Die Formel 1 nach dem Bianchi-Unfall: „Die Bilder kommen immer wieder“
Nach dem schweren Unfall von Jules Bianchi haben viele Formel1-1-Piloten Schwierigkeiten, zurück in den Berufsalltag zu finden, für einen deutschen Piloten ist die Situation besonders schwierig. Ob die Gefühle sich auf die Leistungen im Cockpit auswirken?
Jeder Formel-1-Fahrer sagt, dass er sich des Risikos bewusst sei, wenn er in sein Auto steigt. Doch die heutige Generation von Piloten hat sich mit dieser Aussage bis jetzt wohl ein bisschen selbst belogen. Denn sie ist in einer Zeit in den Rennsport hineingewachsen, in der man sich schon daran gewöhnt hatte, auch nach schlimm aussehenden Unfällen einfach auszusteigen und spätestens am nächsten Tag mit neu aufgebautem Auto weiter zu fahren. Selbst als Felipe Massa 2009 in Ungarn durch eine von einem anderen Auto weggeflogene Feder am Kopf verletzt wurde, hielt sich der Schock in Grenzen. Schließlich konnte der Brasilianer schon ein paar Monate später wieder Formel 1 fahren.
Nach dem Drama in Japan um Jules Bianchi, um den es, wie im Hintergrund alle wissen, alles andere als gut steht, funktionieren diese Mechanismen nicht mehr. Gerade bei denen in der Formel 1, die das Jahr 1994 mit seinen zwei tödlichen Unfällen am Imola-Wochenende nicht erlebt haben. Sie werden jetzt zum ersten Mal mit der Tatsache konfrontiert, dass die Realität eben doch brutal sein kann. Einige Fahrer, darunter Lewis Hamilton und Daniel Ricciardo, gaben am Freitag nach dem Training zu: „Es war viel schwieriger, ins Auto zu steigen und zur normalen Routine zurückzukehren als gedacht.“
Bei Hamilton kommen traumatische Erinnerungen zurück
Hamilton erinnert sich noch ganz genau, wie er als Neunjähriger einmal miterleben musste, wie ein anderer Junge bei einem Kartrennen ums Leben kam. „Ein Freund von mir, der mit ihm sehr gut befreundet war, hat daraufhin mit dem Kart-Fahren aufgehört. Aber das kam mir nie in den Sinn, obwohl es eine sehr traumatische Erfahrung für mich war“, erzählte Hamilton. „Vor dem Start hatten wir noch zusammen gestanden und hatten Spaß, und das nächste, was ich weiß, ist, dass ich bei seiner Beerdigung war.“
Jetzt, nach dem Unfall von Jules Bianchi, kämen diese Erinnerungen wieder zurück. „So etwas ändert deinen Blick auf die Welt ein bisschen. Das ist traurig. Aber trotzdem bringt mich das nicht dazu, zu überdenken, ob ich weiterhin Formel-1-Fahrer sein möchte. Es ist das, was ich am besten kann, wo ich mich am wohlsten und am freiesten fühle. Es ist mehr als eine Leidenschaft, es ist unser Leben.“
Für Adrian Sutil ist die Situation besonders schwierig: Sein Unfall war es, durch den das Bergungsfahrzeug auf die Strecke musste. Er war auch Augenzeuge von allem, was folgte. Der Sauber-Pilot versucht zwar, alles wegzuschieben. Aber so einfach sei das nicht: „Die Bilder kommen immer wieder, man träumt nachts auch mal davon.“ Dabei glaubt er, „auch nicht viel mehr“ gesehen zu haben als diejenigen, die das Video angeschaut haben, das im Internet kursiert. „Aber das reicht.“
Welchen Effekt hat das Bianchi-Drama auf das Rennen in Sotschi?
Ob die Gefühle sich auf die Leistungen im Cockpit auswirken? Sicher ist es vorstellbar, dass bei dem einen oder anderen Konzentration und Risikobereitschaft momentan ein bisschen beeinflusst sind. Andererseits gibt es auch das gegenteilige Phänomen, das offensichtliche Umwandeln von Emotion und Betroffenheit in Extremleistungen: Lewis Hamilton bewies es in Sotschi, als er in der zweiten Trainingssession eine überlegene Bestzeit auf die Strecke knallte.
Es gibt auch einen bekannten Präzedenzfall: Jerez 1990, der Horrorunfall von Martin Donelly, dem damals im ersten Moment kaum jemand eine Überlebenschance gab, der aber durchkam. Ayrton Senna war damals an der Unfallstelle, kümmerte sich, suchte auch bewusst die Konfrontation mit der harten Realität, kam erschüttert und aufgewühlt an die Boxen zurück. Als eine Dreiviertelstunde später das Qualifying wieder aufgenommen wurde, stieg er mit Tränen in den Augen ins Auto, fuhr eine sensationelle Runde – und war hinterher lange Zeit kaum ansprechbar.