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Hier soll es lang gehen. Noch ist der Start der Tour de France für den 27. Juni geplant, bis Mitte Mai wird entschieden, ob es dabei bleibt.
© REUTERS

Frankreichrundfahrt trotz Epidemie erwogen: Die Farce um die Tour de France

Geisterrennen, Verkürzung, Absage: Um die Austragung der Frankreichrundfahrt wird heftig gestritten. Spätestens im Mai soll eine Entscheidung fallen.

Die Werbeaufsteller sind schon gedruckt. Das französische Fernsehen zeigte ein Bild der Zielmarkierungen für die 11. Etappe in Poitiers. „Mittwoch, 8. Juli 2020, Ziellinie“ stand darauf. Stéphane Villain, Bürgermeister von Châtelaillon-Plage, dem Startort der 11. Etappe und zugleich Tourismusverantwortlicher der gesamten Region, will weiter die Tour. „Das kann ökonomisch einen Impuls setzen“, sagte er im französischen Fernsehen.

Villain denkt sogar an Zuschauer, die in den Hotels vor Ort Zimmer buchen und in den Restaurants essen. Er zeigte sich verärgert wegen eines Vorschlags der französischen Sportministerin Roxana Maracineanu. Die kann sich die Tour als Geisterrennen vorstellen. „Das ökonomische Modell der Tour hängt nicht von den Eintrittsgeldern ab. Wichtig sind hingegen die TV-Rechte, also eine Live-Übertragung im Fernsehen“, sagte die Ministerin letzte Woche dem Radiosender „France Bleu“.

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In deutschen Medien gilt schon die Position der Ministerin als extrem. „Wie sperrt man Millionen Zuschauer von einem Ereignis aus, das in Frankreich Jahr für Jahr wie ein dreiwöchiger Nationalfeiertag zelebriert wird?“, stand in der „Süddeutschen Zeitung“. Noch exzentrischer ist aber die Position des Lokalpolitikers.

Sie ist allerdings auch nachvollziehbar. Viel Geld hängt von der Tour ab. Die Etappenorte hoffen auf Tourismuseinnahmen. Für die Rennställe ist die Tour sogar überlebenswichtig. Im Vergleich zu Tourausrichter ASO sind sie ökonomische Winzlinge. Etwa 340 Millionen Euro beträgt der Jahresetat aller 19 WorldTour-Teams zusammengenommen. Die ASO hingegen setzte im Bilanzjahr 2018 233 Millionen Euro um und machte 46 Millionen Euro Gewinn.

Etwa 70 Prozent der Gesamtwerbewerte in der Saison erreichen die Namenssponsoren der Teams allein während der drei Wochen Frankreichrundfahrt. „Das gilt für alle Rennställe. Es geht vielleicht auf 60 Prozent herunter, wenn man eine schlechte Tour fährt und nicht so stark in den Medien präsent ist. Oder es kann auf 80 Prozent hochgehen, wenn man eine sehr gute Tour fährt“, sagte Ralph Denk, Manager des Rennstalls Bora hansgrohe, dem Tagesspiegel.

Schon allein deshalb hofft Denk auch in diesem Jahr auf die Tour. „Natürlich wäre es am schönsten mit Zuschauern. Die Fans an der Strecke sorgen für das Flair. Aber wir als Rennställe haben davon keine Einnahmen. Für uns ist es wichtig, dass sie zumindest im Fernsehen stattfinden kann“, sagt er.

Die Verluste bei den Teams sind immens

Finanziell gebeutelt sind die Teams bereits jetzt. Im sechsstelligen Bereich liegen bei Bora hansgrohe, aber auch beim belgischen Rennstall Deceuninck Quick Step allein die Verluste durch ausgefallene Antrittsgelder bei den abgesagten Rennen. Manch Rennstallchef denkt daher an Gehaltskürzungen.

Lotto Soudal hat das schon durchgezogen. Roger Kluge, beim belgischen Team unter Vertrag, äußerte Verständnis: „In der normalen Welt müssen Menschen durch Kurzarbeit auf ein Drittel verzichten. Das ist wahrscheinlich notwendig, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Und auch für uns kann das die logische Schlussfolgerung sein. Wenn ich egoistisch bin und sage, ich will mein Gehalt behalten, dann haben wir vielleicht im nächsten Jahr den Sponsor nicht mehr oder gar kein Team.“

Fällt die Tour aus, könnte dieses Szenario sich sogar trotz Gehaltsverzicht abspielen. Dann nämlich, wenn die Sponsoren in ihren angestammten Branchen so viele Verluste erleiden, dass sie die Werbeetats kürzen – und damit auch die Zahlungen an die Profirennställe. „Sollten wir in diesem Jahr gar keine Rennen mehr fahren, bedeutet dies ja auch, dass die Wirtschaft am Boden liegt. Das wäre das Schlimmste“, sagt Denk.

In der Szene werden derzeit einige Rettungsszenarien für die Tour diskutiert. Die Absage von Olympia gibt die Möglichkeit, in den August auszuweichen. Auch eine Verkürzung auf zwei Wochen könnte Sinn machen. „Man könnte Tour, Giro und Vuelta jeweils auf zwei Wochen reduzieren und damit alle drei großen Rundfahrten noch austragen. Man hätte auch Platz im Kalender, um einige ausgefallene Rennen wie Paris – Roubaix und die Flandernrundfahrt nachzuholen“, sagte Jörg Werner, Manager der deutschen Profis Maximilian Schachmann und Tony Martin, dem Tagesspiegel.

All das funktioniert aber nur, wenn die Pandemie eingeschränkt ist und Menschen wieder Seite an Seite, Kopf an Rücken mit dem Rad über öffentliche Straßen fahren dürfen. Bis spätestens 15. Mai will die ASO entschieden haben, ob, wann und wie die Tour 2020 ausgetragen wird.

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