Beteiligung am Verein abgegeben haben. Hanning lehnte dankend ab. Wer den 49-Jährigen auch nur ein bisschen kennt, der weiß: Die Position als Herr im eigenen Haus wird er keineswegs leichtfertig aus der Hand geben, da kann der potenzielle Scheck noch so dick sein. „Dass wir unseren Etat bisher nicht steigern konnten, heißt ja nicht, dass wir es nicht weiter versuchen“, sagt Hanning. In einer Stadt wie Berlin mit ihren sechs großen Profi-Klubs ist die Konkurrenz eben auch sehr ausgeprägt, alle wollen ihren Teil vom Kuchen.
Das gilt auch für die Zuschauer. In diesem Bereich haben sich die Füchse im elften Jahr der Bundesliga-Zugehörigkeit etabliert in Berlin und Handball-Deutschland: Zu den 17 Bundesliga-Heimspielen dieser Saison kamen 127 275 Besucher, das entspricht einem Wert von knapp 7500 zahlenden Fans – und damit Platz drei unter den 18 Klubs. Trotzdem wünscht sich Hanning bisweilen mehr Eifer von den Rängen. „Wir haben eine der schönsten Hallen der Bundesliga, für mich sogar die schönste, aber wir haben auch das fairste Publikum der Welt", sagt er. „Dieser ganz brutale Druck in einer Halle, der eine Mannschaft schweben lassen kann, fehlt uns manchmal.“ Gerade wenn die Top-Teams aus Flensburg oder eben Kiel vorbeischauen. Die kennen den Vorteil solcher Begleitumstände nämlich bestens – aus ihren Heimspielen.