Champions League: Die Bundesligisten sind zum letzten Mal auf Augenhöhe
Im Achtelfinale der Champions League gibt es drei deutsch-englische Duelle. Doch die Briten enteilen immer mehr. Nur der Brexit könnte das wohl ändern.
- Johannes Nedo
- Kit Holden
Im Stadtteil Kennington, am Südufer der Themse, ist Jadon Sancho aufgewachsen. Genau genommen wird das also keine richtige Heimkehr, wenn er am Mittwoch mit Borussia Dortmund zum Champions-League-Duell mit Tottenham Hotspur antritt. Die Spurs sind schließlich ein Verein aus Nordlondon. Für Sancho ist dieses Champions-League-Achtelfinale aber trotzdem eine Chance, sich vor dem englischen Publikum zu beweisen.
Wegen seiner brillanten Leistungen in der Bundesliga ist der 18 Jahre alte Flügelspieler auf der Insel ohnehin ein Star. In der Heimat wird er fast noch mehr bejubelt als in Deutschland. Doch die Bundesliga ist das eine. Ein Champions-League-Duell mit einem englischen Spitzenklub ist etwas anderes. So ein Spiel ist, zumindest aus englischer Sicht, der ultimative Lackmustest. Denn die Premier League bleibt das Maß aller Dinge.
In den nächsten Wochen werden sich nicht nur Sancho und Dortmund, sondern gleich drei Bundesligisten diesem Test unterziehen. Im Champions-League-Achtelfinale gibt es drei deutsch-englische Duelle. Tottenham gegen Dortmund ist am Mittwoch erst der Anfang. Am 19. Februar ist Bayern München beim FC Liverpool zu Gast. Am Folgetag trifft Schalke 04 auf den Englischen Meister Manchester City.
Wird die Bundesliga den Test überstehen?
Spätestens am 13. März, wenn der FC Bayern gegen Liverpool das letzte der drei Rückspiele bestreitet, wird klar sein, wie die Bundesliga den Test überstanden hat. Doch bis dahin sollten die Deutschen nicht zu viel Respekt vor der Premier League haben. Außer Schalke, das gegen Pep Guardiolas City krasser Außenseiter ist, muss keine der deutschen Mannschaften auf ein Wunder hoffen.
Dortmund gegen Tottenham ist ein Duell zweier junger, hoch talentierter aber auch fragiler Mannschaften, das wohl von der Tagesform entschieden wird. Gegen die wankenden Bayern galt Jürgen Klopps Liverpool eigentlich schon als Favorit, aber sein Team hatte zuletzt auch ein kleines Formtief. Es werden aller Voraussicht nach Duelle auf Augenhöhe.
Andererseits könnten es die letzten Duelle auf Augenhöhe sein. Die Premier League ist seit jeher reicher und bombastischer als die Bundesliga, aber jetzt droht die Kluft zwischen den beiden Ligen auf Dauer unüberbrückbar zu werden. Die englische Liga ist nicht nur größer, sie wächst und entwickelt sich auch schneller. Sechs Jahre nach dem deutschen Champions-League-Finale im Wembley-Stadion scheint es nur eine Frage der Zeit, wie lange die Bundesliga mit der Premier League noch mithalten kann.
„Der Unterschied zwischen beiden Ligen ist nicht mehr aufzuhalten“, sagt Jens Hegeler. Der ehemalige Mittelfeldspieler von Hertha BSC spielte zuletzt beim englischen Zweitligisten Bristol City. Mittlerweile pausiert der 30-Jährige, er hat die Fußball-Analysemethode „Packing“ miterfunden und konzentriert sich daher auf die Arbeit der Firma. Hegeler hat also einen besonderen Blick auf beide Ligen. Zwar seien die schlechtesten Mannschaften der Premier League auch schlechter als die der Bundesliga, sagt er: „ Aber die Top sechs in England sind so viel besser als die Top sechs der Bundesliga, da können höchstens der FC Bayern und ein guter BVB mithalten.“
Top sechs in England wird immer besser
Derzeit ist der BVB in einer guten Verfassung. Allerdings werden die Top sechs in England auch immer besser. Während Bayern und Dortmund noch Mannschaften im Umbruch sind, etablieren sich die englischen Topklubs wieder an der europäischen Spitze. Im Vorjahr zog Liverpool als erste englische Mannschaft seit 2012 wieder ins Champions-League-Finale ein.
