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Große Duelle. Schon in den Siebzigerjahren galt das Spiel FC Barcelona gegen Real Madrid als „Clasico“ des spanischen Fußballs – auch wegen der politischen Komponente unter Diktator Francisco Franco. Hier kickt Paul Breitner (l.) gegen Barcas Johan Cryuff.
© picture-alliance/ dpa

Fußball unter Franco: Die Auferstehung Kataloniens

Nur ihren größten Stolz konnte der Diktator den Katalanen nicht verbieten: den FC Barcelona. Der erste Sieg des FC Barcelona gegen Real Madrid nach Francos Tod war ein Sieg für eine ganze Region.

Im Dezember 1975 ist Barcelona nicht mehr die Stadt, die sie noch wenige Wochen zuvor war. Durch die Straßen der spanischen Hafenmetropole im Nordosten des Landes weht zwar weiterhin der kalte Winterwind. Doch in der Luft liegt für viele Menschen mehr als nur der Geruch von Salz und Meer. Spaniens Diktator Franco, der das Land mehr als drei Jahrzehnte mit Gewalt regiert hatte, ist seit dem 20. November tot. Sein Ableben bringt vor allem in den Provinzen von Katalonien und im Baskenland große Erleichterung unter den Menschen. Dort, wo die Idee eines Einheitsstaates auf die größte Ablehnung in der spanischen Bevölkerung traf, hat Franco sein Land vor allem durch Repression zusammenzuhalten versucht. Wie in anderen Landesteilen, wurde den Menschen auch in Katalonien lange verboten, ihre angestammte Sprache, nämlich Katalanisch, zu sprechen. Auch das Aufführen der „Sardana“, einem Volkstanz, sowie das öffentliche Präsentieren katalanischer Symbole war unter Franco unter Strafe gestellt.

Nur ihren größten Stolz konnte der Diktator den Katalanen nicht verbieten: den FC Barcelona. Der Fußballklub, im Volksmund „Barça“ genannt, erholte sich schnell von den Jahren des Bürgerkrieges – die Mitgliederzahl war während dieser Zeit auf etwa 3500 geschrumpft – und wurde ab den Fünfzigerjahren wieder zum größten Rivalen von Real Madrid, dem Lieblingsklub von Diktator Franco. Bei den Begegnungen mit dem Hauptstadtklub ging es für viele Katalanen um viel mehr als nur Fußball. Das ist bis heute so, obwohl die Autonome Region längst viele Freiheiten genießt und eine der reichsten Gegenden Spaniens ist. Damals jedoch waren Siege gegen Real die einzige Möglichkeit, dem Regime in aller Öffentlichkeit und ungestraft zu trotzen.

Carles Rexach ist mit dem Wissen um die Bedeutung dieses brisanten Duells aufgewachsen. Er wurde am 13. Januar 1947 in Barcelona geboren und trug das blau-weinrote Trikot des FC Barcelona seit seinem zwölften Lebensjahr. Katalanisch ist dem späteren Jugend- und Cheftrainer als Sprache noch heute vertrauter als Spanisch, sein Akzent unüberhörbar. Beim Erzählen vermischt er manchmal die Sprachen, ihm zu folgen ist nicht immer leicht. Den Sprung in die erste Mannschaft des FC Barcelona habe er damals problemlos geschafft, erinnert sich der frühere Angreifer. Mitte der Siebzigerjahre gehörte er dann zusammen mit den beiden Niederländern Johan Cruyff und Johan Neeskens zu den Stars des Teams.

