Neuauflage des DDR-Eishockeyklassikers: Die Bauern aus Weißwasser gegen die Bonzen aus Berlin
Die DDR-Eishockeyklubs aus Weißwasser und Berlin nahmen nach der Wende eine komplett unterschiedliche Entwicklung. Am Freitagabend kommt es zu einer Neuauflage der ostdeutschen Mini-Meisterschaft.
Wenn am Freitag um 20 Uhr der erste Puck in der neuen Eisarena von Weißwasser fällt, geschieht das an historischer Stelle. Denn dort, wo sich auf der Mittellinie der Bullykreis des Stadions befindet, gab es ihn auch früher schon. Zu einer Zeit, als Dynamo Weißwasser und Dynamo Berlin ihre Spiele in der kleinsten Eishockey-Liga der Welt noch unter freiem Himmel, im Wilhelm-Pieck-Stadion, vor bis zu 15 000 Zuschauern austrugen. Zur Eröffnung der neuen Halle haben sich die Lausitzer ihren alten Rivalen eingeladen: Dynamo gegen Dynamo. Dieses Duell gibt es heute allerdings nur noch auf den Rängen. Auf dem Eis spielen inzwischen Füchse und Eisbären gegeneinander. Die Zeiten ändern sich.
1969 beschloss die DDR-Regierung, Eishockey nicht mehr zu fördern. Der Führung war es zu kostenintensiv und nicht medaillenträchtig genug. Stasi-Chef Mielke aber mochte auf Eishockey nicht verzichten und so durften seine beiden Klubs aus Weißwasser und Berlin weitermachen und 20 Jahre lang ihre Mini-Meisterschaft austragen. „Wir haben uns als Brückenbauer verstanden, die das Eishockey über Wasser gehalten haben“, erinnert sich Torhüterlegende René Bielke, der Anfang der 1980er Jahre ins Team der Berliner rückte. „Und wer weiß“, sagt Bielke weiter, „wäre damals das Eishockey in Berlin nicht am Leben geblieben, hätte es die Eisbären und ihre ganzen Erfolge vielleicht nie gegeben.“
In Weißwasser haben die Eishockey-Fans fast 20 Jahre lang nur von den Erinnerungen an die große Vergangenheit gelebt. 25 Meistertitel gewann der Klub zu DDR-Zeiten. Die meisten davon zwischen 1950 und 1975. Danach dominierten die Berliner, auch – und davon sind viele in Weißwasser noch heute überzeugt – mit Hilfe von ganz oben. „Wir Berliner waren natürlich immer die Bonzen, die alles hatten“, erzählt Hartmut Nickel, der aktuelle Co-Trainer der Eisbären. Mit 19 Jahren wechselte er von Weißwasser nach Berlin und wurde dadurch in seiner alten Heimat zum „Verräter“.
Ralf Hantschke, einst Stürmer und heute Manager in Weißwasser, bestätigt das: „Natürlich gab es eine gewisse Rivalität. Wir waren halt die Bauern, und die Berliner waren die Großstädter.“ Erst Ende der 1980er Jahre gab es im ostdeutschen Braunkohlerevier wieder ein konkurrenzfähiges Team. Die beiden letzten DDR-Meisterschaften gingen an Weißwasser, es waren die Titel Nummer 24 und 25. Dann kam die Wende und fortan war nichts mehr so wie vorher. „Ich kann mich noch an die ersten Verträge erinnern. Da wusste erst mal keiner so richtig, was Mehrwertsteuer überhaupt bedeutet“, berichtet Hantschke lachend.
In Weißwasser war Profisport nach 1990 auf Dauer nicht zu stemmen.
Hinzu kamen neue sportliche Herausforderungen. Berlin und Weißwasser wurden 1990 direkt in die 1. Bundesliga integriert – noch vor der offiziellen Wiedervereinigung. Dort mussten die Spieler auf einmal jedes Wochenende zwei Spiele bestreiten. „Unser Problem war, dass wir zu DDR-Zeiten immer punktuell auf bestimmte Höhepunkte vorbereitet wurden. Und nun gab es auf einmal einen geordneten Spielbetrieb“, sagt Hantschke. Sportlich sei das nicht zu schaffen gewesen. Weißwasser und Berlin begegneten sich in ihrer ersten Saison im Westen in den Play-downs wieder. Weißwasser setzte sich durch, Berlin stieg ab.
Doch auf lange Sicht war es der Klub aus Berlin, der sich im Profi-Eishockey etablierte. „Aber es hat etliche Jahre gedauert, bis wir Fuß fassen konnten“, erinnert sich Bielke, der nach 125 Länderspielen für die DDR noch zwölf für das wiedervereinigte Deutschland bestritt. Das Bosman-Urteil brachte den von Dynamo in Eisbären umbenannten Berlinern erste sportliche Erfolge, durch den Einstieg der amerikanischen Anschutz-Group gelang dann endgültig der Aufstieg zum deutschen Vorzeige-Eishockeyklub.
Weißwasser hatte Ende der 1990er Jahre längst alle großen Ambitionen aufgegeben. Nach nur zwei Jahren zog sich der Klub aus der neu gegründeten Deutschen Eishockey-Liga (DEL) zurück. In der strukturschwachen Region war Profisport auf Dauer nicht zu stemmen. Die Rivalen aus DDR- Zeiten entfernten sich endgültig voneinander. Weißwasser spielt heute zweitklassig in der DEL2.
Und der Abstand wird bleiben. „DEL? Das gibt unser Umfeld nicht her“, versichert Manager Hantschke glaubhaft. Man sei schon froh, endlich eine neue Halle zu haben. In der mit Fördergeldern erbauten Arena finden 2642 Zuschauer Platz. Kein Vergleich zu den vielen Tausend von früher, die zum Teil gar Stehleitern mitbrachten, um die Spiele der „Bauern“ gegen die „Bonzen“ live mitzuerleben. Die Erinnerungen an diese Zeiten werden in Weißwasser genau wie in Berlin kultiviert. Bei den Fans, die weiter „Dynamo“ skandieren. Und erst recht heute Abend, wenn am historischem Bullykreis das Spiel gegen den alten Lieblingsfeind eröffnet wird.