Und die Engländer werden immer reicher. Seit 2014 haben sich die gesamten Umsätze der Premier-League-Vereine auf rund 5,5 Milliarden Euro fast verdoppelt. Die Bundesliga ist in diesem Zeitraum zwar auch gewachsen, bleibt aber mit einem Umsatz von 3,5 Milliarden Euro weit hinter der englischen Liga. Vor allem von den Unterschieden bei den TV-Einnahmen profitiert die Premier League. Und das werde sich nicht ändern, sagt Hegeler: „Die Geldschraube wird sich immer weiter drehen. Da ist kein Ende in Sicht, so abenteuerlich das auch ist.“
Nun gab es ja immer viel mehr Geld in der Premier League. In der Vergangenheit konnte die Bundesliga diesen Nachteil allerdings mit klugen Ideen ausgleichen. Dank der vorbildlichen Nachwuchsförderung sowie der taktischen Pionierarbeit von Trainern wie Klopp oder Thomas Tuchel.
So ging zu Beginn dieses Jahrzehnts die fünfjährige Dominanz der englischen Klubs in der Champions League langsam zu Ende. Ihr altes Modell, mit dem vielen Geld einfach die besten Spieler der Welt zu kaufen, funktionierte nicht mehr. Die Engländer mussten nun cleverer mit ihrem Geld umgehen, und sie hatten dabei vor allem ein Vorbild. Nachdem 2013 zwei deutsche Mannschaften in London das Champions-League-Finale bestritten hatten und Guardiola zu den Bayern gegangen war, blickten die Premier-League- Klubs auf einmal nicht mehr abwertend, sondern eher bewundernd auf die Bundesliga. Von denen, so hieß es plötzlich, kann man doch etwas abgucken.
Englischer Verband startet eine Revolution
„Mittlerweile haben die Engländer auch viel und gut im Nachwuchsbereich investiert“, sagt Hegeler. Seit 2012 läuft der etwas sperrig betitelte „Elite Player Performance Plan“ der Premier League, der die Entwicklung von jungen, einheimischen Spielern fördern soll. Im Gleichtakt revolutionierte der englische Verband mit seinem neuen Leistungszentrum St. George’s Park die Jugendentwicklung auf nationaler Ebene. Nun feiern die englischen Junioren-Nationalmannschaften zahlreiche Erfolge. Und die größten Talente Europas kommen aus England.
Davon profitieren derzeit auch die Bundesligisten. Denn für all die jungen englischen Topspieler bleibt es vor allem bei den Spitzenklubs der Premier League schwer, auf Einsätze zu kommen. Früher wurden solche Talente oft an niederländische oder unterklassige Klubs ausgeliehen – und wurden ihrem Potenzial fast nie gerecht. Nun sind sie so gut, dass sie sich auch in der Bundesliga durchsetzen können.
Neben Jadon Sancho haben zuletzt auch Spieler wie Hoffenheims Reiss Nelson und Leipzigs Ademola Lookman in der Bundesliga überzeugt. Und es kommen immer mehr Talente: So lieh Leipzig in der Winterpause Emile Smith-Rowe vom FC Arsenal aus, und Augsburg nahm Reece Oxford von West Ham als Leihspieler unter Vertrag.
Andersherum gehen immer mehr gestandene Spieler nach England. Und es sind nicht nur Topstars wie Ilkay Gündogan oder Pierre-Emerick Aubameyang. So wechselte Pascal Groß vor zwei Jahren von Ingolstadt nach Brighton. Der 27-Jährige schwärmt von der Premier League. „Die Liga macht richtig Spaß. Es ist einfach das Gesamtpaket“, sagt der Mittelfeldspieler. „Jede Mannschaft ist mit Topspielern besetzt. Es sind immer richtig gute Spiele.“
Und in England schwärmen sie von Pascal Groß, der als einer der cleversten Einkäufe der vergangenen Jahre gilt. Er ist einer von vielen Beweisen dafür, dass auch das Scouting in England viel besser geworden ist.