Das Stadion gleicht einem Tollhaus

Die veränderte Stimmung nach Francos Tod spürte auch Rexach. „Da lag etwas von Aufbruch in der Luft“, sagt der 64-Jährige. „Viele, die sich vorher benachteiligt fühlten, glaubten jetzt an den Neuanfang.“ Mitten in dieser Atmosphäre kommt es am 28. Dezember 1975 wieder einmal zum großen Aufeinandertreffen mit Real Madrid. Das Duell der Erzrivalen ist das erste Spiel nach der Weihnachtspause im spanischen Fußball und wird abends zur besten Fernsehzeit im ganzen Land übertragen. Am Spieltag ist Rexach sehr aufgeregt. „Ich hatte große Lust auf das Spiel und wollte unbedingt gewinnen, wahrscheinlich mehr noch als einige andere im Team.“

Carles Rexach ist einer von wenigen Katalanen in der Mannschaft, im Gegensatz zu heute ist der FC Barcelona 1975 ein zusammengekauftes Starensemble. „Ein bisschen so wie Real Madrid heute“, sagt Rexach. Trainiert wird Barcelona vom Deutschen Hennes Weisweiler, bei Madrid kicken Günter Netzer und Paul Breitner. Obwohl Real amtierender spanischer Fußballmeister ist, geht Barça als klarer Favorit ins Spiel. In den zurückliegenden sieben direkten Duellen konnte Real nur ein Tor gegen Barcelona erzielen.

Besonders das Spiel vom Februar 1974 blieb allen Beteiligten in Erinnerung. Damals führte Barça die Madrilenen in deren Stadion beim 5:0 vor, der katalanische Schriftsteller Manuel Vazquez Montalban schrieb später: „An jenem Tag, so empfanden es Millionen im Land, setzte der Niedergang der faschistischen Diktatur ein.“

Am 28. Dezember 1975 wird Carles Rexach und seinen Mitspielern beim Einmarsch ins Stadion Camp Nou bewusst, dass die Franco-Zeit nun tatsächlich vorbei ist. Unter ohrenbetäubendem Lärm beginnen die Zuschauer in der Riesenarena, etwas unter ihren Jacken hervorzuholen. Es ist die „Senyera“, die katalanische Nationalflagge, das unter Franco verbotene Symbol ihrer Heimat. An den Fernsehschirmen können sie in diesem Moment Millionen Spanier sehen. „Ich dachte: Hostia!, das gibt es ja nicht“, erzählt Rexach. „Hostia“ heißt so viel wie „verdammt“. „Und natürlich war ich stolz“, sagt Rexach. Zu Francos Lebzeiten wäre eine solche Aktion der Anhänger undenkbar gewesen.

Mit der Euphorie dieser Bilder geht Barcelona schon nach drei Minuten durch den Niederländer Johan Neeskens in Führung, das Stadion gleicht einem Tollhaus. Doch anstatt losgelöst weiterzuspielen, verkrampft die Mannschaft. „Wir wollten zu viel, auch ich hätte am liebsten wieder 5:0 gewonnen, aber das tat unserem Spiel nicht gut“, erzählt Rexach. Immer wieder schießt er wie seine Mannschaftskollegen aus allen Lagen aufs Tor, doch die Bälle gehen links und rechts vorbei. Als Real Mitte der zweiten Halbzeit durch Pirri zum Ausgleich kommt, wird es unruhig im Stadion. „Die Leute begannen zu raunen, es gab sogar Pfiffe“, erinnert sich Rexach. Eine Niederlage im eigenen Stadion gegen Real, das durfte einfach nicht sein. Nicht beim ersten Duell nach Francos Tod. Ein Sieg Reals wäre für viele Katalanen einer gefühlten Wiederauferstehung des Diktators gleichgekommen.

Carles Rexach denkt während der 90 Spielminuten nicht an Politik. Als nur noch eine Minute zu spielen ist, glaubt Rexach schon längst nicht mehr an den Sieg, geschweige denn an ein eigenes Tor. Zu oft hatte er es vorher probiert, zu oft war er am gegnerischen Torwart gescheitert. Doch das Schicksal will es, dass ihm der Ball in der 89. Spielminute an der Strafraumgrenze plötzlich vor die Füße fällt. Und Rexach schießt, sein Blick verfolgt die Flugkurve des Balles. Als er wieder nach oben schaut, sieht er jubelnde Menschen, die inbrünstig die Senyera-Flagge küssen. Ganz Barcelona feiert den historischen Sieg. Gegen Real Madrid. Gegen Franco. Gegen die Vergangenheit.

Sebastian Stier

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