Olympia-Auftakt I: Die Eröffnungsfeier aus britischer Sicht
Unser britischer Sport-Praktikant Kit Holden würde sich selbst nie als Patrioten bezeichnen. Bei der Eröffnungsfeier in London regte sich dann aber doch ein klein wenig Heimatstolz. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - all der Seltsamheiten.
Es gibt zwei unterschiedliche Formen des britischen Patriotismus. Die eine ist hässlich: Die grobe Selbsttäuschung, die von bestimmten Medienportalen stets gefördert wird. Dieser Patriotismus verwechselt Stolz auf die Herkunft mit einer quasi-rassistischen Sehnsucht nach dem britischen Reich. Er verdammt walisische Spieler dafür, dass sie nicht „God Save The Queen“ singen, er bezeichnet Athleten, die nicht in Großbritannien geboren sind, als „Plastikbriten“. Und er hält die zwei Weltkriege nicht für eine tragische Verschwendung von menschlichem Leben, sondern für ruhmreiche Beispiele der britischen Souveränität.
Die andere Form ist ein bisschen schöner. Es geht um den Stolz auf alles, was gut an Großbritannien und der britischen Kultur ist: die Exzentrizitäten wie Cricket und die Selbstironie, die großen Künstler wie Paul McCartney oder Rowan Atkinson, und die wunderschöne Landschaft von „England’s Green and Pleasant Land“. Um Populismus, Nationalismus oder Rassismus geht es überhaupt nicht, auch wenn die Angst besteht, so gesehen zu werden.
Es scheint, Gott sei Dank, als hätte sich Danny Boyle mehr für diese zweite Form des Patriotismus engagiert.
Bildergalerie: Die Olympia-Eröffnungsfeier in London
Die Stimme des Herrn McCartney mag jetzt ein bisschen schlechter sein als es noch vor 40 Jahren, und als die Queen die olympischen Spiele eröffnete, sah sie sicherlich ein bisschen unleidlicher aus, als bei der Eröffnung der WM 1966. Aber diese kleinen Details störten nicht an diesem Abend, der eine beeindruckende und begeisternde Feier für Großbritannien und den internationalen Sport war.
Künstlerisch hatte Danny Boyles große Spektakel alles. Es hatte Geschichte (die merkwürdige Darstellung der industriellen Revolution), es hatte Charisma (die brennenden Olympia-Ringe), es hatte Humor (der hervorragende Auftritt von Rowan Atkinson als Mr Bean), und es schloss sogar die Zukunft des britischen Sports ein (die jungen Athleten, die bei der Entzündung des Olympischen Feuers geholfen haben).
Auch das Kunststück von „James Bond“, der „Queen“ und dem Hubschrauber – das ehrlich gesagt auch für britische Zuschauer ein bisschen seltsam war – brachte uns zum Lächeln. Das war verrückt, aber nicht überflüssig – lächerlich, aber noch charmant.
Und so war der ganze Abend. Alles war zugleich seltsam, lustig und lächerlich. Mit anderen Worten: Alles, was die britische Psyche so liebenswert macht. Und all das, ohne die kleinste Spur von grandiosem, borniertem Quatsch zu zeigen. Man bekam wirklich den Eindruck, dass mein Land die Welt herzlich begrüßte. Paul McCartney bestätigte das mit seinem Ausruf: „Welcome to London!“ Es war eine Geste des britischen Stolzes in seiner beeindruckendsten Form. Der Stolz, der ausländische Besucher nicht fürchtet, sondern enthusiastisch begrüßt.
Es fällt mir normalerweise nicht leicht, mich als stolzen Briten zu bezeichnen. Am Freitagabend war aber sogar ich stolz darauf, zu dieser Kultur zu gehören. Vielleicht war es nur, weil Großbritannien es geschafft hatte, ein gutes Licht auf sich zu werfen. Wie schade, dass das viel zu selten geschieht, um es wirklich genießen zu können.
Kit Holden kommt aus Großbritannien und macht derzeit ein Praktikum beim "Tagesspiegel"