Zumal die Klubs nun auch jenseits des Platzes die weltbesten Leute holen wollen. Es werden nicht nur Star-Trainer wie Klopp und Guardiola auf die Insel gelockt, sondern auch die besten Scouts, wie zum Beispiel Sven Mislintat, der 2017 von Dortmund zum FC Arsenal wechselte. Auch wenn Mislintat mittlerweile den Londoner Klub wieder verlassen hat, ist dieses neue Modell ein Erfolg. Es macht die englische Liga nachhaltiger.
„Klubs scouten besser als früher, und der Einfluss internationaler Top-Trainer ist in England enorm. Da wurde viel Fußballwissen eingekauft“, sagt Hegeler und weist auch auf die zahlreichen spanischen und portugiesischen Trainer hin, die nun in der Premier League arbeiten. Es ist eben nicht nur der deutsche Fußball, von dem sich die Engländer das Beste abgucken und abkaufen. Sie tun es überall.
Premier League als reines Fußballspektakel
All das macht die Premier League als reines Fußballspektakel deutlich unterhaltsamer als die Bundesliga, wo es fast nur eine herrschende taktische Kultur gibt – stabile Defensive und schnelles Umschaltspiel. „In England sind die Spiele spannender und abwechslungsreicher, denn verschiedene Stile treffen aufeinander“, sagt Hegeler. „Außerdem geht es einfach mehr hin und her“, betont Groß. „Und die Internationalität trägt dazu bei, dass es auch in der Kabine etwas lockerer zugeht als in Deutschland.“
Mittelfristig gibt es nur einen Faktor, der die englische Dominanz bremsen könnte, sagt Hegeler: einen harten Brexit. Sollte Großbritannien die Europäische Union ohne Abkommen verlassen, wird auch die allmächtige Premier League von den Folgen nicht verschont bleiben. Als Drittstaat könnten Vereine aus England keine Spieler unter 18 Jahren aus anderen europäischen Ligen mehr verpflichten. Ohne die Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU müssten Spieler zudem eine Arbeitserlaubnis beantragen.
Nach bestehendem britischen Recht werden solche Arbeitserlaubnisse bisher nach einem Punktesystem verteilt, das im Fußball sehr stark von der Zahl der Länderspiele abhängt. Für Profis, die wie Pascal Groß nicht Nationalspieler sind, könnte das problematisch werden. „Die Klubs bereiten sich schon auf den Brexit vor. Aber da weiß keiner genau, wie es kommen wird“, sagt Groß. „Ich gehe aber davon aus, dass da eine Lösung gefunden wird.“
Sancho braucht womöglich Arbeitserlaubnis
Auch Jadon Sancho müsste sich gegebenenfalls in Deutschland eine Arbeitserlaubnis besorgen. In Dortmund wird das wohl höchste Priorität haben, denn Sancho ist nicht nur ein Erfolgsgarant auf dem Platz, sondern auch eine Investition. Irgendwann wird er wieder zurück in die Premier League wechseln – dieses Mal für immer. Und dann können die Dortmunder auf eine extrem hohe Ablöse hoffen.
Der Fall Sancho spricht dafür, dass die Premier League und die Bundesliga derzeit in einer sehr guten Symbiose existieren: junge Engländer holen sich Spielpraxis in Deutschland, bringen so auch deutschen Teams Erfolg und Geld, bevor sie als Stars nach England zurückkehren. Aber auch diese wird nur funktionieren, solange die Talente noch billig sind und der FC Bayern nicht, wie berichtet, 40 Millionen Euro für Chelseas 18 Jahre alten Callum Hudson-Odoi ausgeben muss.
Langfristig, glaubt Jens Hegeler, gibt es nur eine Option für die Bundesliga: „Deutschland muss in der Nachwuchsförderung wieder führend werden.“ Schließlich ist die Premier League so etwas wie die geopolitische Großmacht des Fußballs. Die Bundesliga muss sich an sie binden, ohne von ihr zu abhängig zu werden. Sie muss die richtige Balance in dieser Symbiose finden. Nur so werden die deutschen Klubs in der Champions League mit den Engländern noch halbwegs mithalten können.